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Forscher der Charité ziehen eine Studie des Instituts für Virologie zurück.

© skb/Tsp

Fehler in „Science“-Studie der Charité: Vorsicht wäre besser als Nachsicht

Fehler passieren. Auch dumme. Auch Wissenschaftlern. Eine Lehre aus dem jüngsten der Charité ist, dass Vorabveröffentlichungen trotz aller Kritik Schaden abwenden können.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

In einer idealen Welt prüfen Wissenschaftler gewissenhaft jedes Ergebnis ihrer Experimente und Studien. Und rutscht doch einmal ein Fehler durch, ziehen sie sogar bereits veröffentlichte Arbeiten zurück. Insofern hat sich die Forschergruppe um Jan Felix Drexler von der Berliner Charité idealtypisch verhalten, eine im renommierten Fachblatt „Science“ veröffentlichte und von unabhängigen Gutachtern eigentlich geprüfte Studie zurückzuziehen, weil Forschungskolleg:innen weltweit auf substanzielle Fehler in der Arbeit hingewiesen hatten. „Teile der in der Studie gemachten Aussagen“ seien „nicht mehr ohne begründete Zweifel belegbar“, erklärte die Charité.

Dass der Fehler schon hätte bemerkt werden können, wenn der Entwurf der Arbeit auf einem „Preprint“-Server wie biorXiv.org oder medrXiv.org vorveröffentlicht worden wäre, stand in der Erklärung der Charité allerdings nicht. Denn das rührt an einen wunden Punkt der Wissenschaftsgemeinde, die sich in einem alles andere als gemein ist: der Fehlerkultur.

Niemandem fällt es leicht, Fehler einzugestehen. In der Wissenschaft provoziert aber allein schon der Zeitdruck, im Kampf um Fördermittel schneller als andere Forschungsteams Studie um Studie veröffentlichen zu müssen, Fehler. Seit Jahren ist bekannt, dass etwa in der biomedizinischen Forschung viele der „begutachteten“ Ergebnisse veröffentlichter Studien nicht reproduzierbar und damit wissenschaftlich gesehen „Müll“ sind.

Ob sogar 80 Prozent „Müll“ sind, wie einige berechnet haben wollen, wird zwar von vielen bezweifelt, nicht aber dass es viel zu viele fehlerhafte oder grundlegend falsche gibt. Und da auf Basis solcher Studien neue Forschungsgelder bewilligt werden, werden unweigerlich auch viele Milliarden Dollar verschwendet, die besser angelegt wären.

Zwar setzt sich in der Wissenschaft am Ende das durch, wofür es am meisten Belege gibt. Das Richtige verdrängt das Falsche. Doch wie schnell? Es ist eine Frage der Organisation, der Wertschätzung und Förderung von Fehlerkultur, wie lange dieser Prozess braucht. Und Zeit ist dabei nicht nur Geld. Im Extremfall kann es Menschenleben kosten, wenn Fehler oder gar Betrügereien im Erkenntnisprozess nicht rechtzeitig erkannt, bekannt gegeben und behoben werden – etwa wenn falsche Ergebnisse über die Wirkung von Krebsmedikamenten zu Fehlbehandlungen von Millionen Patienten führen.

In Deutschland etwa hatte der Freiburger Krebsforscher Friedhelm Herrmann fast hundert wissenschaftliche Arbeiten voller falscher Daten veröffentlicht. Es ist nicht abzuschätzen, wie viele Menschen an dieser Sabotage des Erkenntnisprozesses in der Onkologie Schaden nahmen

Es ist also nicht nur eine Frage von ehrhaftem Handeln, wenn sich Forschende der Fehleranfälligkeit ihrer Arbeit bewusster werden und damit transparent umgehen, sondern dringend nötig, dass Selbst- und Fremdkontrollmechanismen verbessert werden.

Vorabveröffentlichungen sind dabei nur ein Schritt und weder ausreichend noch perfekt. Massenmedien könnten die nicht-begutachteten Studien unkritisch aufgreifen und das noch vorläufige womöglich fehlerbehafte oder gänzlich falsche „Wissen“ vorschnell verbreiten – wie durchaus geschehen während der Coronapandemie.

Dennoch zeigte die Pandemie auch, dass Preprints ein gute Möglichkeit sind, Fehler in wissenschaftlichen Studien mithilfe der webbasierten Schwarmintelligenz schnell zu erkennen und die Ergebnisse einzuordnen – eine sachliche, wissenschaftlichen Regeln folgende Debatte vorausgesetzt.

Wie wäre es, wenn deutsche Universitäten ihre Forschenden verpflichten würden, ihre Studien vor einer Veröffentlichung auf einem geeigneten Preprint-Server zur Vorabdiskussion zu stellen? Das gute alte, aber in Zeiten des Internet überkommene Peer Review-System würde so auf neue, breitere Füße gestellt. Die Charité könnte, als Lehre aus ihrem „Science“-Faux-pas, mit gutem Beispiel vorangehen.

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