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Eine Skulptur steht vor einem historischen Universitätsgebäude in England.

© picture alliance / dpa

Britische Universitäten und der Brexit: „Großbritannien hat sich selbst geschrumpft“

Dominic Shellard, Rektor der De Montfort Universität von Leicester, wirbt massiv um internationale Studierende. So will er die absehbaren Folgen des Brexit mildern.

Herr Shellard, bemerken Sie an Ihrer Uni in Leicester Folgen des Brexit-Votums?

Das Ergebnis war ein großer Schock für unsere Universität. Am Morgen, als das Ergebnis feststand, habe ich eine Versammlung für die Uni-Angehörigen einberufen. Ich dachte, es würden 50 Leute kommen, tatsächlich kamen 850. Unsere internationalen Studierenden, nein, alle Studierenden haben das Gefühl, Großbritannien hat sich selbst geschrumpft. Wir haben Angst, dass sich internationale Studierende in unserem Land nicht mehr willkommen fühlen. Und nicht zuletzt: Die britischen Unis bekommen 2,6 Milliarden Pfund Fördermittel in den Projekten mit EU-Partnern.

Fremdenfeindliche Übergriffe haben nach dem Referendum zugenommen. Wurden internationale Studierende und Wissenschaftler Ihrer Uni angegriffen?

Leicester ist eine ungewöhnliche Stadt: Die einzige in Großbritannien mit einer nicht-weißen Mehrheit. Wir sind also in Toleranz geübt. Ich habe bisher nichts über Schwierigkeiten auf dem Campus gehört. Ich kann aber nicht bestreiten, dass Hassverbrechen in Großbritannien zunehmen. Universitäten müssen dagegen angehen, da haben wir eine moralische Verpflichtung.

Was machen Sie, um den Sorgen der internationalen Studierenden und Wissenschaftler entgegenzutreten?

Wir haben sofort eine Kampagne mit dem Motto „Love International“ gestartet. Ich fahre jetzt extra durch europäische Städte, um mit internationalen Bewerbern über ihre Ängste zu reden. Und wir haben eine Petition auf den Weg gebracht, damit die Aufenthaltsrechte von EU-Bürgern in Großbritannien garantiert werden. Ich habe den Brief persönlich in Downing Street, am Sitz der Premierministerin, abgegeben. Die Regierung bezeichnet EU-Bürger als „Verhandlungsmasse“ für die Brexit-Gespräche mit der EU. Wir lehnen diese Rhetorik ab: Es handelt sich um Menschen.

Das Fotoporträt eines Mannes.
Dominic Shellard (50) ist Anglist und seit 2010 Vice-Chancellor, also Rektor, der De Montfort University Leicester. An der staatlichen Uni sind rund 22 000 Studierende eingeschrieben.

© Promo

Wie haben sich die Bewerbungen von EU-Studierenden entwickelt?

Letztes Jahr hatten wir 2260 Bewerbungen, dieses Jahr 3166. Die Zahlen sind also sogar angestiegen. Das liegt sicher daran, dass wir rausgegangen sind, mit internationalen Studierenden direkt sprechen, mit ihren Eltern. Dieses Jahr werden wir ungefähr 1000 Studierende aufnehmen, es ist ein bedeutsamer Teil der Studierendenschaft.

Britische Unis berichten, EU-Wissenschaftler hätten nach dem Brexit-Votum Jobs abgelehnt. Auch haben EU-Unis gemeinsame Kooperationsprojekte abgesagt, weil sie um EU-Mittel fürchten, sollten britische Partner dabei sein. Betrifft das Ihre Uni?

Noch nicht. Wir haben ein großes Forschungsprojekt zur Demenz mit Partnern aus sechs EU-Ländern. Natürlich haben die Angst um ihre Forschungsmittel, das kann man nachvollziehen. Die britische Regierung hat vergangene Woche daher angekündigt, die Mittel für das EU-Forschungsprogramm bis zum Jahr 2020 zu garantieren. Letztlich sind das alles katastrophale Folgen – und wir sprechen hier nur über die Reaktionen auf das Votum. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn der Brexit Wirklichkeit wird.

Es gibt Ängste, dass Großbritannien nach dem Brexit aus dem Erasmus-Programm ausgeschlossen wird. Teilen Sie die Sorge?

Natürlich. Wird die Regierung die Mittel ersetzen, wenn das passiert? Das bezweifele ich. Wenn man Erasmus stoppt, stoppt man den wichtigen Austausch für junge Menschen, der auch für ihre persönliche Entwicklung wichtig ist.

Es kommen nicht nur Erasmus-Studierende für ein Austauschjahr nach Großbritannien, sondern auch Studierende, die ihr gesamtes Studium dort absolvieren. Bisher zahlen sie dieselben Gebühren wie junge Briten und nicht die höheren Sätze für Nicht-EU-Ausländer. Können Sie garantieren, dass das so bleiben wird?

Die Regierung hat den Studienanfängern, die im Oktober starten, garantiert, dass die Gebühren drei Jahre lang nicht erhöht werden. Die entscheidende Frage ist jetzt: Wird es auch jenen garantiert, die 2017 starten? Unsere Universität hat schon versprochen, sogar ein Jahr länger an der Höhe der Gebühren nichts zu ändern. Unsere Studierenden beruhigt das. Viele andere Unis sind auf einmal sehr vorsichtig und warten lieber ab, was das Innenministerium macht. Ich dagegen sage: Der Brexit geschieht nicht in meinem Namen. Unsere Universität wird immer leidenschaftlich für einen Verbleib in der EU sein.

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

Welche Folgen der Brexit für das Austausch-Programm Erasmus haben könnte, lesen Sie hier.

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