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Margaret Sanger und ihre Unterstützerinnen, aufgenommen im Jahr 1924.

© imago/UIG

Heute vor 107 Jahren: Die Frau, die für Frauen kämpfte

Als in den USA jegliche Form sexueller Aufklärung verboten war, eröffnete Margaret Sanger Kliniken zur Geburtenkontrolle. Jetzt erlebt die USA wieder einen massiven Rückschritt.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

Es herrscht ein Chaos, von dem nur Frauen betroffen sind. Eine politische Entscheidung, die nur ihre Gesundheit aufs Spiel setzt und ihre Freiheit einschränkt. Im Juni 2022 kippte der Supreme Court in den USA das Abtreibungsrecht, das fast 50 Jahre lang galt. Abtreibungen waren bis zur 24. Schwangerschaftswoche erlaubt.

Nun liegt die Hoheit über die Gesetzgebung wieder bei den einzelnen US-Bundesstaaten. Es ist ein rechtlicher Flickenteppich entstanden. In vielen Staaten wird der Kampf um den Zugang zur Abtreibung immer noch vor Gericht ausgetragen, die Lage ist extrem unübersichtlich.

Von Alabama bis West Virginia verbieten inzwischen 21 Staaten den Schwangerschaftsabbruch. Die religiösen Rechte und Republikaner wollen jetzt auch den Zugang zu Mifepriston, einem Medikament, das von Medizinern per Post verschickt werden darf und von betroffenen Frauen Zuhause eingenommen werden kann, ebenfalls weitgehend einschränken.

Historiker:innen fühlen sich an eine Zeit Ende des 19. Jahrhunderts zurückversetzt, als ein Gesetz (Comstock Acts) in den USA die Verbreitung von Verhütungsmitteln wie Kondomen und jegliche „obszönen“ Informationen zur sexuellen Aufklärung unterband. Frauenrechtlerinnen wie Margaret Sanger hatten genug davon, dass Männer über die Körper von Frauen bestimmten.

Die Krankenschwester, selbst Mutter von drei Kindern, ließ Broschüren über Verhütung drucken und verteilte sie an New Yorker Frauen. 1914 gründete sie die Zeitung „Woman Rebel“ und klärte darin unter anderem darüber auf, wie anhand des Menstruationszyklus natürlich verhütet werden kann. Und obwohl Gegner versuchten, sie für ihre revolutionären Ideen strafbar zu machen, machte Sanger unbeirrt weiter.

Margaret Sanger (1879-1966) kämpfte für das Recht der Frau auf Kontrolle über den eigenen Körper.
Margaret Sanger (1879-1966) kämpfte für das Recht der Frau auf Kontrolle über den eigenen Körper.

© imago images/ZUMA Wire/Circa Images

Am 16. Oktober 1916, heute vor 107 Jahren, wurde in Brooklyn die von ihr gegründete Klinik zur Familienplanung eröffnet – und von der Polizei sofort geschlossen. Sanger musste für einen Monat ins Gefängnis. Als sie wieder herauskam, reiste sie durchs ganze Land, um über die Geburtenkontrolle aufzuklären, sich dafür einzusetzen, die Gesetzeslage zu ändern, und in Vorträgen, die sie auch in Kirchen hielt, andere Frauen für eine neue Bewegung zu gewinnen.

1921 gründete sie dann die „American Birth Control League“, den Vorläufer der International Planned Parenthood Federation (IPPF), Hunderte weiterer Kliniken zur Familienplanung wurden eröffnet. In empirischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass durch die Arbeit der Kliniken die Sterblichkeit von Frauen und Kindern stark zurückging.

Dank des Einsatzes der Frauenrechtlerin wurde auch die „Anti-Baby-Pille“ in den USA entwickelt und erstmals zugelassen. Kurz nach ihrem Tod wurden die Comstock-Gesetze abgeschafft.

Das strahlende Bild von Sangers feministischem Kampf ist aber auch getrübt. Historiker:innen berichteten, dass sie sich an einer neuen Strömung orientierte: der Eugenik. Zahlreiche Wissenschaftler:innen beschäftigten sich mit der Idee, dass die Menschheit verbessert werden könnte, indem vor allem gesunde Menschen mit Eigenschaften wie Intelligenz und Fleiß zur Fortpflanzung ermutigt werden sollten.

Sanger sprach auf Eugenik-Konferenz davon, dass Geburtenkontrolle eingesetzt werden sollte, um „den Prozess der Aussonderung von Untauglichen zu erleichtern und die Geburt von Gebrechlichen zu verhindern“. Einige Historiker:innen behaupten bei der Wiederbewertung ihrer Arbeit allerdings, ihr Engagement in dieser Bewegung habe politische Gründe gehabt – um Unterstützung für die Geburtenkontrolle zu gewinnen.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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