zum Hauptinhalt
Brutal faszinierend: die ikonische Duschszene von Hitchcock.

© imago/Cinema Publishers Collection/imago stock

Heute vor 63 Jahren: Wieso sich Menschen so gerne gruseln

Schrille Musik, extreme Nahaufnahmen und fleischige Soundeffekte beim Zustechen: Mit dem ikonischen Thriller „Psycho“ wurde Mord zur akzeptablen Form der Unterhaltung. Und die Menschen lieben die Qual.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

45 kurze Sekunden. 45 Sekunden, die aber so eindringlich sind, dass die Zuschauer:innen vielleicht nicht immer, aber doch öfter als ihnen lieb ist, beim Duschen daran denken müssen – und sicherheitshalber einen Blick hinter den Vorhang und zur Tür werfen. In der ikonischen Szene in Alfred Hitchcocks „Psycho“ wird die Sekretärin Marion Crane unter der Dusche in einem gruseligen Motel von Norman Bates, einem von seiner Mutter besessenem Psychopathen, brutal erstochen.

Der Thriller, der am 8. September 1960, heute vor 63 Jahren, in die amerikanischen Kinos kam, schockte das Publikum nicht nur mit dieser unerwarteten Wendung zu Anfang des Films, sondern brach mit einer grundsätzlichen Konvention. Mord, so beschrieb es Bret Easton Ellis, Autor des Romans „American Psycho“, wurde zur akzeptablen Form der Unterhaltung. „Es gab Gewalt im amerikanischen Film, aber nichts, was mit Psycho vergleichbar war – nichts so Intimes, nichts so Gestaltetes, nichts so Erbarmungsloses“, sagte er.

78 Kameraeinstellungen und 52 Schnitte wurden für die kurze Sequenz im Thriller vorgenommen. Untermalt wird sie von schrillen, lauten Geigenklängen, die an das Kreischen einer Frau erinnern, und gekennzeichnet von extremen Nahaufnahmen und Soundeffekten beim Zustechen, die einen immer wieder zusammenfahren lassen – weil sie genau so klingen könnten, wie wenn ein Messer menschliches Fleisch durchbohrt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Psycho ist nichts für schwache Nerven. Und trotzdem haben sich Millionen Menschen den Thriller angesehen.

Wieso quälen sie sich so gerne, freiwillig und stundenlang – und geben dafür noch Geld dafür aus? Forschende hatten lange zwei Hypothesen, um zu erklären, wieso Menschen Horrorfilme mögen. Erstens würden Zuschauer:innen nicht wirklich Angst haben, sondern von dem Film begeistert sein. Die zweite Hypothese lautet, dass sie bereit sind, den „visuellen Terror“ zu ertragen, um am Ende ein euphorisches Gefühl der Erleichterung zu genießen.

Ein Forschungsteam der University of California, Berkeley und University of Florida fand heraus, dass keine der beiden Theorien richtig ist. Ihrer Studie zeigte, dass Menschen in der Lage, gleichzeitig positive und negative Emotionen zu haben – die psychologische Distanzierung müsste jedoch vorausgesetzt sein.

Menschen könnten es, so die Autor:innen, also tatsächlich genießen, Angst zu haben – und nicht nur erleichtert sein, wenn die Bedrohung gebannt ist. Mit anderen Worten: Die Zuschauer:innen sind glücklich, unglücklich zu sein. Das könnte auch auf ähnliche Erfahrungen übertragen werden, wie Fallschirmspringen, Achterbahnfahren oder auch der Konsum von True-Crime-Dokus. „Die angenehmsten Momente eines bestimmten Ereignisses können auch die beängstigendsten sein“, so die Forschenden.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false