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Qual der Wahl. Menschen entwickeln ständig unbewusste Vorlieben.

© picture alliance / Bildagentur-o

Hirnforschung: Der Bauch hat nicht immer recht

Intuitive Entscheidungen basieren oft auf unbewussten Vorlieben. Das zeigen Experimente amerikanischer Forscher.

Im Lieblingsrestaurant ist die Sache klar: Man bestellt das Gericht, auf das man sich gefreut hat und ist zufrieden. Doch der Alltag besteht nicht nur aus Routine. Oft müssen wir uns schnell zwischen zwei unbekannten Optionen entscheiden, ohne auf eigene Erfahrungen zurückgreifen zu können. Aus dem Bauch heraus wählen wir eine von ihnen und haben dabei unbewusste Vorlieben.

„Das ist oft irrational“, sagt die Neurowissenschaftlerin Daphna Shohamy von der Columbia-Universität in New York. „Stellen Sie sich eine Party vor. Sie beobachten, wie sich John und Jane unterhalten. Später hält Jane netterweise den Aufzug für Sie fest, so dass Sie gerade noch die letzte U-Bahn erreichen.“ Das Gehirn speichert aber nicht nur diese Information. Stattdessen generalisiert es: John und Jane sind gute Menschen. „Dabei haben Sie nie ein Wort mit John gewechselt! Möglicherweise ist er ja ein Idiot“, sagt Shohamy. Nichtsdestotrotz würde man später lieber mit John als einem gänzlich Unbekannten zusammenarbeiten.

Dass wir solche Vorlieben entwickeln, ist nicht neu, unter anderem die Werbung wusste es längst. Doch was dabei im Hirn abläuft, war lange ein Rätsel. Daphna Shohamy und Elliot Wimmer beschreiben nun im Fachjournal „Science“, dass ausgerechnet der Hippokampus – eine daumengroße Hirnstruktur im Schläfenlappen – dabei eine wichtige Rolle spielt. Dieser Hirnteil sollte mit Wertzuschreibungen eigentlich nichts zu tun haben. Denn seit H.M., dem berühmtesten Patienten der Neurowissenschaft, hat man dessen Funktionen genau erforscht und glaubte, seine Aufgaben zu kennen.

H.M. sind die Initialen eines Namens. 1953 wurden dem Mann auf beiden Seiten die Hippokampi herausgeschnitten, um ihn von seiner Epilepsie zu befreien. Die Operation hatte eine Nebenwirkung: Fortan konnte er kaum noch neue Erinnerungen formen. Wenn er jemanden kennen lernte, vergaß er das Treffen fast sofort wieder. Bereits kurz nach einer Mahlzeit konnte er sich nicht mehr erinnern, was er gegessen hatte. Dagegen hatten Intelligenz und Langzeiterinnerungen an die Zeit vor der Operation keinen Schaden genommen. Außerdem konnte er durchaus neue Fertigkeiten lernen.

Nicht jede neue Erinnerung funktioniert nach dem gleichen Prinzip, schlossen daraus Forscher. Der Hippokampus ist für das semantische Gedächtnis (Fakten) sowie für das episodische Gedächtnis (Szenen aus dem eigenen Leben) zuständig, andere Hirnteile dagegen für das Lernen von Fertigkeiten (wie Fahrradfahren). Und das Belohnungssystem sorgt für Motivation, wenn es darum geht, erfreuliche Erfahrungen zu wiederholen. Die Arten des Erinnerns und das Entscheiden aufgrund früherer Erfahrungen wurden dementsprechend fein säuberlich getrennt voneinander untersucht.

Wie kann man dann neuen Optionen einen Wert zuschreiben, obwohl sie noch nie belohnt worden sind, fragten sich Shohamy und Wimmer. Sie vermuteten, dass es eine Verbindung zwischen dem episodischen Gedächtnis und dem Striatum, einem Teil des Belohnungssystems, gibt und sich der Effekt einer Belohnung so über assoziierte Erinnerungen verteilt.

Um diese These zu beweisen, machten sie drei Experimente: Zunächst zeigten sie 28 ahnungslosen Probanden neutrale Bilder, dabei folgte stets ein abstrakt gemusterter Kreis auf eine bestimmte Landschaft, ein Gesicht oder ein Körperteil. In der zweiten Phase tauchte auf dem Bildschirm im Scanner nach bestimmten Kreisen ein Bild von einem Dollarschein auf – wenn sie das Geld sahen und rechtzeitig einen Knopf drückten, wurde es ihnen ausgezahlt. In der dritten Phase zeigten die Forscher ihnen je zwei gleichartige Bilder und die Versuchspersonen sollten eines als „besser“ auswählen.

Die Probanden entschieden sich nicht nur öfter für Kreise, die in Phase zwei mit einer Belohnung verknüpft waren. Sie wählten auch öfter die Landschaft, das Gesicht oder das Körperteil aus, die in Phase eins vor dem jeweiligen Kreis gezeigt wurden – obwohl es bei dem Bild noch nie eine Belohnung gab. Je stärker in Phase zwei sowohl der Hippokampus und als auch Regionen der Sehrinde aktiviert waren, die normalerweise eine Landschaft, ein Körperteil oder ein Gesicht repräsentieren (obwohl zu dem Zeitpunkt nur Kreise zu sehen waren!), desto stärker war in Phase drei die Vorliebe für das mit dem Kreis verknüpfte Bild.

Das sei nicht nur für die Grundlagenforschung interessant, meint Shohamy. Der Mechanismus könnte zum Beispiel auch die Bedeutung des Umfeldes für Ex-Drogenabhängige erklären. „Die als positive empfundene Rauscherfahrung wird vermutlich auf Plätze und Menschen übertragen“, sagt Shohamy. „Also kehrt man nach dem Entzug wieder zu ihnen zurück – und wird rückfällig.“

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