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Der Historiker Friedrich Meinecke war ein Verfechter der Weimarer Republik und hoffte, mit bürgerlichen Allianzen die Demokratie zu stärken.

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Historiker Friedrich Meinecke und Weimar: Für ein „Brückenbauen nach rechts und nach links“

Der Historiker Friedrich Meinecke sah in den 1920er Jahren die gesellschaftliche Spaltung und den aufkommenden Extremismus in Deutschland mit großer Sorge. Mit einem Verbund der Hochschullehrer wollte er das akademische Lager gegen Hitler einen.

Ein Gastbeitrag von Bernd Sösemann

„Das bürgerliche Zeitalter ist dahin, was jetzt kommt, weiß niemand. Manche ahnen es dumpf“, meinte Tucholsky am 11. März 1920 und fragte sich angesichts einer wachsenden innenpolitischen Unruhe, „wohin treiben wir? Wir lenken schon lange nicht mehr“. Aufstände, der Hitler-Putsch und eine anhaltende Wirtschaftskrise steigerten die nationalistisch und völkisch getönte Verdrossenheit über den Parlamentarismus und Rechtsstaat. Wahlerfolge verfassungsfeindlicher Parteien erschwerten die Regierungsbildungen und minderten das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit demokratischer Politik. In den Monaten einer explodierenden Inflation nahmen Armut und Arbeitslosigkeit zu.

Mitte der zwanziger Jahre entschloss sich der Berliner Historiker Friedrich Meinecke (1862–1954) zu handeln. Er hielt die verbreitete Ablehnung der Weimarer Republik und des demokratisch gewählten, aber als „Schwatzbude“ diffamierten Reichstags für bedrohlich, weil sie die Sehnsucht nach einer Rückkehr der Monarchie und nach Experimenten à la Mussolini beförderte.

Die Verhärtung der sozialen Fronten und das Anwachsen des rassistischen Antisemitismus ließen ihn warnen: „Es geht ein Bedürfnis nach starker Vertrauensdiktatur durch das ganze moderne Staatsleben (…). Sie kann pathologisch entarten zur Gewaltdiktatur radikaler Minoritäten; (…) wir kennen die kleinen nationalistischen Mussolinis bei uns, die ähnliches versuchen möchten (…). Der soziale Unfriede besteht nicht mehr zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum überhaupt, sondern der Riß hat sich nach rechts verschoben und geht mitten durch das Bürgertum selbst hindurch.“

Und da das Vorurteil grassiere, mit Juden dürfe man nicht kooperieren, entstehe „eine große Verirrung und Verwirrung (durch) die Anwendung antisemitischer Stimmung auf die Politik (…): eine gute politische Sache wird dadurch gewiß nicht schlechter, daß sie auch von Juden vertreten wird.“

Und immer sei die Losung: Brücken zu bauen nach rechts und nach links.

Friedrich Meinecke

Meinecke erkannte mit besonderer Sorge die Verweigerungshaltung dem „System“ gegenüber im Bürgertum und unter Kollegen. Denn sie fand einen Widerhall auch unter Studenten, Adeligen und Unternehmern. Er forderte daher die deutsche Hochschullehrerschaft zur Gründung einer Vereinigung auf, die sich zu den staatstragenden Parteien und zum Sozialstaat bekennen sollte.

Allianzen gegen den Extremismus

„Um unsere Parteiverhältnisse mit Erfolg zu revidieren, müssen wir zuvor unsere Kulturideale revidieren“, so schrieb er, „die Kulturideale unserer bürgerlichen, unserer sogenannten gebildeten Schichten. (…) Ich vermisse das soziale und geistige Mitgefühl mit der Lage der handarbeitenden Klassen (…). Den Klassenkampf kann man nicht ausrotten, aber den Klassenhaß kann und muss man bekämpfen (…). Und immer sei die Losung: Brücken zu bauen nach rechts und nach links.“

Meineckes Vorhaben gelang. Mit rund einhundert Engagierten schuf er die „Vereinigung verfassungstreuer Hochschullehrer“, später umbenannt in „Weimarer Kreis der deutschen Hochschullehrer“ und in „Freie Vereinigung für Verfassungsreform“. Die Rednerliste auf den Tagungen im traditionsreichen Weimar liest sich wie ein Auszug aus dem Who‘s Who der deutschen Staats- und Geisteswissenschaften.

Renommierte Gelehrte wie Gerhard Anschütz, Walter Goetz, Adolf von Harnack, Wilhelm Kahl, Gustav Radbruch, Richard Thoma und Alfred Weber entwickelten Überlegungen zum Verhältnis von Staat und Universität sowie von Regierungen zu hochschulpolitischen Verbänden. Die Diskussionsprotokolle zu Themen wie Verfassungsrealität und Parlamentarismus bezeugten Entschlossenheit und Tatkraft.

Der soziale Unfriede besteht nicht mehr zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum überhaupt, sondern der Riß hat sich nach rechts verschoben und geht mitten durch das Bürgertum selbst hindurch.

Friedrich Meinecke über den Aufstieg der Nationalsozialisten

Die neue Edition „Friedrich Meinecke. Vernunftrepublikaner aus Überzeugung“ macht auf diesen bislang nur ungenügend erforschten Zusammenschluss der „Vernunftrebublikaner“ anhand einer Fülle von Dokumenten aufmerksam.

Meinecke war kein Judenfeind, im Gegenteil

Aus diesen geht auch hervor, dass einzelne judenfeindlich gefärbte Bemerkungen Meineckes nichts mit dem dogmatischen, rassistischen Antisemitismus zu tun haben, an den man heute in Kenntnis der millionenfachen Vernichtung in der NS-Diktatur denkt. In seinen Texten finden sich gelegentlich pauschale Äußerungen über jüdische Wissenschaftler („ein ausgeprägter Vertreter seiner Rasse“), Politiker und über die „antisemitische Zeitfrage“, die er rückblickend mehrmals bedauert hat.

Er hatte zum 19. Jahrhundert geschrieben: „Die Juden, die dazu neigen, eine ihnen einmal lächelnde Gunst der Konjunktur unbedacht zu genießen, hatten mancherlei Anstoß erregt seit ihrer vollen Emanzipation. Sie haben viel beigetragen zu jener allmählichen Entwertung und Diskreditierung der liberalen Gedankenwelt“. Und nach dem Zusammenbruch der Monarchie urteilte er: „Zu denen, die den Becher der ihnen zugefallenen Macht gar zu rasch und gierig an den Mund führten, gehörten auch viele Juden. Nun erschienen sie allen antisemitisch Gesinnten als die Nutznießer der deutschen Niederlage und Revolution“.

Das NS-Regime lehnte er vehement ab

Meineckes Schriften und Korrespondenzen belegen insgesamt jedoch seine „tiefe Distanz zum NS-Regime“; einige können „geradezu als widerständig gelten“, schreibt die Historikerin Gisela Bock. Vier seiner Schülerinnen jüdischer Herkunft mussten neben zwölf Schülern emigrieren; die getaufte Lisa Eppenstein wurde im Ghetto Lublin ermordet.

Die Edition zeigt auch, dass für Meinecke das Jahr 1933 eine Katastrophe war. Doch sogar in den Monaten einer sich steigernden Hetze der Nationalsozialisten im Parlament und eines Terrors auf den Straßen verstummten die Vernunftrepublikaner nicht.

Es sei nötig, „solange das Köpferollen“ noch nicht begonnen habe, „die Nazibewegung (…) schrittweise zurückzudrängen“, erklärte Meinecke am 22. Februar 1933 unmissverständlich in der „Berliner Volkszeitung“: „Die angespannte Lage könne in eine „Revolution von oben, eine jahrelange Knechtung der einen Volkshälfte durch die andere“ umschlagen und zur „faschistischen Diktatur“, (…) scheinlegale[n] Beseitigung unserer Verfassungsgrundlage und inneren Freiheit“ führen. Man könne nicht darauf bauen, dass sich die NSDAP werde kanalisieren und Hitler einrahmen lassen.

Machtergreifung Hitlers als Beginn der Katastrophe

Die sich im Rückblick aufdrängende Erkenntnis, die Verfassungsfreunde hätten zwar in vielerlei Hinsicht das politisch Notwendige erkannt, seien aber letztlich gescheitert, dürfte für die Beteiligten quälend gewesen sein. Meinecke schätzte 1931 seine Aktion für die Republik und gegen die braune Springflut positiv ein. Mit der Vereinigung hatte er dem „geistige(n) und politische(n) Gegenlager zu Hitler“ eine Stimme in der bürgerlich-akademischen Öffentlichkeit gegeben. Mit seinen Beiträgen in der Tagespublizistik hatte er nachdrücklich vor den sozialpolitischen Gefahren des fortschreitenden Auseinanderdriftens von bildungs- und besitzbürgerlichen Gruppierungen gewarnt.

Im KZ sei „auch der letzte Hauch christlich-abendländischer Gesinnung und Menschlichkeit“ erstorben, hält er zum Nationalsozialismus fest. Und in seiner Schrift „Die deutsche Katastrophe“ (1946) betont er mit Blick auf die Niederlage Deutschlands gegen die Alliierten: „Die hier gebotenen Betrachtungen sind nicht erst eine Frucht der heute eingetretenen Endkatastrophe. Ich habe von vornherein die Machtergreifung Hitlers als den Beginn eines allergrößten Unglücks für Deutschland angesehen und meine Auffassung in zahllosen Gesprächen mit urteilsfähigen Zeitgenossen immer wieder überprüft und vervollständigt“.

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