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Vier Intensivmediziner:innen stehen in Schutzanzügen an einem Krankenbett.

© Carl Gierstorfer/DOCDAYS/rbb/dpa

Hoffnung auf einen Ruck durch Corona: Wissenschaftsrat fordert herausgehobene Rolle für die Universitätsmedizin

Es geht um mehr Geld für komplexe Therapien an den Uniklinika, aber auch um Spielräume für Innovationen und Politikberatung. Da ist der Bund gefragt.

Der Wissenschaftsrat fordert, dass die "Schlüsselrolle" der deutschen Universitätsmedizin in der Coronakrise anerkannt wird - und die Klinika auch finanziell besser gestellt werden. System- und Zukunftsaufgaben sollten "im Rahmen einer dauerhaften, zusätzlichen Finanzierungssäule aus öffentlichen Mitteln gefördert werden", heißt es in einer Empfehlung des höchsten Beratungsgremiums von Bund und Ländern in Fragen von Forschung und Lehre.

„Die Krise hat uns erneut gezeigt, dass die Universitätsmedizin mehr ist als nur ein Krankenhaus mit angelagerter Wissenschaft: Sie ist eine Einrichtung eigenen Typs mit erheblichem Potenzial für das Gesundheitssystem, das wir besser als bisher nutzen sollten", erklärte Dorothea Wagner, die Vorsitzende des Wissenschaftsrats am Montag anlässlich der Präsentation der Empfehlung "Zur künftigen Rolle der Universitätsmedizin zwischen Wissenschafts- und Gesundheitssystem".

Expert:innen in den Uniklinika sollen die Gesundheitsversorgung - auch jenseits der Pandemie - "in einer weiter gefassten, koordinierenden und konzeptionellen Funktion mitgestalten". Dafür müssten zu den drei klassischen Aufgabenbereichen der Unimedizin, nämlich der Forschung, der Lehre und der Krankenversorgung, als vierte Säule "System- und Zukunftsaufgaben" hinzukommen.

Die Pandemie und andere Herausforderungen

Um welche Aufgaben könnte es konkret gehen? Darüber sollten Bund und Länder sowie Wissenschafts- und Gesundheitspolitik ein "einheitliches Verständnis" entwickeln, heißt es. Wagner sieht große neue Herausforderungen für das Gesundheitssystem: "Die Pandemie ist nicht die einzige Herausforderung für unser Gesundheitssystem und – mit Blick auf den demographischen Wandel und Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes – auch nicht die letzte."

Zentral ist es für die Arbeitsgruppe im Wissenschaftsrat, die das Papier erarbeitet hat, die Universitätsmedizin finanziell besser auszustatten. Dabei geht es zum einem um die schon lange umstrittenen DRGs (Diagnosis Related Groups), nach denen Diagnose- und Therapiegruppen von den Krankenkassen vergütet werden.

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Von den DRGs nicht angemessen erfasst würden aber drei Segmente, die an Uniklinika besonders häufig vorkommen: die Notfallversorgung sowie komplexe und seltene Erkrankungen, sagte Axel Haverich, Mitglied der Arbeitsgruppe und Direktor der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Herz-Lungen-Transplantation, aber nur ein Organ wird "abgerechnet"

Müssten beispielsweise Herz und Lunge gleichzeitig transplantiert werden, "gibt es nach den DRGs nur die Möglichkeit Herz oder Lunge abzurechnen" - ohne jeglichen Ausgleich für die Folgekosten der anderen Krankheit beziehungsweise Therapie.

Notwendig wäre zum anderen aber auch eine "Finanzierung unserer Sonderaufgaben", die nicht von den Kostenträgern übernommen werden, so Haverich. Dabei handelt sich um Aufgaben jenseits der Krankenversorgung, etwa in der Prävention, Rehabilitation und Pflege. Hinzu kommen Wissenschaftskommunikation und Politikberatung.

[Lesen Sie auch diesen Artikel von Hannes Heine auf Tagesspiegel Plus: Die Charité zieht Lehren aus der Pandemie]

Michael Roden, Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, der die Arbeitsgruppe leitete, erklärte die finanzielle Schieflage der Universitätsmedizin mit stagnierenden Grund- und Drittmitteln, unzureichenden Investitionen in die Ausstattung - und steigenden Fallzahlen. Letztere würden zwar auch zu steigenden Einnahmen führen, die Uniklinika aber nicht angemessen seien. "Wir werden zu oft auf die Rolle eines normalen Krankenhauses reduziert."

Baden-Württemberg plant ein Dach für seine Unimedizin

"Von hoher Relevanz und brisant in ihren Aussagen" sei die Empfehlung des Wissenschaftsrats, sagte Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), die das Papier im Verwaltungsrat auf der Länderseite des Gremiums mit verabschiedet hat. "Es darf kein Unfall oder Zufall sein, welche Rolle die Universitätsmedizin im Wissenschaftssystem einnimmt."

Die Covid-19-Pandemie sollte ein Anlass sein, um bei der Finanzierung und bei der strategischen Stellung der Uniklinika etwas zu verändern, appellierte Bauer. Deutschland hätte "die Pandemie nicht so bewältigt", wenn nicht die Uniklinika eine zentrale Rolle bei der Behandlung der am schwersten Erkrankten, bei der Verteilung der Patienten und bei der Forschung zu Covid-19 gespielt hätten.

In Baden-Württemberg will Bauer die vier universitären Krankenhäuser jetzt "in einer landesweiten Struktur zusammenführen" und gleichzeitig alle Beteiligen vom Ministerium über die Forschenden bis hin zu Krankenkassen und Unternehmen an einen Tisch bringen. Hinzukommen solle ein Förderprogramm, um die Zusammenarbeit von Uniklinika und regionalen Krankenhäusern zu verbessern.

Bundesweit etwas bewegen könne aber nur eine Einigung auf die "vierte Finanzierungssäule" als Bund-Länder-Aufgabe - ein Thema schon für die Bundestagswahl, wie Theresia Bauer findet.

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