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Rasterelektronenmikrographie von T-Zellen und Krebszellen im Hirn. Die CAR-T-Zell-Therapie wird seit wenigen Jahren in der Krebsmedizin eingesetzt. In der aktuellen Studie wurde die CAR-T-Zell-Therapie zum ersten Mal jenseits der Krebsmedizin angewandt: bei fünf Menschen mit systemischen Lupus erythematodes (SLE).

© Science Photo Library

Hoffnung auf Heilung?: Forscher stellen Therapie gegen Autoimmunerkrankung vor

Fünf Patienten mit Lupus wurden erfolgreich behandelt. Der Ansatz könnte auch bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose helfen.

Von Walter Willems, dpa

Der bisherige Erfolg lässt selbst die Fachwelt staunen: Bei einer als nicht heilbar geltenden schweren Autoimmunerkrankung führt eine ursprünglich gegen Krebs entwickelte Therapie bisher zu weitgehender Symptomfreiheit.

Bislang wurde das Verfahren zwar nur an einer Handvoll Menschen am Uniklinikum Erlangen getestet, doch unabhängige Experten sind beeindruckt: „Die Daten sind so eindeutig, dass ich erwarte, dass sie in größeren Studien reproduziert werden“, sagt etwa der Immunologe Falk Hiepe von der Berliner Charité. Die Mediziner aus Erlangen wollen die Behandlung nun auch bei anderen schweren Autoimmunerkrankungen prüfen.

Im Fachblatt „Nature Medicine“ beschreibt das Team um den Immunologen Georg Schett den Einsatz der sogenannten CAR-T-Zell-Therapie bei Menschen mit schweren Formen der Erkrankung Lupus erythematodes. Die Behandelten sind seit der Therapie weitgehend symptomfrei, sagt Schett, bis heute seit fünf bis 20 Monaten. Schwere Nebenwirkungen, die bei diesem Verfahren in der Krebstherapie durchaus auftreten können, beobachtete die Gruppe nicht.

20 Monate sind bei dieser Erkrankung schon ein sehr langer Zeitraum.

Martin Aringer, Rheumatologe am Uniklinikum Dresden

Bislang ist unklar, ob sich der Erfolg bei den fünf Behandelten von Dauer ist und ob er sich auf andere Patientinnen und Patienten übertragen lässt. Doch ein unabhängiger Experte spricht von einem Durchbruch: „Es ist überraschend, dass wir einen so durchgreifenden Erfolg sehen“, sagt der Rheumatologe Martin Aringer vom Uniklinikum Dresden. „Das bringt das Forschungsfeld weiter.“ Möglicherweise könnte der Ansatz auch gegen einige andere Autoimmunerkrankungen wie etwa Multiple Sklerose helfen, glaubt er.

Die CAR-T-Zell-Therapie wird erst seit wenigen Jahren in der Krebsmedizin eingesetzt, hat sich aber gegen bestimmte Leukämien und Lymphome bereits etabliert. Dort funktioniert sie so: Einem Patienten wird Blut entnommen.

Ein Teil der weißen Blutkörperchen, die T-Zellen des Immunsystems, werden dann im Labor gentechnisch so verändert, dass sie auf ihrer Oberfläche einen bestimmten Rezeptor tragen: einen sogenannten Chimären Antigen-Rezeptor (CAR). Per Transfusion bekommen die Patienten dann diese CAR-T-Zellen zurück.

Die sollen dann im Körper mit Hilfe des Rezeptors gezielt Krebszellen aufspüren und eliminieren. Allerdings gibt es einen gravierenden Nachteil: Im Verlauf der Behandlung kann es zu neurologischen Komplikationen kommen, aber auch zu äußerst heftigen Entzündungsreaktionen, sogenannten Zytokinstürmen. Sie sind eine drastische Überreaktion des Immunsystems.

Erkrankung verläuft schubweise

Das Team um Schett berichtet nun vom ersten Einsatz der CAR-T-Zell-Therapie bei Menschen jenseits der Krebsmedizin. Dabei geht es um systemischen Lupus erythematodes (SLE). Diese rheumatische Erkrankung, die schubweise verläuft, betrifft überwiegend Frauen, wird meist im Alter von 15 bis 30 Jahren diagnostiziert und ist bislang nicht heilbar.

Die Schwere der chronisch-entzündlichen Erkrankung kann äußerst unterschiedlich sein und von milden bis hin zu lebensbedrohlichen Formen reichen. Dabei können von B-Zellen des Immunsystems gebildete Antikörper ein großes Spektrum von Symptomen verursachen: von charakteristischer Röte auf den Wangen – dem sogenannten Schmetterlingserythem –, über bleierne Müdigkeit und Gelenkbeschwerden bis hin zu Schäden am Nervensystem und an inneren Organen wie Herz, Lungen und Nieren.

Die bisherigen Therapien hängen vom individuellen Verlauf ab und umfassen – je nach Schwere der Erkrankung – eine Vielzahl unterschiedlicher Medikamente: etwa Malaria-Mittel, Entzündungshemmer, Immunsuppressiva oder verschiedene Antikörper.

Die nun in einem individuellen Heilversuch behandelten vier Frauen und ein Mann im Alter von 18 bis 24 Jahren hatten lebensbedrohliche Formen der Erkrankung, unter denen Nieren, Herz, Lungen und Gelenke litten. Weil bei ihnen keine Behandlung mehr anschlug, kamen sie für den Heilversuch mit der Immuntherapie infrage.

T-Zellen wurden im Labor verändert

Ihre T-Zellen aus dem Blut wurden im Labor so verändert, dass sie den Rezeptor CD19, den speziell B-Zellen auf ihrer Oberfläche tragen, erkennen und diese Zellen eliminieren: Denn die B-Zellen sind bei SLE hauptverantwortlich für die Bildung jener Antikörper, die die Probleme verursachen.

Anschließend bekamen die Teilnehmerinnen und der Teilnehmer pro Kilogramm Körpergewicht eine Million dieser CAR-T-Zellen verabreicht. Diese breiteten sich bis zum Tag 9 nach der Infusion im Körper so weit aus, dass sie elf bis 59 Prozent aller zirkulierenden T-Zellen stellten. Danach sank der Anteil zwar wieder, doch die Besserung dauerte an.

300.000
Euro kann die Therapie kosten

Ab dem dritten Monat trat bei den Behandelten eine deutliche Besserung ein, bis heute dauere diese Remission fünf bis 20 Monate an, sagt Studienleiter Schett. Besonders wichtig: Die Teilnehmenden blieben auch dann noch beschwerdefrei, als nach durchschnittlich etwa 100 Tagen wieder B-Zellen auftauchten. Das spreche dafür, dass diese neugebildeten B-Zellen „harmlos“ seien und keine Autoimmun-Reaktionen mehr hervorriefen, sagt Schett. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass das tatsächlich funktioniert.“

Die Mediziner Andreas Mackensen (l.) und Georg Schett (r.) mit ihrer Patientin Thu-Thao V. (Mitte). Thao wurde mit CAR-T-Zellen behandelt.

© Alessa Sailer/Uniklinikum Erlangen

Generell hätten die Patientinnen und der Patient die Behandlung gut vertragen, schreibt das Team, drei der fünf Personen hatten zwei bis drei Tage Fieber. Anscheinend wird die Therapie bei Lupus wesentlich besser vertragen als bei Krebserkrankungen.

„Diese Daten deuten darauf hin, dass der Transfer von CD19-CAR-T-Zellen machbar, verträglich und hocheffektiv ist“, schreiben die Mediziner. Angesichts der kleinen Teilnehmerzahl sei jedoch unklar, ob bestimmte Patienten besonders geeignet seien für die Therapie und andere nicht.

Noch könne man nicht sicher sagen, ob die zugrundeliegende Immunstörung der Patientinnen und Patienten behoben sei – ob man also von Heilung sprechen kann. Dafür gebe es aber Hinweise. „Der lange krankheitsfreie Zustand, der bei den ersten beiden Patienten trotz Rückkehr von B-Zellen beobachtet wurde, der dauerhaft fehlende Bedarf für eine Immunsuppression, das Ausbleiben jeglicher SLE-Schübe und die Wiederbesiedlung mit harmlosen B-Zellen stützen die Idee, dass nach einer CAR-T-Zell-Therapie ein Neustart des Immunsystems erfolgen kann.“

Einsatz vermutlich bei schwerkranken Menschen

Der Dresdner Experte Aringer geht davon aus, dass der Therapieerfolg andauern wird. „20 Monate sind bei dieser Erkrankung schon ein sehr langer Zeitraum“, sagt der Internist und Rheumatologe, der dem Vorstand der Lupus erythematodes Selbsthilfegemeinschaft angehört. „Die Daten sind eindrucksvoll, und die Patientinnen und der Patient haben ohne jeden Zweifel davon profitiert.“

Angesichts des aufwendigen Verfahrens und der damit verbundenen Kosten geht Aringer zwar nicht davon aus, dass das Verfahren zu einer Routinetherapie wird. „Aber bei schwerkranken Menschen wird man künftig daran denken.“

Der Immunologe Thomas Dörner von der Berliner Charité ist „sehr enthusiastisch über diese Ergebnisse“, gibt aber zu bedenken, dass die fünf Behandelten noch sehr jung waren. „Bei älteren SLE-Patienten, die aufgrund der Erkrankung über viele Jahre chronische Entzündungen erleiden und häufig Cortisonbehandlungen erhalten haben, kann man die irreversiblen Folgen der Entzündung nicht so zurückdrängen.“

Größere Studie geplant

Das Team um Schett will die Behandlung ab Anfang des kommenden Jahres in einer größeren Studie prüfen: Daran teilnehmen können laut Schett nicht nur Menschen mit Lupus erythematodes, sondern auch solche mit zwei weiteren schweren Autoimmunerkrankungen: der Muskelerkrankung Myositis sowie der systemischen Sklerose, auch Sklerodermie genannt.

Grundsätzlich, so Schett, käme die CAR-T-Zell-Therapie für alle Autoimmunerkrankungen infrage, bei denen B-Zellen eine entscheidende Rolle spielen. Dazu zählten auch Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis oder blasenbildende Hauterkrankungen.

Ob und – falls ja – wann das Verfahren für SLE auf den Markt kommt, ist unklar. Zulassungsstudien, so betont Schett, müssten von Pharmafirmen durchgeführt werden, die die nötigen Mittel zur Finanzierung aufbringen könnten. Welchen Preis diese im Falle einer Markteinführung für die Therapie verlangen dürften, ist ebenfalls offen. In der Krebsmedizin ist die einmalig verabreichte CAR-T-Zell-Therapie sehr kostspielig: Sie kostet etwa 250.000 bis 300.000 Euro.

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