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Ein Besucher in der Halle der Namen in Yad Vashem.

© picture alliance/dpa

Internetportal vernetzt Holocaust-Archive: Die Erinnerung wachhalten

Das neue Internetportal EHRI führt digitalisierte Quellen zum Holocaust zusammen. Auch Laien soll das Recherche-Instrument ansprechen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Die letzten Zeugen der im Zuge der Shoah von Nazideutschland und seinen Helfern verübten Verbrechen werden bald nicht mehr am Leben sein. Der Holocaust ist zur Geschichte geworden, wie es der britische Historiker Tony Judt formuliert hat. Sind die letzten Holocaust-Überlebenden erst verschwunden, wird es mehr denn je die Aufgabe der Wissenschaft sein, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der europäischen Geschichte lebendig zu halten.

Gut 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz präsentierte sich jetzt in Berlin das Internetportal „European Holocaust Research Infrastructure“, kurz EHRI, der Öffentlichkeit. Das von der EU geförderte Projekt soll die überall auf der Welt verstreuten Ressourcen der Holocaustforschung zusammenzuführen. Die Webseite bündelt Material von mehr als 1800 Archiven aus 51 Ländern, um die Internationalisierung der sprachlich und disziplinär überaus heterogenen Holocaustforschung zu forcieren.

Die Quellen von Tätern und Opfern zusammenführen

Die Benutzeroberfläche ist auf Englisch gehalten. Gibt man zum Beispiel das Wort „Jewish Council“, den englischen Begriff für den von den Nazis häufig in den Ghettos eingesetzten „Judenrat“, in das Suchfeld ein, erhält man mehr als 25 000 Verweise in insgesamt elf Sprachen, die von den verschiedensten Institutionen auf der ganzen Welt bereitgestellt werden – vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington bis zu den Finnish Jewish Archives. Ähnlich verhält es sich etwa mit Begriffen, wie „Thessaloniki“ oder „Ukraine“.
Die Plattform habe auch integrative Funktion, sagte Conny Kristel, Projektdirektorin von EHRI. Sie befördere das europäische Zusammenwachsen auf wissenschaftlicher Ebene. EHRI ist dabei nicht nur eine digitale Infrastruktur, sondern auch Netzwerk für Forscherinnen und Forscher aus aller Welt, die ihre Ergebnisse dort zusammentragen und diskutieren können. Für Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, ist es eine Aufgabe des Portals, die De-Hierarchisierung des Wissens zu fördern. Den Primat der Quellen zur Shoah bilden nach wie vor die Zeugnisse der Täter, was vor allem daran liegt, dass die Dokumente der Opfer häufig zerstört wurden oder sich in aller Welt verstreuten. Deshalb sei es richtig, dass sich das Portal in einem ersten Schritt auf die Opferperspektive konzentriere, Schüler- Springorum. Nur in einer Zusammenführung von Täter- und Opferquellen sei ein umfassendes Bild der Geschichte möglich.

Ein Gegenmittel gegen revisionistische Positionen?

Nicht zuletzt spielt EHRI aber auch eine große Rolle bei der Demokratisierung und der Verbreitung von Wissen. Ein solches Programm sei heute von besonderer Bedeutung, sagte Conny Kristel, da revisionistische Positionen in Europa noch immer Konjunktur hätten und in den spätgeborenen Generationen zuweilen schlichtes Unwissen grassiere. So soll das Portal nicht bloß Tummelplatz für Experten sein, sondern auch dem Laien ein Informations-Instrument an die Hand geben, das einen schnellen Zugang zu einer Fülle von Material ermöglicht. Das Sharing-Data-Prinzip folge der Idee einer offenen Gesellschaft, in der Wissen für jeden frei verfügbar sei, betonte Sander Decker, holländischer Staatssekretär für Wissenschaft und Bildung. Das Portal soll die Erinnerung an die Shoah schließlich auch in die europäischen Klassenzimmer tragen, um die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart bewusst zu halten.

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