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© p-a/dpa

Koalitionsvereinbarung: Neue Stipendien, aber kein Flug zum Mond

Bildungs- und Forschungspolitik schwarz-gelb: Gemischte Reaktionen auf die Koalitionsvereinbarungen. Einigen fehlt soziale Gerechtigkeit, andere bejubeln dagegen höhere Investitionen.

Mehr Geld für die Forschung, Stipendien für die besten Studierenden, dagegen wenig Konkretes zum Bafög und zu umstrittenen Forschungsthemen wie den Stammzellen: Auf sieben der 124 Seiten des Koalitionsvertrages haben Union und FDP festgehalten, wie sie sich in den kommenden vier Jahren die Entwicklung von Bildung und Forschung vorstellen.

An den Vereinbarungen scheiden sich die Geister: Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, jubelt, CDU und FDP hätten „angesichts der prekären Haushaltslage hervorragende Ergebnisse erzielt“. Der Philologenverband freut sich über „starke Worte und konkrete Zahlen“. Kritisch äußern sich dagegen andere Lehrer- und Erzieherverbände: Die Vereinbarungen seien „kein Programm für mehr Chancengleichheit“, moniert etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Die alte und neue Bundesbildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) wollte sich am Montag auf Anfrage nicht zu den Koalitionsvereinbarungen äußern. Bei dem Vertrag handele es sich um „Willensbekundungen“ der Koalitionäre, sagt ein Sprecher. Erst in den nächsten Tagen und Wochen werde eine „Feinjustierung“ der konkreten Inhalte erfolgen. Hier die wichtigsten Punkte im Bereich Bildung und Forschung.

Bildungsfinanzierung: Stipendien und Konten für Kinder

„Bildungsrepublik Deutschland“ ist der Passus zu Bildung und Forschung im Koalitionsvertrag überschrieben. Er beginnt mit einem Bekenntnis zu „mehr Chancengerechtigkeit am Start“ – „mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen“ sowie den „besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen“. Da diese „starken Worte“ durch Zahlen und konkrete Projekte unterfüttert seien, würden ihnen sicher auch Taten folgen, sagt der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Erfreulich sei etwa, dass der Bund die Hochbegabtenförderung zum Programm mache. Das gesamte Bildungsprogramm konzentriere sich auf die „Besten“, merken dagegen Kritiker an. Viel sei die Rede von exzellenten Schülern, Studierenden und Wissenschaftlern, wenig aber von jenen, die im Bildungssystem aus sozialen Gründen benachteiligt sind.

Hat der Vertrag eine Schlagseite zugunsten besser verdienender Bildungsbürger? Auf die Frage, wie man die Schere zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen schließt, gäben die Absichtserklärungen zur Bildung jedenfalls keine Antwort, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender der Lehrer- und Erziehergewerkschaft VBE (Verband Bildung und Erziehung). Das Zukunftskonto, auf das der Staat 150 Euro Startguthaben für die Ausbildung einzahlen will, gehe an den Möglichkeiten sozial schwacher Familien vorbei. Von den Prämien, die Einzahler erhalten sollen, würden Besserverdienende profitieren – andere könnten sich Geldgeschenke kaum leisten. Die Zukunftskonten seien „ein weiteres Element zur Privatisierung des öffentlichen Bildungswesens“, kritisiert GEW-Chef Ulrich Thöne. Es sei „zynisch“, Großeltern und Paten aufzurufen, die mangelhafte staatliche Bildungsfinanzierung zu ergänzen.

Das geplante Stipendiensystem ist für Beckmann eine „Eliteförderung“: Die 300 Euro monatlich sollen die zehn Prozent der Studierenden mit den besten Leistungen erhalten. Anwärter seien Studierende mit bildungsbürgerlichen Eltern, die dank der häuslichen Unterstützung gute Schulnoten und exzellente Studienleistungen bringen könnten. Durch das Stipendiensystem sollten Probleme gelöst werden, „die durch die Einführung von Studiengebühren überhaupt erst entstanden sind“, erklärt Doris Ahnen (SPD), rheinland-pfälzische Bildungsministerin. Grundsätzlich positiv bewertet die Hochschulrektorenkonferenz das Stipendienprogramm. Problematisch sei allerdings, dass die Mittel aus der Wirtschaft und von Privatpersonen allein von den Hochschulen eingeworben werden sollen, erklärt HRK-Präsidentin Margret Wintermantel.

Was wird aus dem Bafög, der Förderung für Studierende aus Familien mit geringem Einkommen? Die Koalition will es „sichern und weiterentwickeln“. Das sei enttäuschend wenig, kritisiert die HRK-Präsidentin. Die geforderte Anhebung der Einkommensgrenzen falle offensichtlich aus. „Weiterentwicklung“ heiße, dass solche Fragen überprüft werden, kontert Patrick Meinhardt, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Meinhardt weist Kritik an der sozialen Ausgewogenheit der Beschlüsse zurück: So wolle der Bund Bildungschecks kommunaler Anbieter mitfinanzieren, die etwa Schülern zugute kommen sollen, die sich Nachhilfe nicht leisten könnten.

Investitionen

12 Milliarden Euro zusätzlich versprechen Union und FDP bis 2013. Etwa drei Milliarden werden in den Hochschulpakt für mehr Studienplätze, die Fortsetzung der Exzellenzinitiative sowie die Extraförderung für außeruniversitäre Institute fließen. Die Koalition berücksichtige „in hohem Maße die Wünsche und Anliegen der Wissenschaft“, sagt DFG-Präsident Matthias Kleiner. Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Studentenwerks, kritisiert dagegen, es würde nicht beantwortet, wie die Lehre verbessert werden kann und wie man günstigere Betreuungsrelationen herstellen will.

Im Ungefähren bleibt auch, wie Deutschland bis 2015 seine Bildungs- und Forschungsausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes anheben will. Der Bund sieht seinen Anteil mit den zusätzlichen Milliarden als erfüllt an. Aus der FDP heißt es, die Wirtschaft müsse 2015 etwa 12 Milliarden Euro mehr aufbringen, die Länder etwa zehn Milliarden mehr. Dazu will der Bund nicht näher benannte Anreize schaffen.

Sprachförderung

Die Bundesregierung „unterstützt verbindliche bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für alle Kinder im Alter von vier Jahren“. Um das zu finanzieren müsse der Bund die Föderalismusreform zurückdrehen, sagt Priska Hinz, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Ministerin Ahnen aus Rheinland-Pfalz merkt an, dass vorschulische Sprachtests in den Ländern bereits üblich seien. Der Vorteil eines bundesweiten Tests erschließe sich nicht.

Raumfahrt

„Deutschland braucht klare Ziele in der Raumfahrt. Dafür wird eine eigenständige Raumfahrtstrategie mit klaren Missions- und Technologiezielen innerhalb eines Jahres weiterentwickelt“, heißt es in der Vereinbarung – mehr nicht. Damit ist die deutsche Mondmission erledigt, bei der ein Roboter auf dem Erdtrabanten landen sollte. Diese Idee hatte der damalige Raumfahrtkoordinator Peter Hintze (CDU) im Sommer vorgestellt. Das 1,5-Milliarden-Projekt wurde nach Angaben von FDP-Forschungsexpertin Ulrike Flach nicht einmal in die Verhandlungen eingebracht. Sie ist „enttäuscht“, dass auch die von ihr favorisierte Mission „Leo“, bei der ein deutscher Satellit den Mond umkreisen und genau vermessen soll, nicht mehr explizit erwähnt wird. „Es wird sehr schwer werden, diese Mission zu starten“, sagte sie. Das Vorhaben würde rund 400 Millionen Euro kosten. Er freue sich, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Raumfahrt erkannt habe, sagte Johann-Dietrich Wörner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Was die nationale Strategie zu diesem Thema betreffe, sei das DLR "in der Lage und in der Verantwortung", einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.

Stammzellen und Gentechnik

Beim Thema der Stammzellforschung versucht der Koalitionsvertrag einen Spagat. Man wolle die Chancen der Stammzellforschung auch in Deutschland wahrnehmen, heißt es. Andererseits „erfolgt diese ethisch sensible Forschung auf dem Boden des geltenden Rechts und im Dialog mit allen gesellschaftlichen Akteuren“.

Ähnlich zwiespältig ist auch das Echo der Forschergemeinde. Man sei enttäuscht, ist zu hören. Die Wissenschaft habe auf einen FDP-Minister oder zumindest die Brandenburgerin Katherina Reiche (CDU) gehofft, die sich beim Thema Stammzellen aufgeschlossener gezeigt habe, als ihre Parteifreundin Schavan. Für den Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle ist hingegen bereits die Erwähnung der Stammzellforschung ein positives Signal: „Das zeigt, dass dieses Thema als Zukunftstechnologie wahrgenommen und weniger verkrampft angefasst wird.“

Auch die Grüne Gentechnik will die künftige Regierung unterstützen, zumindest deren „verantwortbare Potenziale“. Es sollen rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Bundesländer „flexibel und eigenständig“ Abstände zwischen Feldern mit herkömmlichen und genetisch manipulierten Pflanzen festlegen können.

Energieforschung

Die Schwerpunkte sollen bei der Steigerung der Energieeffizienz, Speichertechniken, intelligenter Netztechnik und Biokraftstoffen der zweiten Generation liegen, schreiben die Koalitionäre in ihrer Vereinbarung. Im Verkehrssektor soll als „mittel- bis langfristige Alternative zu fossilen Brennstoffen“ die Elektromobilität ausgebaut werden. „Wir freuen uns, dass festgeschrieben wurde, dass Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität werden soll und auch die nötigen Voraussetzungen wie Materialforschung gestärkt werden“, sagt Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Ein massenhafter Einsatz von E-Fahrzeugen dürfte allerdings den Strombedarf deutlich steigen lassen. In diesem Zusammenhang bietet die Forderung nach einer „technologieoffenen Energieforschung“ im Koalitionspapier viel Raum für Interpretationen – trotz der schriftlichen Zusage zum Neubauverbot für Kernkraftwerke.

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