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Forscher Svante Pääbo mit einem Neandertaler-Skelett

© dpa

Kolumne "Was WISSEN schafft": Das Menschliche steckt nicht in den Genen

Forscher können inzwischen uraltes Erbgut von Neandertalern und anderen Urmenschen lesen. Doch das Rätsel der Menschwerdung lässt sich damit nicht lösen.

Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren“, so lässt Franz Kafka den Mensch gewordenen Affen Rotpeter seinen „Bericht an eine Akademie“ beginnen. In der Realität dauerte es wohl ein paar Jahre länger, bis sich aus affenähnlichen Vorfahren der Homo sapiens entwickelt hatte, der „weise Mensch.“ Heute verfolgt eben dieser Mensch aufgeregt jede neue Erkenntnis der Forschung zu seiner eigenen Evolution.

Was derart fasziniert, ist nicht nur die Suche nach den eigenen Wurzeln, sondern auch nach dem Kern dessen, was das Menschsein ausmacht. Sind Kratzspuren an Tierknochen Indiz genug für den Gebrauch von Steinwerkzeugen und vorausschauendem Denken? Sind Mulden an der Innenseite des Schädels eines Neandertalers Hinweise für ein Sprachzentrum in dessen längst verwestem Gehirn? Vieles bleibt Spekulation und subjektive Interpretation. Erbgutanalysen hingegen scheinen den Erklärungen für die Menschwerdung Objektivität zu verleihen. Die Techniken, weitgehend vom Team Svante Pääbos am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie entwickelt, ermöglichen einen Vergleich uralter Erbgutreste von Neandertalern mit den Genen heutiger Menschen. Die Unterschiede sollen Hinweise geben, warum Neandertaler scheiterten und Homo sapiens überlebte.

Gemeinsam mit einer Forschergruppe um David Gokhman von der Universität Jerusalem hat Pääbo nun sogar sichtbar gemacht, welche der rund 23000 Urmenschen-Gene überhaupt aktiviert und welche abgeschaltet waren. Es ist eine Momentaufnahme aus dem Leben des Neandertalers und des Denisova-Urmenschen aus Sibirien. Solche Informationen aus dem jahrtausendealten Erbgut herauslesen zu können, ist spektakulär. Denn damit lässt sich erkennen, welches die entscheidenden Unterschiede im Erbgut von Ur- und modernem Menschen sein könnten. Offenbar nutzt Homo sapiens Gene anders, die die Entwicklung des Körpers und vor allem der Extremitäten beeinflussen. Ob das aber unsere besondere Fingerfertigkeit oder Geisteskraft erklärt, bleibt: Spekulation.

Wie ein 1000-Teile-Puzzle, von dem erst 100 Teile gefunden sind

Denn ob Forscher nun auf uralte Knochen oder uralte Gene starren – auch Genetikern offenbart sich nicht automatisch, worin das spezifisch Menschliche besteht. So ist es zum Beispiel nach wie vor umstritten, ob Neandertaler und Menschen wirklich Sex miteinander hatten, wie es Pääbos Team 2012 verkündete. Die Genspuren, die vom Neandertaler stammen sollen, könnten auch älteren Ursprungs sein. Das Bild der Menschwerdung bleibt also auch mit Genanalysen unvollständig und ähnelt noch immer dem Motiv eines 1000-Teile-Puzzles, von dem man erst 100 Teile gefunden hat.

Aber selbst wenn man viel mehr Indizien hätte: Ist das, was Homo sapiens ausmacht, wirklich nur in den Genen kodiert? Ist die Menschwerdung ein biologischer Mechanismus oder eher eine soziale und kulturelle Errungenschaft? Lange haben Forscher zum Beispiel geglaubt, dass sich nur Menschen in die Gedankenwelt anderer Lebewesen hineinversetzen können. Inzwischen wissen sie, dass auch Menschenaffen, Hunde und vielleicht sogar Ziegen dazu in der Lage sind. So bröckelt eine biologische Erklärung nach der anderen dafür, was den Menschen einzigartig macht.

Es ist Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, ob es weniger das Umlegen eines Genschalters als vielmehr eine gemeinsame Anstrengung war, mit der Gruppen von Urmenschen Laute zu einer Sprache machten, Werkzeuge perfektionierten und unzählige Versionen sozialen Miteinanders durchspielten, um der Natur zu trotzen und zu überleben – und Mensch zu werden. Weil sie keine andere Wahl hatten. So wie Kafkas Rotpeter, der einfach „aufhörte, Affe zu sein“, weil er sonst „unweigerlich verreckt“ wäre: „Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch.“ Es wäre nichts, was sich mit DNS-Sequenzierapparaten, Massenspektrometern oder Radiocarbon-Datierung messen ließe. Aber es wäre immerhin eine Erklärung dafür, warum sich trotz Hunderttausenden von Jahren menschlicher Kultivierung immer wieder der affenähnliche Vorfahr zu zeigen scheint und der Mensch viel zu oft etwas tut, was so gar nicht „sapiens“ ist.

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