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Grundschulen in Ostdeutschland sind durchgehend besser mit Fachkräften besetzt (im Bild eine Schule in Potsdam).

© PNN / Ottmar Winter

Künstlerisches Mangelfach: Die Hälfte des Musikunterrichts wird fachfremd erteilt

Für den Musikunterricht an den Grundschulen fehlen bundesweit 23.000 ausgebildete Lehrkräfte. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Zweit- und Drittklässler begrüßen die Neuen im Sommer mit der Schulhymne. Im Schulorchester spielen alle Kinder mit, egal, ob sie im Elternhaus mit Musik aufgewachsen sind oder nicht. Und der Chor der Großen brilliert beim Jahreskonzert mit A-cappella-Liedern

All das ist engagierten Lehrkräften zu verdanken, die Schülerinnen und Schülern im regulären Unterricht und in zahlreichen AGs in die weite und reiche Welt der Musik einführen. Doch genau diese „elementare Kulturtechnik einer humanen Gesellschaft“ sieht der Deutsche Musikrat in Gefahr – wegen eines teilweise gravierenden Mangels an ausgebildeten Musiklehrkräften für die Grundschulen.

Rund 17.000 Musiklehrerinnen und Musiklehrer gibt es an den Grundschulen der 14 Bundesländer, deren Statistiken für eine aktuelle Studie von Musikpädagogen und Bildungsforschenden ausgewertet werden konnten.

Rechnerisch würden 40.000 Musiklehrkräfte gebraucht

Um den in den Lehrplänen der Länder vorgegebenen Unterrichtsumfang „fachgerecht abzudecken“ würden rechnerisch jedoch 40.000 Musiklehrkräfte gebraucht, teilen der Deutschen Musikrat, die Konferenz der Landesmusikräte und die Bertelsmann-Stiftung mit. Gemeinsam haben sie die bundesweit erste systematische Erhebung zum Musikunterricht in Auftrag gegeben, die am Mittwoch veröffentlich wurde.

Die Zahl von 23.000 fehlenden Musiklehrkräften bedeutet nicht, dass der Unterricht in größerem Umfang ausfällt. Das gilt der Studie zufolge nur für etwa sieben Prozent der Stunden. Wegen des Mangels an ausgebildeten Musiklehrern wird jedoch die im bundesweiten Schnitt die Hälfte des Musikunterrichts von fachfremden Lehrkräften erteilt, die kein reguläres Lehramtsstudium an einer Musikhochschule oder Kunstuniversität absolviert haben.

„Ohne ein ausreichendes Angebot an Musikunterricht in der Grundschule bekommen vor allem sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler kaum Chancen, mit Musik in Kontakt zu kommen“, heißt es.

Starke Schwankungen zwischen den Ländern beim fachfremden Unterricht

Zwischen den Ländern schwanken die Anteile des fachgerecht beziehungsweise fachfremd erteilten Unterrichts stark. Positiver Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt, wo 88,6 Prozent des in der Stundentafel vorgesehenen Unterrichts – in einem Korridor von vier bis acht Stunden – von ausgebildeten Musiklehrkräften erteilt wird.

Schlusslicht ist Bremen, dort werden 72,5 Prozent der in der Stundentafel vorgesehenen acht Stunden fachfremd unterrichtet. Aus Bayern und dem Saarland standen keine verwertbaren Daten zur Verfügung.

Berlin liegt im oberen Mittelfeld

In Berlin sind für die ersten vier von sechs Grundschuljahren acht Stunden für den Musikunterricht vorgesehen, von denen 7,7 Stunden tatsächlich erteilt werden. Mit einer Quote von 61,4 Prozent fachgerecht und 38,6 Prozent fachfremd unterrichteten Musikstunden liegt Berlin bundesweit im oberen Mittelfeld.

Durchweg sind die Grundschulen in den ostdeutschen Ländern besser mit Fachkräften ausgestattet. So werden in Brandenburg 71,5 Prozent des Musikunterrichts von ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern gegeben, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 82,4 Prozent und in Sachsen 78,7 Prozent.

An der Oberschule in Pegau (Sachsen) üben Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse im Musikunterricht eine Melodie am Keyboard.
Die Musikerziehung in der Schule habe einen ebenso hohen Anspruch wie naturwissenschaftliche Fächer, betont der Deutsche Musikrat.

© Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/dpa

Sachsen ist auch das einzige Land, für das die Autoren der Studie, darunter Andreas Lehmann, Professor an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, keinen zusätzlichen Bedarf an Lehrkräften im Jahr 2028 sehen. Nach einer Modellrechnung zu altersbedingt ausscheidenden Musiklehrern, neu Hinzukommenden und der steigenden Zahl von Grundschulkindern würde sich die Lücke in acht Jahren voraussichtlich auf 25.000 ausgebildete Musiklehrkräfte vergrößern, heißt es. In Sachsen reicht die Zahl der Lehrkräfte mittelfristig, weil dort die Stundentafel von sechs auf fünf Stunden gekürzt wurde.

In Berlin unterrichten derzeit 960 Musiklehrkräfte in der Primarstufe, 2028 sollen der Studie zufolge nur noch 849 zur Verfügung stehen, die dann nur noch 26,4 Prozent des Unterrichts fachgerecht erteilen könnten. Die Musikräte und die Bertelsmann-Stiftung warnen: Um den gesamten Stundenbedarf abzudecken, könnten in acht Jahren 2364 Fachkräfte fehlen – wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Gestritten wird über die Lehrkräfteausbildung in Berlin

Die zu geringen Zahlen der Lehramtsstudierenden und der Absolventen im Fach Musik könnten den hohen Nachwuchsbedarf angesichts steigender Schülerzahlen in Berlin bei weitem nicht abdecken, stellen die Autoren der Studie fest.

Genau darüber wird derzeit gestritten. Die Senatsverwaltung Wissenschaft kritisiert, dass die Universität der Künste insgesamt zu wenige Lehramtsstudierende aufnimmt. So wurden zum Wintersemester 2019/20 im Lehramt Musik für die Grundschule von 51 Bewerbern nur 25 zum Studium zugelassen, während die Zielvorgabe im Hochschulvertrag 68 beträgt.

Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach hatte daraufhin vorgeschlagen, die Zulassungsverfahren im Grundschullehramt zu überdenken. Die UdK-Leitung lehnte eine „Niveauabsenkung“ im Januar ab, ebenso wie der Philologenverband.

Proteste gegen eine Absenkung der Standards

Auch Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats und Cello-Professor an der UdK, ist gegen eine Absenkung der Standards: „Das wäre desaströs, nicht nur, weil es indirekt in die Freiheit der Lehre eingreift.“ Die Anforderungen für das Grundschullehramt seien bereits sukzessive „sehr heruntergefahren“ worden. „Wir müssen Qualitäten erhalten und ausbauen“, sagte Höppner dem Tagesspiegel.

Die Musikerziehung in der Schule habe einen ebenso hohen Anspruch wie naturwissenschaftliche Fächer, betont er auch in Hinblick auf fachfremd erteilten Unterricht. Selbst wenn „nicht alle kleine Mozarts sein müssen“, brauche es Fachkräfte, die professionelle Erfahrungen mit Stimme und Instrument haben und musiktheoretisch, erziehungswissenschaftlich sowie didaktisch gut ausbildet sind. Anders seien die pädagogischen Herausforderungen in den von sozialer und kultureller Vielfalt geprägten Klassen nicht zu bewältigen.

Gegen den Mangel an Musiklehrkräften fordern Musikräte und Bertelsmann-Stiftung einen Ausbau der Studienplätze an Musikhochschulen – und für eine Übergangszeit mehr Quer- und Seiteneinsteiger ins Lehramt. Dafür müssten verbindliche Standards gelten. Doch für eine eng durch Musiklehrkräfte begleitete Eingangsphase und für den großen Fortbildungsbedarf auch von fachfremd Unterrichtenden fehlten die Ressourcen, kritisiert Christian Höppner.

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