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Işıl Eğrikavuk, die mit künstlerischen Mitteln forscht, hat für ihr Gefühl des Fremdsein in Deutschland eine Metapher in der Pflanzenwelt gefunden.

© Teresa Rübel

Kunst trifft Wissenschaft: Forschen im Archiv und im Garten

Işıl Eğrikavuk von der Universität der Künste Berlin erklärt, was künstlerische Forschung ist und zeigt uns ihr Forschungsprojekt: einen Gemeinschaftsgarten.

„Auf der einen Seite haben wir die Kunst, auf der anderen Seite die Forschung: Normalerweise denken wir über diese beiden Bereiche als voneinander abgetrennt nach“, sagt die Künstlerin Işıl Eğrikavuk, die an der Berliner Universität der Künste gerade Gastprofessorin ist. Doch ihre Arbeit folgt dem Ansatz, beides zu verbinden. Wie das gelingen kann, möchte sie auch ihren Studierenden vermitteln.

Eğrikavuk wurde in der Türkei geboren, studierte schließlich in Chicago und Istanbul, wo sie ihren Doktortitel für Kommunikation erhielt. Sie beschäftige sich in ihrer Kunst mit Protest, Feminismus, Identitätspolitik, Natur und Vernetzung, erzählt sie.

Aber was genau ist „Artistic Research“, künstlerische Forschung? Auch wenn der Ansatz relativ jung ist, ist die ihm zugrundeliegende Idee nichts Neues: Schon Leonardo da Vinci zeichnete und malte nicht nur, sondern forschte auch an Fluggeräten, fallschirmähnlichen Gebilden und Kriegsgeräten, die konzeptionell heutigen Panzern ähneln.

Zur Kunst gehört heute oft viel Recherchearbeit

Die aktuelle Bewegung der künstlerischen Forschung habe damit zu tun, dass sich die Arbeit von zeitgenössischen Künstler:innen weltweit verändert habe, sagt Eğrikavuk. Dass ein:e Künstler:in nur im Studio male oder an einer Skulptur arbeite, dass man Ideen durch geniale Eingebungen erhalte – das seien romantische, veraltete Vorstellungen, betont die Künstlerin. 

Viele zeitgenössische Künstler:innen seien stark politisch involviert und verarbeiteten dies in ihrem Werk. Ihre Arbeit bestehe vielmehr darin, Informationen zu sammeln, Archive zu besuchen und dies künstlerisch zu verarbeiten. Auch gehe man bei der künstlerischen Forschung immer mit einer Frage an das Projekt heran, erklärt Eğrikavuk.

Işıl Eğrikavuk hält eine Vorlesung im Garten. Er ist ein Raum für Inklusivität und Vielfalt.
Işıl Eğrikavuk hält eine Vorlesung im Garten. Er ist ein Raum für Inklusivität und Vielfalt.

© privat

Pflanzen und Daten anstelle von Pinsel und Leinwand

Ein Beispiel aus ihrer Arbeit ist der von Eğrikavuk angelegte Garten im Innenhof des UDK-Gebäudes am Mierendorffplatz. „Als ich nach Deutschland kam, fühlte ich mich etwas fehl am Platz in diesem sehr weißen, sehr männlich geprägten Institut. Auf Türkisch sagt man ‚Ich fühle mich wie eine Pflanzenvase‘, wenn man sich an einem Ort befindet und das Gefühl hat, dort nicht richtig hineinzugehören“. Ihre Forschungsfrage sei gewesen: Wie kann man in einen monokulturellen Raum mehr Vielfalt bringen? 

Als Antwort auf diese Frage habe sie in dem Innenhof des Instituts einen Gemeinschaftsgarten geschaffen, in dessen Hochbeeten ausschließlich Neophyten angepflanzt sind, also Pflanzen, die in Deutschland nicht heimisch sind. „Natürlich ist es ein standortspezifisches Projekt“, erklärt Eğrikavuk. Klar ist: Die Professorin arbeitet nicht empirisch, sondern mit qualitativen Methoden. Das heißt, sie erkundet zum Beispiel mit kreativen Mitteln einen Ort.

Ein bekanntes Beispiel für künstlerische Forschung ist „Forensic Architecture“, eine mittlerweile große Rechercheagentur an der Goldsmith University in London: Das Team versucht anhand von 3D-Modellierungen und Luftaufnahmen Unfälle und, wie es auf der Website heißt, „Menschenrechtsverletzungen“ aufzuklären. Sie trugen so etwa neue Erkenntnisse zu den NSU-Morden bei.

Kritiker behaupten, künstlerische Forschung sei nur eine Erfindung der Branche, um mehr Anerkennung in der Hochschulwelt zu bekommen und beispielsweise die Möglichkeit, einen Doktortitel zu erhalten. Auch Eğrikavuk räumt ein: „Der Jobmarkt ist härter geworden.“ Ein Doktortitel könne durchaus von Vorteil sein, wenn man sich um Projektförderungen bewerbe.

Im Trend liegt der Ansatz in jedem Fall. Viele europäische Künstler:innen, Kunsthochschulen und Verbände setzen sich für die Etablierung der Disziplin ein. Ob das umfassend gelingt, bleibt abzuwarten.

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