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In der Isbister Chambered Cairn wurden Überreste von 15 Menschen gefunden, die jetzt auch auf ihre Ernährung untersucht wurden.

© Karen Hardy

Seafood der Steinzeit: Europäer aßen Tang und andere Meerespflanzen

Das Wissen um gesunde Ernährung ist nicht nur eine moderne Errungenschaft. Schon in der Steinzeit erweiterten Menschen ihren Speiseplan, weil es gut für sie war.

Für ein traditionelles Frühstück holen die Menschen in Wales Rotalgen von den Felsen an der Meeresküste. Nach sorgfältigem Waschen und stundenlangem Kochen wird daraus ein grünes Püree, das mit Haferflocken gemischt und gebacken wird, um es dann mit einem Toast oder mit gebratenem Speck als „Laverbread“ zu servieren.

Abgesehen von diesem althergebrachten Essen und dem getrockneten Seetang, der als äußerste Schicht von Sushi-Rollen verwendet wird, sind Pflanzen aus dem Meer heutzutage allerdings weitgehend von den Speisekarten Europas verschwunden.

Zahnstein als Quellenmaterial

In den letzten Jahrtausenden bis ins Mittelalter waren Seetang und weitere Wasserpflanzen in Europa dagegen durchaus beliebte Nahrungsmittel, berichtet ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Nature Communications“. Die Forschenden um Stephen Buckley von der Universität York in England und Karen Hardy von der Universität Glasgow in Schottland haben Zahnstein von Menschen untersucht, die damals gelebt hatten.

Für ihre Studie hatte die Gruppe Überreste von 74 Menschen aus 28 archäologischen Fundstätten von den Orkney-Inseln im Norden Schottlands über das Baltikum im Osten bis in den Süden des heutigen Spaniens untersucht. Aus dem Zahnstein von 33 dieser Individuen konnten mit der Massenspektrometrie typische Moleküle aus der Nahrung identifiziert werden, die sich beim Kauen dort abgelagert hatten.

Demnach hatten die Menschen vor rund 8500 Jahren bis hinein ins Mittelalter mit Fetten und Ölen, Proteinen und Kohlenhydraten typische Komponenten verspeist, die heute noch im Essen stecken. Die so gefundenen Überreste verraten auch, dass die Steinzeitmenschen ihre Mahlzeiten oft über dem Feuer geröstet oder gekocht hatten.

„Dass solche Einblicke in die Ernährung prähistorischer Menschen überhaupt möglich sind, verdanken wir den enormen Fortschritten in den naturwissenschaftlichen Methoden und der unzureichenden Zahnhygiene“, sagt Philipp Stockhammer. Erst in den letzten Jahren sei klar geworden, welches Quellenmaterial Zahnstein ist, erklärt der Archäologe von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. In Zahnstein würden Reste von Speisen eingeschlossen und über Jahrtausende erhalten, die der prähistorische Mensch zu sich genommen hat.

Meerkohl und Süßwasserpflanzen

Die britische Gruppe konnte nachweisen, dass damals Seetang gegessen wurde: In 26 ihrer Steinzeit-Zahnsteinproben fand sie die gleichen Biomarker wie in versteinertem Seetang, der im Pazifik vor der Küste des heutigen Kaliforniens gewachsen war. Offensichtlich wurden diese großen Algen-Gewächse damals also in weiten Teilen Europas verzehrt.

Im Zahnstein von Menschen, die vor rund 1500 Jahren im heutigen Litauen lebten, fanden sich ebenfalls Überreste von Algen. Da die Fundorte mehr als hundert Kilometer von der Ostsee entfernt sind, dürften sie Süßwasser-Algen gegessen haben. Ähnlich hatten sich nach historischen Quellen auch die Azteken im heutigen Mexiko aus dem Texcoco-See und das Volk der Kanembu im heutigen Tschad aus dem Tschad-See bedient.

In einer rund 5000 Jahre alten Zahnstein-Probe von den Orkney-Inseln entdeckte die Gruppe auch die typischen Signale für Kohl. Allerdings dürfte solches Gemüse damals in dieser Gegend weder angebaut worden sein, noch dürften seine wilden Vorfahren dort natürlich gewachsen sein. Daher liegt die Vermutung nahe, dass dieser Mensch ein Faible für Meerkohl-Gemüse hatte. Dieses Gewächs verträgt einen hohen Salzgehalt und steht daher an vielen europäischen Küsten bis hinauf zu den Orkney-Inseln auf Böden, auf denen praktisch keine anderen Pflanzen gedeihen. Obendrein wurde Meerkohl auch an den deutschen Küsten oft als Gemüse geerntet oder als Viehfutter verwendet. Inzwischen steht die Art in Mitteleuropa und anderen Regionen unter Naturschutz.

Das Nutzen von Seetang, Süßwasseralgen und Meerkohl widerlegt die Überlegung, nach der die Menschen ihren Nahrungserwerb mit der Erfindung der Landwirtschaft vor mehr als zehntausend Jahren sehr rasch komplett vom Jagen und Sammeln auf Ackerbau und Viehzucht umgestellt hätten. Die Umstellung erfolgte nicht schlagartig, sondern schrittweise und wurde mit wasserpflanzlicher Kost unterstützt.

„Die antiken Völker kannten die ernährungsphysiologischen Vorteile von Algen so gut, dass sie ihre Verbindung zum Meer aufrechterhielten“, wird Hauptautor Buckley in einer Mitteilung der Universität York zitiert.

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