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Frauen müssen sich in der Archäologie oft gegen die männliche Dominanz durchsetzen und mehr leisten, um anerkannt zu werden.

© Getty Images/Anadolu Agency

Seltene Pionierinnen: Die vergessenen Frauen der Archäologie

Eine Ausstellung zeigt, wie sich Archäologinnen gegen die männliche Dominanz in ihrem Fachgebiet durchgesetzt haben und würdigt die Leistung von elf Forscherinnen.

Von Joachim Göres

Archäologie – bei diesem Stichwort fallen einem Ausgrabungen in fernen Ländern ein, bei dem bedeutende Schätze ans Tageslicht gebracht wurden, die das Wissen über Hochkulturen früherer Zeitperioden prägen. Heinrich Schliemann, Entdecker von Troja und Mykene, ist einer dieser Namen, die ins Gedächtnis kommen, wenn man auf sensationelle Funde zurückblickt.

Er ist der vermutlich berühmteste Vertreter einer männlich dominierten Fachdisziplin – in der sich Frauen nur langsam durchsetzen konnten. Viele Archäologinnen sind in Vergessenheit geraten. Darum geht es in der Ausstellung „Ein gut Theil Eigenheit – Lebenswege früher Archäologinnen“, die das Museum August Kestner in Hannover gegenwärtig zeigt.

Es brechen mehr Frauen ab oder suchen sich nach dem Abschluss einen anderen Beruf, weil sie glauben, dass sie Berufs- und Privatleben nicht miteinander vereinbaren können.

Doris Gutsmiedl-Schümann, Ausstellungskuratorin und Privatdozentin an der TU Berlin

Wie die meisten der vorgestellten elf Frauen ist die aus Jüterbog stammende Ida von Boxberg (1806-1893) unverheiratet und hat einen bürgerlichen Hintergrund, der die Verwirklichung ihrer Berufspläne erleichtert. Die Tochter eines adligen Offiziers lebt lange als Gouvernante in Frankreich und bekommt dort Kontakt zu den in Europa führenden Altsteinzeitforschern. Mit ihrer Erfahrung bei Ausgrabungen in Frankreich kann sie in ihrer Wahlheimat Zschorna bei Radeburg den sächsischen König mit ihren bedeutenden prähistorischen Sammlungen beeindrucken.

Von Boxberg und andere Archäologinnen im 19. Jahrhundert gelten als Seltenheit, die als Autodidaktinnen mit ihrer Leidenschaft und Fachkenntnis bei weltoffenen Kollegen auf Anerkennung stoßen. Nach der Öffnung der Universitäten für Frauen werden diese dagegen von Männern verstärkt als Konkurrenten auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Karriere wahrgenommen.

Margarete Bieber (1879-1978) ist eine dieser Pionierinnen. 1901 ist sie die erste Abiturientin in Westpreußen, im selben Jahr beginnt sie als erste Gasthörerin mit einem Studium in Berlin. 1923 wird sie an der Uni Gießen als zweite Frau in Deutschland außerplanmäßige Professorin. Bei Forschungsreisen zu Stätten der römischen und griechischen Antike stößt sie immer wieder auf männliche Vorbehalte, die sie mit Offenheit und Freundlichkeit zu überwinden versucht. 1934 flieht Bieber als Jüdin vor den Nazis in die USA.

Eingeschränkte Lehrbefugnis

Gertrud Dorka (1893-1976) arbeitete ursprünglich als Lehrerin. Ihr Interesse an der Frühgeschichte führt sie zum Studium der Archäologie in Berlin. Als ihr Professor 1936 ihr Dissertationsthema aus ideologischen Gründen ablehnt, steht sie kurz vor der Aufgabe – und macht an der Uni Kiel erfolgreich weiter, wohin sie ein anderer Professor mit den Worten vermittelt: „Wenn Sie ein Kerl sind, bleiben Sie bei der Vorgeschichte!“

Wegen ihrer Distanz zur NS-Ideologie wird sie 1947 als erste Frau Direktorin eines staatlichen Museums, des heutigen Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Gleichzeitig ist sie Leiterin der Berliner Baudenkmalpflege und damit auch verantwortlich für eine Ausgrabung, die Anfang der 50er Jahre im Stadtteil Britz zu einem sensationellen Fund aus dem sechsten Jahrhundert führt.

Waldtraut (1920-2009) ist in der DDR die erste Frau, die im Fach Ur- und Frühgeschichte habilitiert. Nach ihrer Flucht in die Bundesrepublik kommt es zum Karriereknick – die Spezialistin für Steinzeitforschung erhält nur eingeschränkte Lehrbefugnis. „Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten sind nicht wenige Archäologinnen vom Osten in den Westen gewechselt. Vor allem in den 50er und 60er Jahren konnten sie ihre wissenschaftlichen Karrieren in der Bundesrepublik oft nicht wie gewohnt fortsetzen, weil sie in den männlich dominierten Fachbereichen als Konkurrenten gesehen wurden“, sagt Ausstellungskuratorin Doris Gutsmiedl-Schümann.

Und heute? Laut Gutsmiedl-Schümann beginnen mehr Frauen als Männer mit dem Studium der Archäologie, doch bei den Studien-Abschlüssen und später im Beruf ist das Verhältnis umgekehrt. „Es brechen mehr Frauen ab oder suchen sich nach dem Abschluss einen anderen Beruf, weil sie glauben, dass sie Berufs- und Privatleben nicht miteinander vereinbaren können“, sagt die Privatdozentin an der TU Berlin und fügt hinzu: „Doch das ist ein Irrtum: Wer Kinder hat, muss nicht für Ausgrabungen lange weit von zu Hause weg unterwegs sein. Archäologische Fachfirmen suchen Personal, das zum Beispiel bei Vorarbeiten für Bauprojekte in der Region den Boden erkundet.“

Das Fazit der Kuratorin, die im Rahmen eines Forschungsprojektes die Biographien von 400 Archäologinnen unter die Lupe genommen hat: „Frauen haben bei ihren Arbeiten stärker einen interdisziplinären Blick. Und sie probieren eher in der Praxis aus, was sie erforscht haben, zum Beispiel die Herstellung von entdeckten Kleidungsstücken oder die Ausübung von antiken Sportarten. In Nachrufen findet man oft den Hinweis, dass Archäologinnen mehr leisten mussten als männliche Kollegen, um anerkannt zu werden.“

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