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Fleisch aus dem Labor wäre eine Möglichkeit, sich zukünftig nachhaltiger zu ernähren. Doch wie ist die Akzeptanz und wer kann sich das leisten?

© Getty Images/iStockphoto

Kulturwandel auf dem Tisch: Die Ernährung der Zukunft muss auch sozial sein

Wie geht nachhaltige Ernährung, die alle miteinbezieht? Die Berliner Unis haben den Wandel untersucht – zum Beispiel im Labor, in Kenia sowie Berlin und Brandenburg.

Essen stiftet Gemeinschaft und Kultur, es spaltet aber auch. Die einen haben zu viel davon, die anderen zu wenig. Die einen verzehren kein Fleisch mehr, die anderen finden das viel zu radikal.

Drei Jahre lang sind Berliner Wissenschaftler:innen der Frage nachgegangen, welche sozialen Aspekte beachtet werden müssen, damit sich ein zukunftsfähiges Ernährungssystem entwickeln kann. An dem Projekt mit dem Titel „Inklusiver Wandel des Ernährungssystems – Nachhaltig, gesund, gemeinsam“ haben Forscher:innen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen zusammengearbeitet.

„Wir gehen davon aus, dass es dringend einen grundlegenden Wandel des Ernährungssystems bedarf“, sagt Martina Schäfer, Projektkoodinatorin am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin (TU).

Die Wende werde jedoch nur gelingen, wenn man auch soziale Aspekte berücksichtige. Derzeit sei das globale Ernährungssystem ungerecht, schade dem Planeten und mache viele Menschen krank.

Das Projekt, das in sechs Fallstudien unterteilt war, wurde von der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert, fand also im Rahmen der Berlin University Alliance (BUA) statt – dem Zusammenschluss aus TU, Freier Universität Berlin (FU), Humboldt-Universität (HU) sowie der Charité.

Kenianische Kleinbäuerinnen behalten mehr Kontrolle

Dass ein Wandel im Ernährungssystem zum Beispiel dazu beitragen kann, dass sich traditionelle Geschlechterrollen verändern, konnte eine der Studien über kleinbäuerliche Betriebe in Kenia zeigen.

Dort werden, staatlich gefördert, zunehmend indigene Gemüse wie Amaranth (Amaranthus spp.), Spinnenpflanze (Cleome gynandra) oder Nachtschatten (Solanum spp.) im ländlichen und urbanen Raum wieder angebaut und vermarktet.

Mit ihrem hohen Gehalt an Vitaminen, Eisen und Zink sollen die indigenen Gemüsesorten zu einer ausgewogeneren Ernährung der Bevölkerung beitragen. Zudem sind sie unempfindlicher gegenüber häufiger auftretenden Dürren.

Für kleinbäuerliche Betriebe entstanden somit neue Einkommensquellen. Doch das alte Wissen über die fast vergessenen Gemüsearten hatten nur die Frauen: Sie wussten, wie man verhindert, dass sie nach der Ernte verderben.

Früher verdrängten Männer die Frauen in ihren Aufgaben, sobald es zu einer höheren Nachfrage von landwirtschaftlichen Produkten kam. Ging es um lukrative Geschäfte, übernahmen sie die Entscheidungen, wann, wie und wo angebaut oder verkauft wurde.

„In unserer Studie hat sich gezeigt, dass trotz der zunehmenden Nachfrage und Kommerzialisierung der indigenen Gemüsearten, die Frauen ihre Rolle behalten haben“, sagt Susanne Huyskens-Keil, Professorin am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität (HU).

Sie und ihr Team sprachen mit 360 Haushalten in Kenia und fanden heraus, dass durch den Handel mit indigenen Gemüsearten ihr Einkommen in den letzten sechs Jahren im Schnitt um 24 Prozent stieg. Männer arbeiteten zunehmend an Produktion und Transport mit.

Die Frauen wurden aufgrund ihres höheren Know-Hows stärker an Entscheidungen beteiligt. Zudem gründeten Frauen „Women Farmers Associations“. Die Frauen beklagten jedoch ihre nun höhere Arbeitsbelastung. Denn nach wie sind sie maßgeblich für Haushalt und Kinder verantwortlich.

Die Akzeptanz von Retortenfleisch ist zwiegespalten

In einem anderen Teilprojekt widmeten sich die Berliner Forscher:innen einer Innovation, die die Lebensmittelindustrie verändern könnte: Kultiviertes Fleisch. Würde es gelingen, mit Fleisch aus der Petrischale den weltweiten Fleischkonsum zu senken, könnte das Treibhausgase, Wasser und Antibiotika sparen helfen. 

Zurzeit wird an verschiedenen Technologien geforscht, mit denen das künstliche Fleisch künftig produziert werden könnte. Das Fleisch wird in Bioreaktoren aus tierischen Zellen gezüchtet. Einige Forschende und Start-ups nutzen Gentechnik und tierische Bestandteile, andere versuchen, ohne Gentechnik und mit pflanzlichen Zutaten wie Erbsen- oder Sojaprotein auszukommen.

Doch wie hoch wäre die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch? „Einige Studien zeigen, dass manche Menschen besorgt sind, dass kultiviertes Fleisch nicht natürlich ist, ungesund sein oder derzeitige landwirtschaftliche Systeme bedrohen könnte“, sagt Dagmara Weckowska, Innovationsforscherin an der FU Berlin. „Andere finden kultiviertes Fleisch akzeptabel, weil sie es für umweltfreundlich, tierschutzgerecht, ethisch, gesund und schmackhaft halten. Männer, jüngere Menschen und Fleischesser haben eine positivere Einstellung zu kultiviertem Fleisch als andere Menschen.“

Doch wer kann sich das leisten und hat Zugang dazu? Die Wissenschaflter:innen schlagen vor, unterschiedliche Entwicklungspfade für kultiviertes Fleisch zu ermöglichen, um Menschen mit verschiedenen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen zu erreichen.

Eine AG für regionale Produkte

Weitere Forscher:innen beschäftigten sich mit dem Modell der Bürgerwertgesellschaft am Beispiel der „Regionalwert AG Berlin-Brandenburg“. Sie verkauft seit 2018 Aktien an Bürger:innen, die die lokale Lebensmittelproduktion unterstützen wollen.

Kühe auf dem Bio-Bauernhof in Brandenburg: Dieses Idyll kann mit einer Bürgerwertgesellschaft unterstützt werden.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Das Geld wird in kleine Betriebe vor Ort investiert, die sich verpflichten, ökologisch und sozial zu wirtschaften: Bauernhöfe, Lebensmittel-Verarbeiter wie Molkereien oder Brauereien, Händler:innen und Gaststätten. Derzeit haben 1091 Bürger:innen Aktien gezeichnet. Eine Aktie kostet 500 Euro. Mehr als zwei Millionen Euro flossen so in 20 Partnerbetriebe.

Die Forschenden fanden heraus, dass die Initiative die Verbundenheit der lokalen Akteur:innen untereinander stärkt und Erzeuger:innen für nachhaltige Praktiken belohnt. Ihre Studie ergab jedoch auch, dass die AG wenig inklusiv ist, weil sich daran bisher nur ein begrenzter Teil der Gesellschaft beteiligt.

„Aus unseren Befragungen wissen wir, dass die Aktionäre in Berlin-Brandenburg zu etwa zwei Dritteln männlich sind, über 50, mit hohem Einkommen und Bildungsgrad“, sagt Martina Schäfer von der TU. Die meisten leben in Städten und Vorstädten. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind kaum dabei.

Nach der Studie hat die „Regionalwert AG Berlin-Brandenburg“ schon etwas verändert und einen stärkeren Fokus auf die Ansprache von Frauen gelegt, sodass seit der letzten Aktienausschüttung nun 50 Prozent Frauen dabei sind.

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