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Pro-israelische Demonstranten der Initiative „Klare Kante gegen die Dämonisierung Israels“ stellen sich mit israelischen Fahnen und einem Plakat mit der Aufschrift „Nein zu Antisemitismus, Hetze und Hass“ Demonstranten in den Weg. (Symbolbild)

© picture alliance/dpa/Roberto Pfeil

Studien dreier Hochschulen: Wie wird Antisemitismus im Alltag wahrgenommen?

Antisemitismus drückt sich auch in der Dämonisierung Israels oder Pauschalurteilen aus. Drei Berliner Hochschulen für Soziale Arbeit wollen wissen, wie verbreitet das im Bildungs- und Gesundheitswesen ist.

Immer wieder erleben Jüdinnen und Juden an deutschen Schulen, Hochschulen und anderen Institutionen Antisemitismus. Wie sie diese Erfahrungen selbst in ihrem Alltag wahrnehmen, wurde jedoch bislang kaum erforscht. Neue Erkenntnisse aus der Diskriminierungsforschung werden jetzt in einer Ringvorlesung vorgestellt, die die Alice Salomon Hochschule Berlin zusammen mit der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin veranstaltet.

„Die Antisemitismusforschung hat bisher eher selten institutionelle Kontexte untersucht“, sagte Juliane Karakajali, Professorin für Soziologie an der EHB, bei einer Vorlesung am Mittwoch. Die Vorträge, die man online oder in Präsenz hören kann, behandeln das Thema aus Perspektive der Sozialen Arbeit, aber auch den Feldern Gesundheit und Pflege, in der Erziehung und Bildung.

Karakajali hält auch fest, Antisemitismus werde in Deutschland zumeist als Vorurteil oder Einstellung und damit vor allem aus der Perspektive der Täter:innen untersucht. Man betrachte dabei vor allem Vorfälle, die einzelne Taten in den Vordergrund stellten, nicht aber die dahinterstehenden Strukturen. „Es fehlt an Perspektiven, die die Frage nach alltäglichen Erfahrungen mit Antisemitismus im Alltag von Juden und Jüdinnen erfassen“.

Witze und Stigmatisierung im Schulalltag

Die Psychologin Marina Chernivsky, Leiterin des Berliner Kompetenzzentrums für antisemitismuskritische Bildung und Forschung, stellte erste Beiträge vor, diese Leerstellen zu füllen. So wurden im Rahmen einer narrativen Studie des Zentrums zwischen 2017 und 2019 junge Jüdinnen und Juden zu den Erfahrungen während ihrer Schulzeit befragt.

Die Interviews zeigten, dass viele der Befragten in ihrem Schulalltag Antisemitismus erlebten. Dazu gehörten verletzende verbale Äußerungen, Zuschreibungen, „Witze“ und Beschuldigungen, Zeichnungen und Worte an schulischen Fassaden, die als stigmatisierend und gewaltvoll erlebt wurden.

Ihre Lehrkräfte nahmen die Befragten in solchen Situationen häufig als überfordert und passiv wahr. Antisemitische Situationen wurden von ihnen oft nicht eindeutig erkannt. Die Betroffenen fühlten sich alleingelassen. Im Unterricht wurden sie häufig zu „Repräsentanten des Judentums oder Israels gemacht und somit in die Rolle eines Sprechers oder Experten eines Kollektivs gedrängt“, wie es in der Studie heißt. 

Viele Lehrkräfte distanzierten sich vom Problem

Eine weitere Befragung an Schulen in verschiedenen Bundesländern untersuchte vor dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober, wie Lehrpersonal Antisemitismus wahrnimmt, einordnet und darauf reagiert. Dazu wurden Gruppendiskussionen und narrative Einzelinterviews geführt. Einer der Befunde: Viele Lehrerinnen und Lehrer distanzierten sich von dem Thema, indem sie darauf verwiesen, dass es an ihrer Schule keine Juden und Jüdinnen gebe. Dabei reflektierten sie nicht, dass jüdische Zugehörigkeit nicht grundsätzlich öffentlich gezeigt werden muss oder dass das Problem die gesamte Gesellschaft betrifft.

Viele sahen antisemitische Einstellungen ausschließlich als ein Problem „der Jugendlichen“ oder „der Muslime“ und ordneten sie nicht als strukturelles Problem ein. „Dass Antisemitismus außerhalb der eigenen Lebenswelt platziert wird, ist sehr spezifisch für dieses Thema“, sagte Chernivsky. Dazu gehöre auch, dass Antisemitismus immer wieder so betrachtet wird, als sei er nur ein historisches Phänomen und bereits überwunden.

Die Interviews mit den Lehrkräften ergaben auch, dass sich pädagogische Interventionen nach antisemitischen Vorfällen vor allem an die Schüler:innen richtete, die Gewalt ausübten. Unterstützung der Betroffenen im Umgang mit ihren diskriminierenden Erfahrungen spielten eine untergeordnete Rolle. 

Auch im Hinblick auf Antisemitismus an Hochschulen fehlt es an empirischen Untersuchungen aus der Sicht jüdischer Studierender. Das kritisierte kürzlich auch der Zentralrat der Juden, nachdem das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Ergebnisse einer Schnellbefragung zu Antisemitismus unter Studierenden veröffentlicht hatte.

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