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TDU-Rektor Halil Akkanat.

© Jörg Carstensen/dpa

Streit um Meinungsfreiheit: Rektor verteidigt Vorgehen der Türkisch-Deutschen Uni

Hochschule in Istanbul hatte Strafanzeige gegen regierungskritischen Professor gestellt. Der Wissenschaftler hatte in einem Tweet „Trolle“ der Regierungspolitik kritisiert.

Der Rektor der Türkisch-Deutschen Universität, Halil Akkanat, hat auf Kritik aus Deutschland wegen des Vorgehens gegen einen Professor reagiert, der einen regierungskritischen Tweet gepostet hatte.

Akkanat bezieht sich auf die Kritik von Claudia Roth, Sprecherin für Auswärtige Kulturpolitik der Grünen Bundestagsfraktion und Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestags, die sich Sorge um die Freiheit der Wissenschaft und den Schutz der Grundrechte an der mit Bundesmitteln geförderte TDU macht. Die TDU hatte gegen den international anerkannten Migrationsforscher Mehmet Murat Erdogan Strafanzeige wegen regierungskritischer Äußerungen gestellt. Er hatte in einem Tweet regierungsnahe „Trolle“ kritisiert, die die Außenpolitik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan feiern. In dem Tweet hieß es unter anderem, dass der König Saudi Arabiens von bezahlten Meinungsmachern nicht mehr als „Mörder“, sondern als „Freund“ bezeichnet werde. Die „Trolle“ bezeichnete Erdogan als „dickfellige Miserable“, bei denen es fraglich ist, ob sie der Heimat nützen.

In einem offenen Brief an Claudia Roth schrieb TDU-Rektor Akkanat nun, dass die Hochschulleitung ein rechtliches Verfahren gegen den Wissenschaftler eingeleitet habe, um zu klären, ob die „behauptete, eventuell strafbare Handlung“ Auswirkungen auf seine akademische Tätigkeit habe. Die TDU habe sich dazu veranlasst gesehen, da in der Öffentlichkeit behauptet wurde, dass Mehmet Murat Erdogan eine Straftat begangen habe. Dieses Verfahren als Beschränkung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit zu interpretieren, sei nicht nachvollziehbar, schreibt Akkanat. Es scheine so, dass Roth sich eine Meinung gebildet habe, bevor sie relevante Informationen hatte, so Akkanat weiter.

Der Uni-Rektor begründet das Vorgehen der Hochschule auch damit, dass es in der türkischen Öffentlichkeit nach dem Tweet sehr schwerwiegende Vorwürfe gegen den TDU-Wissenschaftler gegeben habe. Akkanat schreibt von „öffentlichem Druck“, der auch dazu geführt habe, dass sich Mehmet Murat Erdogan von seinen Leitungspositionen zurückgezogen habe. Gegenüber der TDU habe es von ihm keine klarstellende Äußerung zu seinem Tweet gegeben, auch habe er nicht klargestellt, dass es sich um eine persönliche Meinung handelt, die unabhängig von der TDU geäußert wurde.

TDU-Professor Erdogan verwies gegenüber dem Tagesspiegel allerdings auf einen zweiten Tweet, in dem er seine Äußerung erläutert hatte. Er habe „Trolle“, die ein vernünftiges Diskussionsumfeld im Land verhindern würden, kritisiert. Der Tweet sei „verzerrt und in Verleumdung und Lynchen verwandelt worden“, obwohl er keinen Politiker und damit weder den Präsidenten noch die Regierung angesprochen habe. „Mit anderen Worten: Diejenigen, die ich kritisiert habe, haben ihren Job gemacht und das Thema verzerrt, und diesmal haben sie mich ins Visier genommen“, so der Wissenschaftler.

Akkanat verteidigt indes das Vorgehen der TDU-Leitung. Es sei nicht ungewöhnlich, dass eine Hochschule die Einzelheiten eines solchen Falles aufzuklären versucht. Die Grenze zwischen Kritik und Beleidigung sei zwar sensibel, müsse aber gezogen werden: „Die Sorgfaltspflicht eines Akademikers sind diesbezüglich grundsätzlich höher“, so Akkanat. Andererseits betont der Rektor aber: „Die Meinungsfreiheit und auch die Wissenschaftsfreiheit sind für die TDU unabdingbar und unverzichtbar für ihr Wirken in Lehre und Forschung.“

Genau das bezweifeln die Grünen-Politiker Roth und Kai Gehring, Grünen-Fraktions-Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, allerdings: „Diese Entwicklung droht das freie Lehr- und Forschungsklima an der Universität massiv zu beschädigen und wir fordern die Bundesregierung auf, gegen diese Entwicklungen klar Stellung zu beziehen, um die Betroffenen zu unterstützen und Schaden von der Türkisch-Deutschen Universität abzuwenden“, hatten sie erklärt.

Auch an der Universität Potsdam, die federführend am Aufbau der naturwissenschaftlichen Fakultät der TDU beteiligt ist, betont man die Freiheit von Lehre und Forschung: „Sie ist ein sehr hohes Gut, dies zu bewahren und zu schützen ist ein wesentliches Element für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen akademischen Partnern“, sagte Vize-Präsident Florian J. Schweigert. Dass die Potsdamer Uni für Freiheit in Forschung und Lehre sowie für freie Meinungsäußerung eintrete, gelte „auch für unser Verhalten gegenüber unserem türkischen Partner“.

Mittlerweile haben sich unter dem Hashtag #WirStehenAnIhrerSeiteMuratErdogan zahlreiche Studierende der TDU mit dem Dozenten solidarisiert. Die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul ist ein Projekt der Deutsch-Türkischen Wissenschafts- und Bildungskooperation. Zukünftig sollen 5000 Studierende an fünf Fakultäten im Istanbuler Stadtteil Beykoz lernen und forschen.

Der neuerrichtete Campus wurde 2020 von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem türkischen Präsidenten Erdogan eröffnet. Merkel hatte dabei gesagt: „Je größer die wissenschaftliche Freiheit ist, umso größer ist auch der wissenschaftliche Ertrag.“ Jan Kixmüller

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