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Ein „Publication Gap“ tut sich auf: Wissenschaftlerinnen veröffentlichen weniger Studien.

© Getty Images/Matthew Horwood

Ungleichheit bei Unikarrieren: Forscherinnen durch Pandemie benachteiligt

Im Wissenschaftsbetrieb haben es Frauen mit Kindern besonders schwer, viele hindert die Sorgearbeit am Aufstieg zur Professur. Die Pandemie hat das Problem verschärft. Was tun?

Volle Cafés, keine Maske im Zug, Weltstars in Präsenz auf der Berlinale – überall ist spürbar, die Pandemie gilt als beendet. Doch für einige dauert der Krisenzustand in vielerlei Hinsicht weiter an: Insbesondere für Frauen, die einen fordernden Job in der Wissenschaft haben und nebenbei Kinder oder pflegebedürftige Angehörige versorgen.

Dass die noch immer mehrheitlich von Frauen geleistete Care-Arbeit auf Kosten ihrer Forschungskarriere geht, und dies erst recht in Folge der Pandemie, kritisierte die Geschlechtersoziologin Kathrin Zippel jetzt bei einer Veranstaltung der Freien Universität Berlin. Zippel stellte zusammen mit einem Panel an Gleichstellungsexpertinnen dar, wie sich geschlossene Kitas und Home Schooling auf die Produktivität von Wissenschaftlerinnen auswirkten.

Diskutiert wurde auch, was getan werden muss, damit sie nun aufholen können – und Mutterschaft und Wissenschaft grundsätzlich besser vereinbar werden.

Dass Forscherinnen in den vergangenen drei Jahren gegenüber ihren männlichen Kollegen im Nachteil waren, lässt sich an internationalen Studien zeigen, etwa statistischen Erhebungen dazu, wie viele Fachartikel in dieser Zeit von Männern und Frauen publizierte wurden. „Publication Gap“ nennt sich das Phänomen, an dem sich die strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Pflegeverantwortung messen lässt.

Die Lücke dürfte sich zeitlich verzögert zeigen

Mit den empirischen Daten hierzu sei es gar nicht so einfach, bemerkte Lena Hipp, die am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Gruppe zu Arbeit und Fürsorge leitet. Insgesamt wurde während der Pandemie zunächst mehr wissenschaftlich publiziert. Das leuchtet ein, denkt man allein an die Masse an Artikeln rund um Covid-19 und seine Auswirkungen. War man sowohl Forschende als auch Single, fielen zudem so manche Aktivität und Verpflichtung zunächst weg, sodass Raum für (noch) mehr Arbeit blieb.

Die Zahlen des Outputs schwanken allerdings je nach Fach und fachspezifischem Frauenanteil. Darüber hinaus zögen sich die Publikationsprozesse von der Einreichung bei einem Preprint-Server bis zum Erscheinen oftmals mehrere Jahre hin, betonte Hipp. Ein Nachteil der Frauen könnte sich also in den kommenden Jahren daran zeigen, wer Karriere macht und wer nicht.

Hipp fand eine Gruppe, an der sich der Zusammenhang zwischen Fürsorge und Arbeit deutlicher ablesen ließ: Software-Entwicklerinnen auf der ganzen Welt, die ihre Codes auf bei dem Open-Source-Forum Github.com veröffentlichen.

Auch dort sei zu Beginn der Lockdowns in vielen Ländern die Produktivität bei Frauen wie Männern erstmal gewachsen. „Daran wurde sehr deutlich: Unter Frauen stieg sie nur weiter in jenen Ländern an, wo einerseits Läden und Produktionsstätten zu waren, die Kitas aber offen“, berichtete Hipp an der FU.

Es ergibt sich ein dramatisches Bild von Erschöpfung und Überlastung.

Sarah Czerney und Lena Eckert, Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft

Dass geschlossene Schulen und Kitas zwischen 2020 und 2022 für viele Frauen im Hochschulbereich zu Verzweiflung und Burnout führten, wird in qualitativen Umfragen deutlich. So erkundeten Sarah Czerney und Lena Eckert, die das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft gegründet haben und einen Sammelband dazu veröffentlichten, wie Studentinnen, Promovierende, Postdocs und Professorinnen als Mütter durch die Pandemie kommen. Es habe sich ein dramatisches Bild von „Erschöpfung und Überlastung“ ergeben, so Czerney und Eckert.

Müttern in der Forschung helfen, aber wie?

Was kann also getan werden, damit betroffene Frauen vor dem nächsten Karriereschritt die wertvolle Forschungszeit wieder aufholen können, die sie in der Pandemie verloren haben? Damit sich die „Leaky Pipeline“, also die nach oben immer dünner werdende Frauenquote, an den Hochschulen nicht verstärke, müssten in Berlin unbedingt spezifische Förderprogramme wieder aufgelegt werden. Und zwar solche, die Forscherinnen den Weg zu einer, wenn auch befristeten, ersten Professur erleichterten, sagte die Ökonomin Barbara Fritz, die an der FU für Nachwuchsförderung zuständig ist.

Mit der ab Oktober greifenden Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, die Befristungen ab dem Postdoc-Level auf Haushaltsstellen verbietet, sei das nun nicht mehr möglich. Frauen vermehrt zu solchen befristete W2-Professuren zu verhelfen, sehen indes nicht alle Gleichstellungs-Engagierten als den einzig richtigen Weg. Die so verbesserte Frauenquote habe in manchen Fächern nämlich auch dazu geführt, „dass die entfristeten Professuren dann wieder an die Männer vergeben wurden“.

Einig war man sich indes auf dem Panel, dass Maßnahmen wenig zielführend sind, die sich an Eltern allgemein, also auch Väter in der Wissenschaft, richten. Das habe jüngst die „American Economic Review“ für die Wirtschaftswissenschaften in den USA gezeigt, so Fritz.

Eine „Stop the Clock“-Regelung regele dort, dass Eltern bei Stellenbewerbungen in der Wissenschaft je nach Anzahl der Kinder „Jahre gutgeschrieben“ bekommen, damit sich die Sorgearbeit nicht negativ auf ihre Publikationsquote auswirkt, erklärte Fritz. Nachweisen, dass man Elternzeit genommen hat, muss man dafür nicht. Das Fazit der Studie: „Am Ende hat die Maßnahme lediglich die Karriere von Männern beschleunigt, sie kamen so schneller zu einer Tenure-Track-Professur.“

FU-Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott verteidigte die Berliner Linie: Zumindest habe die Reform des Hochschulgesetzes ermöglicht, Frauen zusätzliche Mittel für Publikationen zu geben. Auch dies sei ein Hebel, um Frauen nach den Pandemiejahren wieder nach vorn zu helfen. Zudem plane man, den Aspekt, ob eine Bewerberin Care-Arbeit leisten musste, künftig bei Berufungen und Bleibeverhandlungen zu berücksichtigen.

Was genau den erwünschen Ausgleich der strukturellen Benachteiligung schaffen würde – das gilt es also noch herauszufinden. Das Kriterium, wieviel Hausarbeit man etwa geleistet hat, könne einer Bewerberin schließlich auch peinlich sein, gab Panelistin Fritz zu bedenken. „Kann ich mir als intellektuelle Mutter eingestehen, dass ich den größeren Anteil übernommen habe und wenn ja, will ich das öffentlich machen?“

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