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Zwei Väter, ein Kind: Die kleine Gruppe gegen- und gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit Kindern hat am stärksten zugenommen.

© pololia - stock.adobe.com/Bearbeitung Tagesspiegel

Vater, Vater, Kind: Löst sich das traditionelle Bild einer Familie bald auf?

Menschen werden in Zukunft immer weniger Verwandte haben und in älteren Familienkreisen leben. Wie verändert das unser Zusammenleben? Drei Experten antworten.

Familien werden sich in den kommenden Jahren stark verändern. Eine aktuelle Studie im Fachblatt „PNAS“ kommt zu dem Ergebnis, dass ein Mensch bis zum Jahr 2100 etwa 40 Prozent weniger Verwandte haben wird. Das heißt: Vier von zehn Verwandten fallen der Prognose nach weg. Auch die übliche Zusammensetzung wird sich wandeln. Was bedeutet das für das traditionelle Bild einer Familie?

Der Tagesspiegel hat drei Fachleute gefragt. Alle Folgen unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.


Erweiterte Familienkreise werden kleiner – und älter

Eine Familie bestand schon immer aus mehr Personen als nur Mutter, Vater und Kind. Geschwister, Großeltern, Urgroßeltern, Enkel, Urenkel, Cousinen, Onkel, Tanten, Nichten und Neffen – alle können wichtige Rollen in unserem Leben einnehmen.

In unserer Studie haben wir dramatische Veränderungen in der Struktur dieses erweiterten Familienkreises beobachtet. Zum Beispiel hatte eine 65-jährige Frau im Jahr 1950 durchschnittlich 54 lebende Verwandte. Im Jahr 2100 wird sie nur noch 15 lebende Verwandte haben. Das ist ein weltweiter Durchschnitt. Der Rückgang in Deutschland wird geringer ausfallen: von 16,4 auf 14,1.

Erweiterte Familienkreise werden im Laufe der Zeit nicht nur kleiner, sondern auch älter, sodass sich Rollen und Aufgaben innerhalb von Familien verändern. Das kann erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Menschen haben. Diese Veränderungen werden – wie so häufig – die am stärksten benachteiligten Gruppen der Gesellschaft am härtesten betreffen. 


Die klassische Familie wandelt ihre Gestalt

Die klassische Kleinfamilie löst sich nicht auf, verändert aber fortwährend ihre Gestalt, da sie sich an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpasst.

Auch in Deutschland geht die Zahl der Familien mit minderjährigen Kindern, verstanden als zusammenlebende Eltern-Kind-Gemeinschaften, zurück. Dieser Rückgang ist ein Ergebnis gestiegener Kinderlosigkeit, einer späteren Familiengründung und einer Erhöhung der Lebenserwartung.

Die größte, jedoch anteilsmäßig abnehmende Familienform sind nach wie vor Ehepaare mit häufig zwei Kindern. Moderat zugenommen hat der Anteil Alleinerziehender (größtenteils Mütter), während die kleine Gruppe gegen- und gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit Kindern am stärksten zugenommen hat.

Doch auch gegenwärtig leben drei Viertel der minderjährigen Kinder mit verheirateten Eltern zusammen. Sozialwissenschaftlichen Studien zufolge ist die Qualität der sozialen Beziehungen innerhalb der Familie wichtiger für das Wohlbefinden ihrer Mitglieder als die Familienstruktur.


Für neue Familienformen braucht es einen neuen Rechtsrahmen

Familie war immer im Wandel und wird es immer sein. Die Mutter-Vater-Kind-Familie ist historisch gesehen nur ein kleiner Ausschnitt in der Gesamtschau menschlichen Zusammenlebens. Die Aussicht darauf, dass Menschen immer weniger Blutsverwandte um sich haben werden, ist also weder radikal noch erschreckend.

Auch heute ist übrigens für die rechtliche Vaterschaft egal, ob der Ehemann der Mutter auch der biologische Erzeuger ist oder nicht. Rechtlich verwandt mit dem Kind ist er allemal.

Auch heute leben Menschen in Wahlverwandtschaften zusammen. Auch heute haben Menschen kaum oder keinen Kontakt zu direkten Verwandten, dafür verbindliche Beziehungen in ihrem sozialen Umfeld.

Die Aussicht auf weniger Blutsverwandte in der Zukunft zeigt einmal mehr, dass wir Bindungen brauchen, die über die biologische Verwandtschaft hinausgehen oder sie ersetzen können. Was es dafür braucht, ist ein Rechtsrahmen, der Sicherheit für verbindliche Beziehungen schafft, die über Mutter-Vater-Kind hinausgehen. 

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