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Der Primatenforscher Frans de Waal spricht auf dem Podium der Phil.Cologne, einem Festival für Philosophie.

© imago/Horst Galuschka

Vetter der Affen: Primatenforscher Frans de Waal ist tot

In jahrzehntelanger Forschungsarbeit hat Frans de Waal nachgewiesen, dass Tiere Individuen mit Persönlichkeit und mitunter komplexen Emotionen sind. Er inspirierte Generationen.

Einen jungen Schimpansen zu kitzeln sei ähnlich, wie ein Kind zu kitzeln, hat Frans de Waal einmal geschrieben: „Der Affe hat die gleichen empfindlichen Stellen: unter den Achseln, an der Seite, im Bauch. Er reißt den Mund weit auf, die Lippen sind entspannt, und er hechelt hörbar im gleichen Huh-huh-huh-Rhythmus beim Ein- und Ausatmen wie der Mensch beim Lachen.“

Man könne bei dem jungen Affen die gleiche Ambivalenz wie bei einem menschlichen Kind beobachten: „Er stößt Ihre kitzelnden Finger weg und versucht zu entkommen, aber sobald Sie aufhören, kommt er zurück und will mehr, indem er seinen Bauch direkt vor Sie hält. Jetzt brauchen Sie nur noch auf eine kitzelnde Stelle zu zeigen, ohne sie auch nur zu berühren, und er wird einen weiteren Lachanfall bekommen.“

Keine Kluft zwischen Tier und Mensch

Die kleine Szene offenbart nicht nur das innige Verhältnis des Biologen zu den Subjekten seiner Forschung. Sie verdeutlicht seine fundamentale Erkenntnis, die er in vielen Beobachtungen und Experimenten untermauert hat: Zwischen Mensch und Tier klafft nicht die tiefe Kluft, wie sie von Philosophen und Wissenschaftlern über die Jahrhunderte postuliert wurde. Tiere sind nicht bloße Reiz-Reaktions-Maschinen mit genetisch verankerten nützlichen Instinkten, als die sie immer wieder dargestellt wurden. Der prinzipielle Unterschied von Mensch und Tier erweist sich oft als Illusion.

Frans de Waal kam 1948 in den Niederlanden auf die Welt, studierte Verhaltensbiologie und begann mit Verhaltensstudien an Javaneraffen und Schimpansen im Burgers’ Zoo in Arnheim. Im Alter von 32 wechselte er in die USA, 1996 wurde Professor an der Abteilung für Psychologie der Emory University in Atlanta und dort 1997 Direktor des Living Links Center am Yerkes National Primate Research Center.

Über viele Tausende Stunden beobachtete er das Verhalten und die sozialen Beziehungen von Menschenaffen. Besonders einflussreich war sein 1982 veröffentlichtes Buch „Chimpanzee Politics: Power and Sex Among Apes“ (Deutsch: „Unsere haarigen Vettern. Neueste Erfahrungen mit Schimpansen.“)

Alpha-Männchen und Friedensstifter

De Waal beschrieb beispielsweise, wie sich Alpha-Männchen unter Schimpansen durchsetzen: Aggression und Stärke reichen dafür bei Weitem nicht aus. Erfolgreich sind Anführer, die Bündnisse schmieden, den Frieden in der Gruppe sichern, Streit unterbinden und dabei auch die Schwächsten schützen und Trost spenden.

Großen Einfluss unter seinen zahlreichen Büchern hatte auch „Bonobo: The Forgotten Ape“ (1997), Deutsch: „Bonobos. Die zärtlichen Menschenaffen.“ Darin beschrieb der die bis dahin wenig beachteten Bonobos, zusammen mit den Schimpansen die nächsten Verwandten von Homo sapiens. Obwohl genetisch eng verwandt mit den Schimpansen, leben Bonobos in einer deutlich anderen Sozialstruktur: Die größte Macht haben hier die Weibchen, soziale Spannungen werden mit häufigem Sex gelöst.

Unter Bonobos herrschen die Frauen.
Unter Bonobos herrschen die Frauen.

© IMAGO/Pond5 Images/Uryadnikov

In seiner 2002 erschienenen und am meisten zitierten Forschungsarbeit beschäftigte de Waal sich mit der Entstehung von empathischem Verhalten. Er argumentierte, dass Empathie ein komplexes Phänomen sei, das in unterschiedlichen Formen auftritt und sich evolutionär entwickelt hat, um die sozialen Bindungen zwischen Individuen zu stärken und kooperatives Verhalten zu fördern. Die ultimative Ursache von Empathie ist der evolutionäre Vorteil, den empathisches Verhalten für das Überleben und die Fortpflanzung bietet. Dazu gehört die Fähigkeit, die Emotionen anderer zu verstehen und darauf angemessen zu reagieren, was wiederum den sozialen Zusammenhalt und die Kooperation innerhalb einer Gruppe verbessert.

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Berühmt wurde auch eines von de Waals Experimenten, mit dem er zeigte, dass Kapuzineraffen ein Gefühl für Gerechtigkeit besitzen. Die Tiere akzeptieren zunächst bereitwillig ein Stück Gurke als Belohnung für das Lösen einer kleinen Aufgabe. Wenn sie aber sehen, dass ein Affe im Nachbarkäfig für die gleiche Aufgabe eine begehrte süße Weintraube erhält, schleudern sie die Gurke von sich.

Dass Affen damit über Moral verfügten, so weit ging de Waal nicht. Doch immer wieder wies er darauf hin, dass menschliche Fähigkeiten eine Vorgeschichte, Wurzeln in der evolutionären Vergangenheit haben. Zeitlebens blieb es ihm ein Anliegen, dass Menschen sich als ein Teil der Natur betrachten und sie nicht nach Belieben manipulieren dürften. Im Alter von 75 Jahren ist Frans de Waal in seiner Wahlheimat Atlanta an Magenkrebs gestorben.

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