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Fingerzeig. Mit weißen Händen riefen Studierende in Rom im Dezember zum friedlichen Protest gegen die Hochschulreform auf.Foto: dpa

© dpa

Warten aufs Demonstrieren: Italiens Uni-Filz

Studierende protestieren gegen Kürzungen an den italienischen Universitäten, aber die Ministerin will auch gegen Vetternwirtschaft vorgehen.

Italiens Universitäten sind in den Neujahrsferien. Die braven Studenten – so wie Regierungschef Silvio Berlusconi sie sich während der jüngsten Massenproteste vorstellte – sitzen zuhause eifrig über ihren Büchern. Die weniger braven warten einfach nur ab, bis das öffentliche Leben wieder losgeht und das Demonstrieren sich wieder lohnt.

Denn eines haben die Studentenführer vor Jahresende klargestellt: Auch wenn Bildungsministerin Mariastella Gelmini ihre Hochschulreform am letzten Tag vor Weihnachten durchs Parlament gepaukt hat – erledigt ist die Sache damit noch lange nicht. „Ihr klaut uns unsere Zukunft!“ haben die Studenten während der wochenlangen, meist friedlichen und kreativen Demonstrationen gerufen. Stellenweise kam es allerdings zu Ausschreitungen und Zusammenstößen linker Demonstranten mit der Polizei. Die Regierung hat sich davon nicht beeinflussen lassen.

Jetzt ist die Reform zwar Gesetz; zum Inkrafttreten braucht sie aber noch an die 50 Ausführungsdekrete, das wird mindestens ein halbes Jahr dauern. Die Studenten hoffen, mit ihren Massenprotesten die Regierung Berlusconi früher nach Hause schicken zu können.

Die Universitäten Italiens gelten bisher als aufgebläht, ineffizient, schwerfällig, geldvernichtend und im internationalen Vergleich als zurückgeblieben. Die Universität Bologna, die als der Exzellenz-Gipfel der italienischen Hochschullandschaft gilt, landet bei zwei aktuellen internationalen Rankings auf Platz 176 und Platz 192.

Dass die Klagen über den Zustand der Hochschulen berechtigt sind, darüber sind sich alle in Italien einig. Nur Ezio Pelizzetti, der Rektor der Universität Turin, hält diese Bewertung für ungerecht: Messe man nämlich die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen an dem, was jedes Land für seine Unis ausgebe, dann mische Italien geradezu an der Weltspitze der Forschung mit. Und in der Tat: Italien ist das OECD-Land, das mit knapp unter 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts am zweitwenigsten für Bildung aufwendet; der OECD-Schnitt liegt bei 6,2 Prozent.

Die Reform der erst 37-jährigen Ministerin Gelmini ändert an diesem Hauptproblem gar nichts. Vielmehr werden die Hochschulfinanzen, nach einer Kürzung um 279 Millionen Euro 2010, in diesem Jahr um weitere 550 Millionen Euro zusammengestrichen. Und nicht nur das: Selbst in den ersten Januartagen wussten die Unis noch nicht endgültig, wie viel sie im abgelaufenen Jahr hätten ausgeben dürfen.

Dass die Studenten also berechtigten Anlass zum Verdacht haben, „Hochschulreform“ sei nur ein Tarnname für „Streichkonzert“, ist offenkundig. Andererseits leiden Italiens 95 Universitäten mit ihren 1,8 Millionen Studenten unter vielen anderen Problemen, und gegen diese geht Gelmini durchaus vor. Deshalb hat sich dem Studentenprotest, so machtvoll er sich im Fernsehen ausnahm, kaum jemand angeschlossen. Viele Experten begrüßen, was die Ministerin vorhat.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Studiengänge und der Lehrstühle in Italien exponentiell zugenommen. Weil noch die kleinste Kreisstadt ein Universitätssitz sein und die Dozentenbürokratie sich selbst unentwegt neue Posten verschaffen wollte, nahmen die Studiengänge etwa in der Toskana in den vergangenen zehn Jahren um 231 Prozent zu, die Zahl der Studenten dagegen nur um zehn Prozent. Derzeit kann man in Italien in 5500 Fächern seinen Abschluss machen (darunter in „Wellness für Hunde und Katzen“ und in „Zierblumenwirtschaft“). Im Jahr 2001 waren es nur 2444 Fächer – was heute ungefähr internationales Maß ist. Es gibt 37 Kurse mit nur einem Studenten und 327 Fakultäten mit weniger als 15 Studierenden. Die Professoren haben ihre Lehrstühle auf 170 000 vermehrt – das vergleichbare europäische Mittel liegt bei 90 000. Allerdings ist davon auszugehen, dass nicht alle Lehrstühle in Italien wirklich besetzt sind.

Die „Riforma Gelmini“ deckelt nun die Zahl der Fakultäten auf zwölf pro Universität. Ferner geht sie die Vetternwirtschaft und das berüchtigte Seilschaftswesen an, die diese Aufblähung erst möglich gemacht hat. Künftig können Universitäten ihre Posten nicht mehr freihändig oder über fingierte „lokale“ Ausschreibungen vergeben. Sie müssen sich aus einem Pool von Wissenschaftlern bedienen, die auf nationaler Ebene ihre wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen und bestätigt bekommen haben. Die Amtszeit der Rektoren wird von faktisch lebenslang auf sechs Jahre begrenzt. All dies soll das Filz-Gewebe zerstören oder zumindest transparenter machen.

Eigentlich wollte Gelmini auch die Lehrstuhlinhaber oder Institutsleiter, die heute als „Barone“ über ihrem Apparat thronen, künftig mit 65 Jahren in Pension gehen lassen. Damit wollte Gelmini die im internationalen Vergleich hoffnungslos überalterte italienische Dozentenschaft verjüngen und Plätze schaffen für jene neuen, aufstrebenden Forschertalente, die bisher aus Mangel an nationalen Perspektiven zumeist ins Ausland gehen – und häufig erst dort die internationalen Preise abräumen, die sie zu Hause nie erreicht hätten. Doch diese Reform scheiterte, das Pensionsalter bleibt bei 70 Jahren.

Gleichzeitig wird die lebenslange Anstellung für junge Wissenschaftler gestrichen. Wer als Forscher an der Uni bleibt, bekommt maximal zwei Dreijahresverträge. Während dieser Probezeit muss er seine wissenschaftliche Qualifikation unter Beweis stellen. Paritätisch besetzte Kommissionen aus Professoren und Studenten haben künftig die Möglichkeit, die Qualität von Dozenten, Lehre oder Fakultät zu bewerten. Nationale Bewertungsstrukturen sollen dazukommen, so dass künftig zehn Prozent der gesamten Hochschulfinanzen nach Leistungskriterien verteilt oder einzelne Instituten einfach gestrichen werden.

Zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit sollen die italienischen Unis künftig nicht mehr nur vom Akademischen Senat, sondern – nach dem Beispiel von Wirtschaftsunternehmen oder auch deutscher Hochschulen – von einem Verwaltungsrat geleitet werden, in dem bis zu 40 Prozent der Sitze für „externe Mitglieder“ reserviert sind. Doch diese Öffnung des Elfenbeinturms ist umstritten: Wie sollen die „Externen“ ausgewählt werden? Erhöhen universitätsfremde Fachleute eher die Qualität, indem sie den Horizont erweitern und internen Filz verhindern? Oder unterwerfen sie Forschung und Lehre irgendwelchen sachfremden, finanziellen oder streng profitorientierten Interessen etwa der lokalen Wirtschaft? Ziehen vielleicht gar Parteipolitik und die Präpotenz provinzieller Machthaber in die Unis ein?

Niemand, auch nicht die Ministerin, hat auf diese Fragen eine Antwort. Allzu viele Punkte sind bei dieser Universitätsreform noch offen. Gerade die Unsicherheit aber ist einer der Hauptmotoren des Protests – neben der grundsätzlichen Gegnerschaft vieler Studenten gegen alles, was aus einer Regierung Berlusconi kommt.

Anmerkung: In einer ersten Version des Artikel hieß es, die Professoren müssten künftig mit 65 Jahren in Pension gehen. Das Pensionsalter bleibt allerdings bei 70 Jahren. Auch der Hinweis, dass von den 170 000 Lehrstühlen nicht alle besetzt sind, fehlte zunächst. Wir haben die entsprechenden Passagen ergänzt und bitten für die Irrtümer um Entschuldigung.

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