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Genießt eine Sonderbehandlung: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD).

© Jörg Carstensen/dpa

Keine Sonderbehandlung für die Ministerin: Warum das Prüfungsverfahren gegen Giffey neu aufgerollt werden müsste

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die FU Franziska Giffey ihren Doktortitel ließ. Andere Plagiatoren kommen nicht so glimpflich davon. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Tilmann Warnecke

Wie viel dürfen sich Doktoranden erlauben, ohne dass ihnen der Titel entzogen wird? An der Freien Universität, einer Exzellenzuniversität, eine ganze Menge.

Zu diesem Schluss muss jedenfalls kommen, wer den jetzt öffentlich gewordenen Schlussbericht der Prüferinnen und Prüfer von Franziska Giffeys Promotion liest.

Kurze Rückblende: Schon als die FU 2019 entschied, der Familienministerin und heutigen Berliner SPD-Spitzenkandidatin in spe nach Plagiatsvorwürfen ihren Titel zu lassen, war das bestenfalls ein Freispruch zweiter Klasse. Die FU verzichtete zwar darauf, ihr den Doktor abzuerkennen – erteilte aber eine Rüge, weil sie die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht durchgängig beachtet hatte.

Ein schlechtes Licht auf Prüfer und Geprüfte

Die FU weigerte sich damals, öffentlich zu machen, wie viele Stellen in Giffeys Arbeit sie selbst als Plagiat wertete. Das war eine ungute Geheimniskrämerei. Das Gutachten wirft jetzt ein noch schlechteres Licht auf die Prüfer und die Geprüfte.

27 Textstellen identifizierten die Prüfer, an denen Giffey eindeutig fremde Texte übernahm, ohne eine Quelle zu nennen. Dazu kommen viele weitere aus Sicht der Gutachtenden uneindeutige Stellen. Das Gutachten spricht von „objektiver Täuschung“, „bedingtem Vorsatz“, die Mängel hätten „auch einen systematischen Charakter“. Ein vernichtendes Verdikt.

Wieso die FU hier zu einer Sanktion griff, die es gar nicht gibt – eine Rüge ist im Berliner Hochschulgesetz nicht vorgesehen – anstatt den Titel zu entziehen, muss sie ihren Studierenden nun erstmal erklären.

Steffel und Giffey: Mit zweierlei Maß gemessen

Erklären müsste sie ihr Urteil auch anderen Plagiatoren, die nicht so glimpflich davonkamen. Etwa Frank Steffel. Wer sich erinnert: Der einstige CDU-Spitzenkandidat verlor 2017 seinen Titel ebenfalls an der FU. Die Begründung der FU, Steffel den Titel zu entziehen: „eine zumindest bedingt vorsätzliche Täuschung“. Richtig, das ist genau das, was auch Giffey vorgeworfen wird. Schon das macht klar, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde.

Natürlich sollten Prüfer bei Plagiatsvorwürfen sorgsam abwägen, niemand sollte den Titel wegen offensichtlicher Bagatellen verlieren. Das gilt auch für Ministerinnen. Doch um Bagatellen handelte es sich bei Giffey eben nicht.

Die Erklärung der FU, warum sie bei Giffey auf den Titelentzug verzichtete, mutete ohnehin von Beginn an seltsam an. Die inkriminierten Stellen würden nicht überhandnehmen, es sei „nur“ der Theorie-Teil der Arbeit betroffen, in dem sie Begrifflichkeiten klärt.

Das Urteil war ein Schlag ins Gesicht ehrlicher Forschender

Aber wenn eine Doktorandin schon mit der Theorie nicht klarkommt, nicht eindeutig nachzuvollziehen ist, worauf sie ihre Arbeit theoretisch aufbaut – wieso soll das unerheblich sein? Einer Ingenieurin, die eine Brücke errichtet, würde man ein Fundament mit Fehlern ja auch nicht durchgehen lassen.

Das Urteil der FU war schon damals ein Schlag ins Gesicht ehrlicher Forschender, und ist es vor dem Hintergrund des Gutachtens erst recht. Der Exzellenzverbund der Berliner Universitäten, zu dem die FU gehört, hat sich als eine große Aufgabe gestellt, die Standards von Wissenschaft und die Qualität der Forschung zu sichern und zu verbessern. Das Prüfverfahren zu Giffeys Doktorarbeit neu aufzurollen, sollte vor diesem Hintergrund eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

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