zum Hauptinhalt
Der obere Bereich der Fassade des Empfangsraums des mehrhöfigen Wohnhauses Jazzar wurde während des Erdbebens erneut zerstört. Ältere Sicherungsmaßnahmen verhinderten weitere Schäden.

© Dima Dayoub, 2023

Wiederaufbau von Aleppo: Ein Buch dokumentiert die architektonischen Schätze der Stadt

Zehn Jahre hat das Syrian Heritage Archive Project gesammelt, nun erscheint ein Grundlagenwerk über die Rekonstruktion historischer Wohnhäuser in Aleppo.

Seit mehr als 5000 Jahren ist Aleppo konstant besiedelt, doch wann die prächtigen Hofhäuser aufkamen, ist aufgrund fehlender Befunde unklar. Aber mit ihren Höfen, Brunnen und ihrem Grün prägen sie die Altstadt der Metropole in der Levante, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Während des Bürgerkrieges hat die Substanz der Stadt seit 2011 schwer gelitten.

Daher wurde 2013 das „Syrian Heritage Archive Project“ (SHAP) auf Initiative des Freundeskreises des Museums für Islamische Kunst in Berlin mit finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung und des Auswärtigen Amtes gegründet.

Damit sollte die „Schockstarre“ überwunden werden, die sich nach den immer verheerenderen Kriegszerstörungen zunächst breit gemacht hatte, drückte es Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, einmal aus.

Das Museum für Islamische Kunst und das Deutsche Archäologische Institut hatten anfangs alle Dokumente, Pläne, Fotos, Zeichnungen aus ihrem Besitz – insgesamt über 150.000 Dokumente und Fotos – in eine Datenbank eingespeist und mit einer interaktiven Karte verknüpft. Dazu gibt es Geschichten und Videos auf der Website syrian-heritage.org, die an die Vorkriegszeit erinnern.

Das Projekt besitzt inzwischen eine eigene Datenbank mit 212.000 verarbeiteten Datensätzen, die im Besitz des Museums für Islamische Kunst ist und vom Auswärtigen Amt und der Gerda-Henkel-Stiftung unterstützt wird. Die Grundidee des Projektes ist, den Syrern bei einem möglichen Wiederaufbau mit Dokumenten und Plänen zur Seite zu stehen, damit sie wissen, was sie wie wieder originalgetreu aufbauen können.

Ein Buch für den Wiederaufbau

Aus dieser Arbeit ist nun das zweibändige Handbuch „A Culture of Building: Courtyard Houses in the Old City of Aleppo“ hervorgegangen, das Dima Dayoub, Ruba Kasmo und Anne Mollenhauer herausgegeben haben. Diese wissenschaftliche Dokumentation dient sowohl als Grundlagenwerk für einen möglichen Wiederaufbau der Altstadt als auch der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Wohnhäusern. Die knapp tausend Bilder im Buch stammen aus dem Fundus der über 55.000 Fotos zu Aleppo, die das SHAP in den letzten zehn Jahren in die Datenbank eingespeist hat.

Der französische Geograf Jean-Claude David und die Fotografin Christine Delpal haben dem Archiv kürzlich über 30.000 weitere Dokumente überlassen, die vor allem die Häuser und das alltägliche Leben Aleppos spiegeln – ein Schatz für den möglichen Wiederaufbau.

David eröffnet den ersten Band mit einer architekturgeschichtlichen Übersicht über die Entwicklung der Hofhäuser, die seit dem 15. und 16. Jahrhundert so charakteristisch für die Altstadt Aleppos sind. Sicher ist demnach, dass der Palast auf der Zitadelle von Aleppo im Prinzip ein solches Hofhaus war. Elemente dieser Architektur spiegelten sich fortan in den Wohnbauten der Handelsmetropole wider.

„Bisher hat man sich in der Forschung vor allem auf Paläste, Moscheen, Koranschulen und andere bedeutende öffentliche Gebäude konzentriert und dabei die charakteristischen Wohnhäuser, die Hofhäuser, vernachlässigt“, sagt Projektkoordinatorin Anne Mollenhauer.

Eine charakteristische Architektur

Charakteristisch für die Hofhäuser ist die Gruppierung der Räume um einen Innenhof. Eine Seite des Hofes wird von dem sogenannten Iwan gebildet, dem hohen bogenförmigen Raum, der zum Hof hin offen ist und in dem sich ein Teil des Alltagslebens der Bewohner abspielt.

Ferner gehört ein besonders gestalteter Empfangsraum dazu, der oft von einer Kuppel gekrönt war und in dem der Hausherr wichtige Gespräche führte. Nur in Aleppo sind diese Häuser über alle Stockwerke aus Kalkstein gebaut. Die Häuser wurden ohne Möbel geplant, es gab Nischen in der Wand für die Aufbewahrung, und man saß auf Kissen und Teppichen.

Der Innenhof des Hauses Ajiqbash im Viertel al-Judayda.
Der Innenhof des Hauses Ajiqbash im Viertel al-Judayda.

© Martin Gussone 2009

Im zweiten Teil des Handbuches untersucht Annalinda Neglia die räumliche Ordnung der Wohnquartiere und die Struktur der Wohnhäuser im Viertel Al-Judayda im Nordwesten der Altstadt. Diese zeichnet sich durch eine soziale Mischung und so durch einen Mix von Häusern verschiedener Größe aus. Minutiös wird die Wasserversorgung dokumentiert, das Straßensystem mit Gassen und Sackgassen, Räumen über der Straße, Plätzen und Toren.

Dayoub, Dima; Kasmo, Ruba; Mollenhauer, Anne (Hrsg.): A Culture of Building: Courtyard Houses in the Old City of Aleppo. Part 1: Design, 302 Seiten; Part 2: Construction, 288 Seiten, éditions Al Ayn, Beirut 2023. 55 Euro.
Dayoub, Dima; Kasmo, Ruba; Mollenhauer, Anne (Hrsg.): A Culture of Building: Courtyard Houses in the Old City of Aleppo. Part 1: Design, 302 Seiten; Part 2: Construction, 288 Seiten, éditions Al Ayn, Beirut 2023. 55 Euro.

© éditions Al Ayn, Beirut 2023

Dann wird die Typologie der Häuser erstellt, die sich im Lauf der Zeit wenig verändert hat. Empfangsräume und -hallen, Galerien und Loggien, Räume, Alkoven, Küchen, Keller und Souterrains werden vorgestellt, ebenso die Außentreppen, die Fenster und ihre Dekoration.

Alle Bereiche des Hauses werden ausführlich beschrieben, sowohl mit möglichst aktuellen als auch historischen Fotos. Ein illustriertes Glossar mit den Begriffen im aleppinischen Dialekt, Hocharabisch und Englisch rundet den Band ab und veranschaulicht deutlich, welche Elemente zu einem Haus gehören können.

So, wie die Stadt einmal war

Der Wiederaufbau in der Altstadt von Aleppo wird von Privatleuten getragen. Die Menschen haben den Wunsch, ihre zerstörte historische Stadt wieder so aufzubauen, wie sie einmal war. Aber nicht jeder Hausbesitzer verfügt über Pläne und Fotos. Das Handbuch kann hier eine erste Orientierung bieten.

Isometrie des Hauses Basil im Viertel al-Judayda.
Isometrie des Hauses Basil im Viertel al-Judayda.

© SHAP 2021

So beschreibt der zweite Band präzise die traditionellen Baumaterialien und Bautechniken, unterstützt durch zahlreiche Detailfotos. Hier geht es um den Kalkstein, die Steinbrüche in der Umgebung von Aleppo, die Bearbeitung der Steine, den Einsatz von Feld- und Backsteinen sowie von Glas und Holz. Verschiedene Typen des Mauerwerks sind dokumentiert, ebenso wie die unterschiedlichsten Konstruktionsweisen von Holzdecken. Selbst das benötigte Werkzeug stellt das Buch vor.

„Das Buch ist die Basis dafür, zu verstehen, wie die traditionellen Häuser gebaut waren. Es bietet erstmals Experten für Post-Desaster-Maßnahmen reichhaltig Material“, sagt Dima Dayoub, eine der Herausgeberinnen. „Als das Erdbeben im Frühjahr 2023 Aleppo erfasste, war das Buch bereits im Druck. Aber auch für diesen Fall bietet es wertvolle Informationen und Grundlagen für einen eventuellen Wiederaufbau.“

Eine arabische Übersetzung dieses Standardwerkes ist geplant. „Es kommen auch Anfragen von Wissenschaftlern und Studierenden aus aller Welt, die zu Aleppo forschen“, erzählt Anne Mollenhauer. Das Interesse ist groß: Die Facebookseite des Projekts hat über 20.000 Follower.

Ein zweites Ergebnis der jahrelangen Sammeltätigkeit ist der „Aleppo Heritage Catalogue“, in dem Dima Dayoub, Zoya Masoud und Hiba Bizreh die wichtigsten Baudenkmäler Aleppos aufführen. Dieser Katalog wird von der Gerda-Henkel-Stiftung finanziert und ist dort online abrufbar.

In dem Katalog dokumentieren aleppinische und internationale Wissenschaftler religiöse Bauten und Bildungseinrichtungen, Handelshäuser, die Zitadelle und verschiedene Wohnhäuser. Dabei werden die Situation vor Kriegsbeginn 2011 beschrieben sowie die architektonische und kunsthistorische Bedeutung dargestellt sowie die Schäden durch den Krieg dokumentiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false