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Der ehemalige CAS-Präsident Bai Chunli und Max-Planck-Präsident Martin Stratmann im April 2019 in Peking

© Max-Planck-Gesellschaft

Wissenschaft als Mittel der Diplomatie : „In einem zunehmend verminten Feld“

Die Bundesforschungsministerin will die Wissenschaft mit „sicherheitspolitischen Interessen in Einklang“ bringen. Droht die Forschung politisch vereinnahmt zu werden? Ein Gespräch mit der Historikerin Carola Sachse.

Eine „Zeitenwende“ in der Wissenschaftspolitik kündigte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vor kurzem an. Man müsse „unsere Forschung vor China schützen“. Wissenschaftsfreiheit, die Unabhängigkeit der Forschung von politischer Vereinnahmung, sei zwar „ein hohes Gut“, müsse aber „mit sicherheitspolitischen Interessen in Einklang gebracht“ werden. Das betrifft unter anderem die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die größte Organisation für Grundlagenforschung in Deutschland.

Mit der Rolle der MPG in der internationalen Politik seit 1945 haben Sie sich intensiv beschäftigt, Frau Sachse. Was könnte ein solcher Paradigmenwechsel bedeuten?
Er fordert dazu auf, endgültig mit der Vorstellung aufzuräumen, Grundlagenforschung sei eine ausschließlich von Erkenntnis getriebene Forschung, die sich von angewandter Forschung und technischer Entwicklung hinreichend abgrenzen lässt. Genau das aber war die Gründungsidee der MPG in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Es geht also um Wissenschaftsdiplomatie was versteht man eigentlich darunter?
Es ist seit etwa 20 Jahren ein Zauberwort in der internationalen Politik. Wissenschaftsdiplomatie will anders als ältere Konzepte, etwa „auswärtige Kulturpolitik“ oder „wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“, nicht mehr nur nationalen Interessen dienen, sondern zur Lösung der planetaren Probleme beitragen. Das Konzept wurde um 2010 ausdifferenziert. „Science in Diplomacy“ beschreibt die herkömmliche Bereitstellung von wissenschaftlicher Expertise für die Außenpolitik. „Diplomacy for Science“ meint etwa die diplomatische Unterstützung bei der Anbahnung bilateraler Kooperationen. Bei der „Science for Diplomacy“ agiert die Wissenschaft in Übereinstimmung mit, wenn nicht primär sogar für Ziele der Außenpolitik. Im Fall der MPG galt das etwa beim Aufbau diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu China. Internationale Wissenschaftskooperationen können Türen öffnen. Sie können aber auch, wie es sich etwa in den Kooperationen der MPG mit der Sowjetunion bis weit in die 1980er Jahre hinein zeigte, zu Konflikten mit der staatlichen Außenpolitik führen.

Die MPG ging nach dem Krieg aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) hervor und war seitdem bemüht, sich aus politischen Angelegenheiten herauszuhalten. Warum?
Die MPG sah sich mit den berechtigten Vorwürfen der Alliierten konfrontiert, die KWG sei zu sehr in die Rassen- und Expansionspolitik des Nationalsozialismus, vor allem aber in die Rüstungsforschung verstrickt gewesen. Militärisch relevante Forschung sollte künftig verhindert, der westdeutsche Forschungsstandort aber nicht aufgegeben werden. Die Beschränkung der KWG-Nachfolgeorganisation auf Grundlagenforschung schien diesen Widerspruch zu lösen. Die MPG zog aus dieser Existenzkrise die Lehre, sich künftig aus der Politik herauszuhalten. Das Bekenntnis zur Grundlagenforschung fern von Politik, Ökonomie und Militär war ihre Version des „Nie wieder“. Im komplexen Wissenschaftssystem der Bundesrepublik ist diese Sonderrolle bis heute festgeschrieben.

Die MPG nutzte ihre Autonomie, um auch im Umgang mit dem Ausland eigene Wege zu gehen. Welche Rolle spielte dabei die Sowjetunion?
Noch 1955, also dem Jahr, in dem die Bundesrepublik ihre partielle außenpolitische Selbstständigkeit wiedererlangte, nahmen MPG-Wissenschaftler Kontakte zu sowjetischen Kollegen auf – und umgekehrt. Das geht auf wissenschaftliche Kontakte bis ins Zarenreich hinein zurück. Tatsächlich finden 1955 die ersten Reisen in die Sowjetunion statt, zum Teil mit Billigung des Auswärtigen Amtes und unter Obhut der Botschaft in Moskau, zum Teil aber auch an diesen vorbei.

Worum ging es bei dieser Zusammenarbeit?
Anfangs waren es Projekte in der theoretischen Physik, der Eisenforschung und der physikalischen Chemie. Später kamen große Projekte in der Weltraumforschung und Radioastronomie hinzu. Gerade hier wollte man etwas unabhängiger von der Nasa werden.

Dabei kam es aber auch zu Konflikten mit der bundesdeutschen Außenpolitik?
Allerdings. Meistens ging es dabei um die deutsche oder die Berlin-Frage. Nach dem Mauerbau war es ein vordringliches Anliegen aller Bundesregierungen, West-Berlin in wissenschaftliche Austauschprogramme, vor allem in ein erst noch zu schließendes Kulturabkommen mit der UdSSR einzubeziehen. Jahrzehntelang wurde ergebnislos verhandelt. Dabei nutzten alle Bundesregierungen die MPG gern als Joker, weil die Sowjetunion gerade an der Zusammenarbeit mit deren Instituten interessiert war. Also winkte das Auswärtige Amt mit Genehmigungen oder drohte mit Untersagungen von Forschungsvorhaben, um berlinpolitische Zugeständnisse zu erreichen. Die MPG versuchte ihrerseits, ihre Interessen unter dem Radar der bundesrepublikanischen Außenpolitik zu steuern, was ihr manchmal, aber nicht immer gelang.

Kann man sagen, die MPG wirkte in dieser Phase auch friedensstiftend?
Das wäre völlig überzogen, zumal sich die MPG ab den 1970er Jahren politisch noch bedeckter hielt als in der Adenauer-Zeit, in der führende MPG-Wissenschaftler mit der „Göttinger Erklärung“ der neuen Aufrüstungspolitik entgegentraten oder im „Tübinger Memorandum“ für eine realistische Ostpolitik plädierten. Solche quasi-offiziellen Interventionen kamen seit den 1970ern nicht mehr vor, auch wenn sich einzelne Wissenschaftler wie Carl Friedrich von Weizsäcker oder Hans-Peter Dürr weiterhin für Atomwaffenkontrolle und Abrüstung starkmachten. Horst Afheldt und Albrecht von Müller etwa entwickelten im Rahmen der Pugwash-Konferenzen defensive Verteidigungs- und stabilitätsorientierte Sicherheitskonzepte. Sie spielten in den internationalen Abrüstungsverhandlungen zwar eine Rolle, aber in der MPG hatten solche Wissenschaftler, mit Ausnahme von Weizsäcker, überhaupt kein Standing. Im Gegenteil. Sie wurden von der MPG-Leitung gemaßregelt. So wurden „politische“ Institute wie das Starnberger Institut, das die Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt erforschte, und das Berliner MPI für Bildungsforschung geschlossen beziehungsweise umstrukturiert.

Wenn man im Hinblick auf die Sowjetunion eher von „Science against Diplomacy“ sprechen müsste, dann in Bezug auf China von „Science for Diplomacy“?
Ja. In den 1970er Jahren sollte die MPG dabei helfen, neben wissenschaftlichen auch wirtschaftliche Beziehungen zu China zu etablieren. Das wäre eigentlich die Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewesen, doch weil diese schon vertragliche Beziehungen nach Taiwan unterhielt, war sie für die Volksrepublik verbrannt. Da die MPG möglichst nur projektbezogene Vereinbarungen traf und mit Taiwan keine Verträge hatte, wurde sie akzeptiert. 1974 wurde eine MPG-Delegation als erste bundesdeutsche Wissenschaftsorganisation nach Peking eingeladen, um auf informeller Ebene Beziehungen aufzunehmen.

Diese Beziehungen werden aus sicherheitspolitischen Interessen nun in Frage gestellt. Bahnt sich da eine Gängelung der Wissenschaft an?
Es könnte zu ähnlichen Konflikten kommen wie im Fall mit der Sowjetunion im Kalten Krieg. Die Wissenschaft wird damit rechnen müssen, dass ihre Kooperationsprojekte auf außenpolitische Hindernisse stoßen und sogar blockiert werden. Dieser Gefahr ist sich die MPG durchaus bewusst. Der neue Präsident, Patrick Cramer, sagte in einem Interview, dass die MPG an entsprechenden Handlungsempfehlungen arbeite.

Vielleicht kommen auf kritische Wissenschaftler hier neue Aufgaben zu?
Wir brauchen nicht zurück in die Konzepte und Streitigkeiten der 1970er und 1980er Jahre. Gefordert ist, gerade auch von Seiten der MPG als Forschungsorganisation, eine realistische Sicht auf die Rolle von Wissenschaft, nicht nur im Hinblick auf die Lösung planetarer Probleme, sondern auch auf die Tatsache, dass man in einem zunehmend verminten Feld internationaler Politik agiert. Es muss eine Balance hergestellt werden zwischen dem, was man idealerweise will, und den Bedingungen, unter denen man dies tut. Diese Diskussion steht noch ganz am Anfang.

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