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Hilflos.  Claudia Voss (Anna Schudt) realisiert, dass sie nichts gegen die rechte Demonstration in ihrer Stadt ausrichten kann. 

© Foto: Martin Rottenkolber/ZDF

ZDF-Film „Die Bürgermeisterin“: Sie schafft das nicht

Das Trauerspiel zeigt, wie rechtsradikale Dumpfheit das Zusammenleben zerstört.

Von Nikolaus von Festenberg

Ganz am Anfang ein kurzer Schrecken. Es lodert Benzin auf einem Fliesenboden. Alles rennet, rettet, flüchtet. Der Zuschauer hört schon Schillers TV-Glocke: Thrilleralarm. Wie üblich, wie öde.

Dabei handelt es sich beim vorzeitigen Spannungserguss nur um eine Erzählmasche, um Zuschauer anzulocken, weil die ohne Feuerzauber zu RTL weiterwandern könnten.

Die Größe des Films ist sein Stille

Für einen großartig-realistischen Film wie „Die Bürgermeisterin“ ist solcher Dramaturgenkniff besonders irreführend. Seine Größe ist seine Stille. Die Hauptdarstellerin Anna Schudt sagt, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatte und die Rolle der Bürgermeisterin Claudia Voss annahm: „Die Unaufgeregtheit, die in dem Drehbuch herrschte, war ungewöhnlich. Es passiert eigentlich nichts und fast unmerklich greift ein Grauen um sich. Da bin ich eingestiegen.“

Schudt kennt sich mit Rollen aus, in denen eine starke Frau mit Resignation leben muss. Im Dortmunder „Tatort“ als Kommissarin Martina Böhnisch an der Seite des Kollegenwüterichs Peter Faber (Jörg Hartmann) ging sie einen mühsamen Weg. Sie begegnete dem kriminellen Wahnsinn der modernen Welt und sich selbst. Mit kulleräugiger Offenheit bewahrte sie Zurückhaltung und beherrschte Gefühle. Für Faber entflammte sie erst sehr spät, bevor eine Mörderkugel die Verliebte niederstreckte.

Als Bürgermeisterin einer fiktiven Kleinstadt namens Linden erkennt sie die Niedertracht der rechten Gegner erst, als es schon zu spät ist. Ungerecht, tragisch: Die von Schudt verkörperten Frauenfiguren werden gerade deshalb zu Opfern beruflicher Gewalt, weil sie an der Vernunft festhalten. Aber der unbedingte Glaube an Anstand und Vernunft macht blind und einsam – Bösewichte wittern das.

Autor Magnus Vattrodt schildert eine Kleinstadt, die den bröckelnden Traum der Mittelschicht zu leben versucht. Die Mehrheit der Bürger will ihre Ruhe, nicht unbedingt die Herrschaft der Moral. Fragen der Kinderbetreuung oder das Fehlen einer weiterführenden Schule am Ort sind vielen schnuppe, solange es am Friedhof noch defekte Mülltonnen gibt.

Dass sich ein Ärzteehepaar in der verwaisten einzigen Ortspraxis niederlässt, wäre schön. Soll sich doch die Bügermeisterin mal richtig darum kümmern, statt ihre Zeit in einem kirchlichen Helferkreis zu vertun, denken nicht wenige.

 „Ich kümmere mich drum“

Claudia Voss

Schnödigkeit hat Vorfahrt vor Bildung. Der Bücherbus für Kinder stört die neuen Pläne für Marktbeschicker. „Ich kümmere mich drum“, sagt dann die blonde Claudia Voss. Und denkt, dass ihr für ihren Knochenjob, Ehrenamt genannt, nur Sitzungsgelder zustehen.

Dann schlägt der Blitz ein, und man muss sich sofort für die Methapher entschuldigen. Der Blitz sind 40 Geflohene, die Linden in kurzer Zeit übernehmen soll. Die Bürgermeisterin erfährt es über den Hockeytrainer ihrer Tochter Leonie (Jule Hermann). Der Ehemann der Bürgermeisterin, Tischlereiunternehmer Peter Voss (Felix Klare), hat es auch schon gehört. Mit der Bürgermeisterin hat man über den Ansiedlungsüberfall nicht gesprochen.

Wer so oft „Ich kümmere mich drum“ wie Claudia sagt, der wird doch – so die Spekulation der Hierarchen – dem Normalbürger die heikle Botschaft beibringen können. Für was hat man ehrenamtliche Bürgermeister, besonders, wenn sie Frauen sind? Die oben tragen schließlich Verantwortung, die da darunter müssen sich kümmern. So will es der Deal.

Der hätte vielleicht geklappt. Aber die Rechte hat aus der Erzeugung von Bürgerwut eine Profession gemacht. Ausländerfeindlichkeit ist Kerngeschäft. Die Dumme ist die, die sich der Verantwortung stellt. Claudia rennt nicht weg, sie wird zur Urheberin der Asylpläne zurechtgelogen. Das Problem ist personalisiert.

Angst wird Wutenergie

An solchem Trugbild lassen sich die Ängste vor dem Fremden in Wutenergie umwandeln. Das Gemeine: Kümmerin Claudia will gar keine Pro-Asyl-Heldin sein, über die Ansiedlung ist sie wenig begeistert. Aber Pflicht ist Pflicht.

Wo ist das Wir hingeraten, das den Satz „Wir schaffen das“ anführte? Andere sind am Drücker. Solche wie der Unternehmer Veith Landauer (Alexander Beyer), der Anführer des rechten Lagers im erfundenen Linden.

Der Schauspieler erfüllt seine Rolle erschreckend realistisch. Ewig gestrig ist der Anführer der Schläger, Beschimpfer und Beschmierer nur in seinem bewusst unsichtbar gehaltenen braunen Selbst. Er tarnt sich als beleidigte Leberwurst, als Opfer linker Attacken vor allem ausländischer Helfer, die die verlogene Heimeligkeit des Kaffs stören.

Da spuken sie wieder, die rechten Phantasmen der von ausländischen Vergewaltigern bedrohten Landeiertöchter, den Schreckensbildern, wie deutsche Mütter die knappen Kitaplätze der Fremdenbrut überlassen müssen. Der vornehme Herr Veith, den seine verdiente Schicksalsresistenz weitab vom geplanten Standort des Heims in einer Villa leben lässt, ist ja so was vonverschnupft.

Da darf man doch wohl mal den Teufel herausholen und die niederen Internet-Artilleristen der rechten Bewegung Mail-Fassbomben voller Beleidigung mit „durchficken“ und „Fotze“ abwerfen lassen. Oder die beweglichen Einheiten zum Wohnhaus der Bürgermeisterin als Wegelagerer schicken, oder ein Couvert voller Scheiße durch den Briefschlitz werfen.

Glaube niemand, solcher Terror sei leicht mit polizeilichen Gegenmaßnahmen zu verhindern. Vattrodt beschreibt die Abwehrarbeit der staatlichen Schutzorganisationen als Vernichtung der Reste von Privatsphäre. Morgens heißt es Reifen checken, wichtige Dokumente im Keller sichern, Feuerlöscher in jedes Zimmer bringen, Post von Beamten öffnen lassen, verreisen, wenn Demos drohen, öffentliche Auftriffe so gut wie möglich vermeiden, nicht im größeren Kreis feiern...

Freundschaften und Familien zerbrechen

Der Gewalt folgt das Zerbrechen von Freundschaften und Familie. Die öffentlichen Kundgebungen für courgierte Bürger weichen aus dem Straßenbild. Einen Ersatz für die nach einem Brand dringend benötigten Wohnquartiere aus privater Hand werden zunehmend auch von anständigen Mitkämpferinnen Claudias aus Angst verweigert.

Die Bürgermeisterin, die zu Anfang noch jede Netzschmähung persönlich beantworten wollte, lebt nun in einer Parallelwelt und weiß nicht mehr, ob die Vergangenheit oder die Gegenwart die wirkliche ist. Ihr Mann setzt sich aus der Beziehung ab, die Tochter flieht nach dem Abi gleich ins Studium. Claudia gibt wohl ihre politische Karriere auf.

Da, old Hölderlin, erscheint das Rettende auch. In besseren Zeiten hatten sich die Bürgermeisterin und ihr Tischlermann um den straffälligen Jugendlichen Hannes Bachmann (Carl Phillip Benzschawel) gekümmert. Mann Peter nahm den Vorbestraften als Azubi in seiner Firma auf. Der labile Hannes aber, um seinem Bruder zu imponieren, betätigte sich als Helfer der Rechten, legte Brände.

Im letzten Bild läuft der Gestrauchelte, im Gesicht verletzt und als möglicher Brandstifter verfolgt, auf Claudia zu. Umarmt die Vereinsamte.

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