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Mediziner haben erkranktes Gewebe markiert (links). Die Software bekommt diese Gewebeproben "gefüttert".

© Frederick Klauschen

Künstliche Intelligenz: Der virtuelle Assistent

Wie lässt sich Künstliche Intelligenz zum Wohle von Patienten und Patientinnen einsetzen? Mit der Frage befasst sich an diesem Samstag der digitale Kongress "Future Medicine".

Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ oder seine knackige Abkürzung KI beziehungsweise auf Englisch AI ist in aller Munde. Doch was bedeutet er eigentlich genau? „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen darunter etwas anderes als der Großteil der Bevölkerung“, erklärt Petra Ritter, Professorin für Gehirnsimulation am Berlin Institute of Health (BIH). „Wir assoziieren mit KI keine Roboter oder Androide, die wie Menschen denken und handeln. Davon sind wir meilenweit entfernt.“ Spricht die Wissenschaft von KI, meint sie Verfahren, Algorithmen, Softwareprogramme, die selbstständig lernen und ausgewählte Prozesse deutlich schneller ausführen können als das Gehirn des Menschen. „Unser Denken trachtet immer danach, zu klassifizieren, Regeln zu erkennen“, sagt Ritter. Genau das würde KI auch tun, allerdings seien die Regeln teilweise mit unseren menschlichen Gehirnen nicht mehr nachvollziehbar.

Ein Modell des Gehirns

KI-basierte Verfahren lassen sich in vielen Bereichen anwenden, natürlich auch in der Medizin – und deshalb stehen sie im Mittelpunkt des diesjährigen Future Medicine Science Match, ein digitaler Kongress, den BIH und  Tagesspiegel diesen Samstag veranstalten. Ritter hat ihn mitorganisiert, sie hält selbst einen Vortrag zum Thema „Das virtuelle Gehirn“ (11 Uhr). Der Titel umreißt genau ihr Fachgebiet: Ihr Team baut das menschliche Gehirn als „Virtual Brain“ quasi nach, in Form neuronaler (also Nerven-)Netzwerke, die wiederum von der Biologie, also unserem realen Gehirn inspiriert sind. „Auf solche Computermodelle wenden wir KI-Prozesse an, um die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen“, erklärt Ritter. Die dazu nötige Open Source Software kommt weltweit zum Einsatz (www.virtualbrain.org).

Petra Ritter
Petra Ritter

© Charité

Ein konkretes medizinisches Anwendungsbeispiel: Für die Therapie der Epilepsie ist sehr wichtig zu wissen, in welcher Region des Gehirns ein Anfall seinen Anfang nimmt. Neurologen können dazu Messelektroden einführen oder nichtinvasive Aufnahmen der Hirnaktivität mit Scannern machen – und auf diese Weise „Schnappschüsse“ des Gehirns erstellen. Dabei erfassen sie aber immer nur Ausschnitte, nie das komplette Bild. Werden diese Schnappschüsse und das Computermodell des Gehirns aber zusammengeführt, erhält man wesentlich genauere Daten und kann den Ausgangspunkt eines epileptischen Anfalls eindeutiger bestimmen. Klinische Studien zu dieser Technik laufen zu Zeit an mehreren Kliniken in Frankreich.

Wie entsteht Demenz?

Ein anderes Beispiel: Alzheimer beziehungsweise generell Demenzerkrankungen. Die Gründe, die kausalem Mechanismen, die zu Demenz führen, liegen immer noch weitgehend im Dunkeln. Sie sind auch bei jedem Individuum verschieden, eine Rolle spielen Umwelteinflüsse, Lebensstil, Ernährung, Bildung, der Grad sportlicher Betätigung oder sozialer Interaktion. Petra Ritter leitet neben ihrer Tätigkeit als BIH-Professorin auch das Projekt „Virtual Brain Cloud“, das, wie der Name schon sagt, cloudbasiert Daten sammelt, die die Therapie von Demenzerkrankungen erleichtern sollen. Diese werden mit KI-Prozessen ausgewertet und mit Partnern in Europa und Nordamerika geteilt. Ein eigenes Team aus Juristen ist nur dafür zuständig, die Einhaltung geltende Datenschutzbestimmungen zu überwachen. Schließlich lassen sich das „Virtual Brain“-Modell und KI auch – drittes Beispiel – bei der Therapie von Hirntumoren einsetzen, indem etwa genauer bestimmt werden kann, wo Tumor- und wo gesundes Gewebe ist.

[Kongress an diesem Samstag, 7. November von 11–16.30 Uhr, Registrierung unter dialog.tagesspiegel.de/future-medicine/]

Krebs und seine Diagnose, damit befasst sich auch Frederick Klauschen, stellvertretender Direktor des Instituts für Pathologie der Charité und in den vergangenen Jahren regelmäßig Gastredner beim Future Medicine Science Match. Er und sein Team aus Ärzten, Ärztinnen, Informatikern und Informatikerinnen haben am BIH und an der Charité in Kooperation mit Klaus-Robert Müller von der TU ein Programm entwickelt, das mittels KI unterstützend wirken kann bei der Bestimmung von Tumorgewebe. „Dazu füttern wir das Programm mit tausenden von Gewebeproben, in denen wir vorher von Hand pathologische Veränderungen markiert – wir nennen es annotiert – haben“, erklärt Klauschen. Das xAID (Explainable Artificial Intelligence Diagnostics) genannte System wird auf diese Weise trainiert, gesundes von krankem Gewebe mikroskopisch zu unterscheiden – oder, mit anderen Worten, ein elementares Verhaltensmuster zu lernen, das Menschen immer dann anwenden, wenn etwas anders ist als gewohnt: stutzig zu werden. Die Gefahr, dass das Programm ein gefährliches Tumorgewebe nicht als solches erkennt und übersieht, bestünde dabei nicht, so Klauschen – denn Ärzte und Ärztinnen schauen trotzdem immer nochmal auf die Proben. Die KI sortiert sie quasi vor, darin besteht die Arbeitserleichterung. Inzwischen konnte auf Basis dieser Technik mit „Aignostics“ ein Start-up aus dem BIH und der Charité ausgegründet werden.

Klar, auch die Covid-Pandemie und die Frage, was KI zur Bewältigung beitragen kann (etwa bei Erfassung und Auswertung riesiger Datenmengen) wird auf dem Kongress angesprochen – und überhaupt die Frage, wie Erhebung von Daten und Datenschutz Hand in Hand gehen können. Alle Vorträge werden in „Pitches“ genannten Videos online vorgestellt, sie können noch bis Samstag, 12 Uhr, bewertet werden. Der beste Pitch bekommt einen Publikumspreis.

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