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Elf Millionen Schülerinnen und Schüler kommen in diesen Wochen zurück aus den Ferien. Hunderttausende von ihnen sind weitgehend chancenlos.

© IMAGO/Michael Gstettenbauer

Aus den Ferien zurück in den Notfallmodus: Ändert für die ärmsten Schulen die Verfassung!

Die Probleme sind die alten: Lehrermangel, schwindende Lernerfolge, die ungleiche Chancenverteilung. Geld für Bildung gehört nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Deutschland packt die Schultaschen. Die ersten Bundesländer sind bereits aus den großen Ferien zurück, Berlin und Brandenburg folgen an diesem Montag, bald auch der Süden. Ein Schulbeginn wie immer? Im Kleinen vielleicht, im Großen ganz gewiss nicht.

Denn wo im Kleinen, in der Familie oder in einer guten Schule, zum Schulanfang doch immer auch Aufbruchstimmung herrscht, regiert im Großen, in der Politik, gerade das Gegenteil davon. Die Sommerferien waren nicht lang genug, um den überregional exorbitanten Lehrkräftemangel und die deprimierenden Leistungsvergleiche vergessen zu machen.

In den deutschen Grundschulen scheitert jeder fünfte Schüler an den Mindestanforderungen. Dieses Fünftel hat nur geringe Chancen auf eine erfolgreiche Schullaufbahn, weil im Deutschen und in der Mathematik die Basis dafür fehlt. In Berlin, so kam jetzt hinzu, ist sogar jeder zweite bis dritte abgehängt.

Die massiven Probleme im deutschen Bildungssystem verletzten die Rechte jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen auf bestmögliche Bildung und haben Folgeschäden für die gesamte Gesellschaft. 

Die Bildungsstiftungen in ihrem Brandbrief

Die großen deutschen Bildungsstiftungen mahnen, dass die massiven Probleme im deutschen Bildungssystem „die Rechte jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen auf bestmögliche Bildung verletzten und Folgeschäden für die gesamte Gesellschaft haben.“

Und damit springen wir ins Heute: Statt diesen Brief als Initialzündung und Aufruf zur Einigkeit zu nutzen, liefern sich die Bildungsminister auf Länder- und Bundesebene seit Monaten eine ergebnislose Diskussion über das so genannte Startchancenprogramm. Dahinter verbirgt sich die Verteilung von Milliardensummen an soziale Brennpunkte.

In Berlin gelten 40 Prozent der Schulen als arm, in Bremen 50 – und in Bayern 0,4

Hier zeigt sich das Dilemma der deutschen Bildungspolitik überdeutlich: Obwohl das Programm speziell für die Ärmsten erdacht wurde, will die Kultusministerkonferenz die Milliarden nicht an die insgesamt ärmsten Schulen der Bundesrepublik geben, sondern das Geld zu 95 Prozent nach dem Gießkannenprinzip über ihre Länder verteilen.

Wie falsch das ist, hat das Wissenschaftszentrum Berlin ermittelt, als es die Armutsquoten der Grundschulen in den Ländern verglich. Dabei kam heraus, dass ein Land wie Bayern nur 0,4 Prozent arme Schulen hat, Berlin und Bremen aber 40 und 50 Prozent. Dennoch konnte sich der Bund bisher nicht mit seiner Forderung durchsetzen, dem bei der Verteilung der Gelder zu entsprechen.

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Vier Worte reichen für eine Verbesserung

Selten machte ein Beschluss der Kultusminister so deutlich wie dieser, dass in der Konstruktion der deutschen Bildungsfinanzierung etwas nicht stimmt. Das Grundgesetz müsste so reformiert werden, dass im Fall einer gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung ein gemeinsames Gremium entscheidet, in dem Bund und Länder gleichberechtigt sind und der Bund nicht nur am Katzentisch sitzt. In der Verfassung müssten dazu nur vier Worte geändert werden, um es ähnlich pragmatisch zu handhaben wie bei der Hochschulfinanzierung.

Der Hinweis, dass es keinen Reformbedarf gebe, weil es schließlich in den vergangenen 75 Jahre auch ohne ging, verfängt nicht mehr. Einfach deshalb, weil die Lage schwieriger ist denn je – und auch schwieriger als beim großen Lehrermangel vor 50 Jahren.

Denn der nun abermals grassierende Pädagogenmangel trifft – anders als damals – nicht mehr auf Schüler, die fast durchgängig zu Hause Deutsch sprechen. Vielmehr liegt der Anteil derer, für die das nicht gilt, heute bei fast 40 Prozent. Schwindende Kompetenzen der Schüler werden deshalb von der Forschung nur teilweise den Corona-Schulschließungen zugerechnet. Der Rest sei wohl der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft geschuldet.

Das gilt umso mehr, als unter der großen Gruppe der Geflüchteten – etwa aus dem Irak, Afghanistan oder afrikanischen Ländern – überdurchschnittlich viele Analphabeten sind. Und diese landen überproportional häufig eben nicht im gut mit Lehrkräften versorgten und wirtschaftlich starken Bayern, sondern eher im armen Berlin, das zudem - selbst verschuldet - vom Lehrkräftemangel noch viel schwerer betroffen ist.

Das Grundgesetz verlangt die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“. Da sich die große Gruppe der abgehängten Schüler weder aus Neukölln nach Starnberg noch von Bremerhaven nach Heidelberg umverteilen lässt, bleibt nur dies: Starnberg und Heidelberg müssen zahlen. Das Schuljahr 2023/24 könnte in die bundesdeutsche Verfassungsgeschichte eingehen – wenn, ja wenn, die bundesdeutsche Bildungsfinanzierung endlich der Not und nicht mehr dem Gießkannenprinzip folgte.

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