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Der damalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz (links) war der einzige namhafte Politiker beim „Tunix“-Kongress.

© ullstein bild

Berliner Geschichte: 40 Jahre "Tunix"-Kongress - eine Erinnerung

Vor 40 Jahren begann in Berlin der legendäre „Tunix“-Kongress“. Er gab die entscheidenden Impulse zur Gründung der „taz“ und der „Grünen“.

Vor ein paar Tagen starrte ein 78-jähriger Mann mit schlohweißen Haaren, sehr markanten Gesichtszügen und sehr buschigen Augenbrauen auf ein Foto. In diesem Moment war auch sein Blick sehr sentimental. Auf dem Bild sah er einen 38-Jährigen neben zwei anderen Männern auf einem Podium im Audimax der Technischen Universität Berlin.

Nicht im Bild waren die vielen jungen, langhaarigen Männer und Frauen, die ihnen zuhörten. Als er das Foto betrachtete, da dachte Hans-Christian Ströbele: „Mein Gott, wie jung wir waren.“ Der 38-Jährige, der dort saß, das war er selber.

Es ist nicht bloß ein Foto von drei Männern. Es beleuchtet einen historischen Meilenstein der alternativen Bewegung.

Der „Tunix-Kongress“ in der TU Berlin, bei dem Ströbele, der heutige Grünen-Politiker, auftrat, gab nicht nur den entscheidenden Impuls für die Gründung der „Alternativen Liste“, aus der sich später die „Grünen“ entwickelten. Das Treffen gab auch den Anstoß für die Entstehung der linken Tageszeitung „taz“. Auch der „Christopher Street Day“ wurde hier initiiert.

Abschied von "gescheiterten Träumen"

Heute vor 40 Jahren, am 27. Januar 1978, begann der Kongress, drei Tage lang wurde geredet, gelacht, getrunken, debattiert. Das politische Kabarett „Die 3 Tornados“ trat auf, Gruppen wie das „Mobile Einsatzorchester“ sorgten für Musik, den Theaterpart übernahmen Ensembles wie die „Hobbit-Puppenbühne“.

Mehrere tausend Linke aus Deutschland und dem Ausland hatten sich in der Universität versammelt. Und das alles, weil in einer Szene-Kneipe fünf undogmatische Linke die Idee hatten, eine Abschiedsparty zu feiern. Abschied von „gescheiterten Träumen“ der linken Szene. Denn die versinke in Deutschland gerade in die Bedeutungslosigkeit. Gefeiert wurde in der TU. Offiziell mietete die Evangelische Studenten Gemeinschaft die Räume.

Es waren die Monate nach dem Deutschen Herbst, nach den blutigen Anschlägen der RAF. Die Bevölkerung war entsetzt, die Polizei fahndete repressiv nach Terroristen, die Linke war in zerstrittene Grüppchen zerfallen.

„Was besseres als den Tod finden wir überall.“

Diethard Küster, einer der Organisatoren des Kongresses, sagte „Zitty“: „Die Stimmung war düster. Mit Tunix wollten wir eigentlich nur ein großes Abschiedsfest auf der Titanic feiern.“ Also schrieben sie Ende 1977 einen Aufruf: „Wir hauen alle ab - zum Strand von Tunix.“ Kerngedanke: „Was besseres als den Tod finden wir überall.“

Der Aufruf zum Kongress verbreitete sich über Kneipen, Mundpropaganda und Flyer rasend schnell in Deutschland. Abschied? Bei Ströbele, dem Ex-RAF-Anwalt, erzeugt der Kongress „Aufbruchstimmung“. Er spürte ja „einen eiskalten Herbst“, niemand protestierte gegen harte Polizeiaktionen. „Alle hatten sich in Löcher verkrochen“. Aber jetzt, endlich, redeten Linke wieder offen über alles.

Ströbele redete über das Projekt „taz“. Seit 18 Monaten hatte er es ja schon mit vielen anderen entwickelt. Mit Mitstreitern erklärte er auf dem Podium, dass diese linke Zeitung eine Plattform für alle sein wolle. „Sogar K-Gruppen sollten zu Wort kommen“, sagt er heute, „obwohl wir mit denen nichts am Hut hatten.“

Eine linke Zeitung? Klasse Idee offenbar. Jedenfalls sagt Ströbele: „Es gab begeisterten Beifall. Mir haben viele auf die Schulter geklopft.“ Er traf Leute in den überfüllten Räumen der TU, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.

„Überleben im Stadtteil“

Hatte er eine Einladung für seine „taz-Initiative“? Ging er einfach hin? Das weiß Ströbele nicht mehr, es spielt auch keine Rolle. Man tauchte einfach auf. Die bundesweit Linke fühlte sich auf einmal vereint. Dieses Gemeinschaftsgefühl war letztlich auch die Basis für die Idee der „Alternativen Liste“.

Im Angebot war ja die ganze Palette linker Themen. Auszug aus der Liste der Diskussionsgruppen: „Selbstversorgung und Aufbau einer eigenen Nahrungsmittelkette“ – „Überleben im Stadtteil“ – „Linke Kneipen: Gegenöffentlichkeit oder Abfüllstation?“. Zur fachgerechten Klärung dieser Frage war es natürlich hilfreich, dass im Programmheft 58 Kneipen und Restaurants abgedruckt waren.

Zum Kongress gehörte aber auch eine Demonstration vom Gefängnis Moabit zur TU. Steine flogen, 30 Polizisten wurden verletzt, 15 Fensterscheiben zerbrachen, eine Deutschland-Fahne wurde durch die Straßen geschleift und später verbrannt.

In der TU freilich war die Stimmung entspannt. „Die Leute haben ernsthaft diskutiert, aber es gab keinen Streit“, sagt Ströbele. Bemerkenswert. Immerhin hatten sich K-Gruppen nicht selten untereinander geprügelt

Party-Time, in der jeder mit jedem quatschte

In seiner Dachgeschosswohnung in Tempelhof sitzt der Statiker Wolfgang Klews, 66 Jahre alt, mit grauem Bart und grauen Haaren. Vor 40 Jahren war er als Student beim Kongress. Er verbindet mit „Tunix“, wie Ströbele, „eher Aufbruchstimmung“. Klews bewegte sich, unorganisiert, in der linken Szene, er genoss die „entspannte Stimmung“.

Party-Time, in der jeder mit jedem quatschte. Irgendwann traf Klews einen Assistenten seines Fachbereichs „Statik der Baukonstruktion“. „Der begrüßte mich sehr freundlich, obwohl ich dachte, der kennt mich doch gar nicht.“ Aber so war die Stimmung.

Das Gemeinschaftsgefühl war auch für die Organisatoren bedeutsam. Denn die teilten über ihren Sprecher mit, dass sie auf Solidarität hofften, wenn „jemand für die Aktion mit der bundesdeutschen Fahne juristisch verantwortlich gemacht werden sollte“.

Solidarität, zumindest emotionale, sollte auch bald nötig werden. Ein Amtsgericht verurteilte einen 26-Jährigen wegen Verunglimpfung der Flagge der Bundesrepublik zu vier Monaten Haft ohne Bewährung.

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