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Narkose ist in der Regel gut begründet.

© Bilderberg

Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft: Ärzte sollen Millionenbetrag für falsche OPs abgerechnet haben

In 1000 Fällen sollen zwei Mediziner ihre Patienten betrogen, illegitim betäubt und Behandlungen vorgetäuscht haben. Der Tagesspiegel sprach mit einer Betroffenen.

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat zwei Ärzte wegen tausendfachen Betrugs angeklagt – es dürfte sich um eines der größten Strafverfahren in der Medizinerzunft der Hauptstadt handeln. Der Anklage zufolge hatten betroffene Patienten angenommen, sie seien aufwendig untersucht und mitunter operiert worden, insbesondere an der Speiseröhre.

Und tatsächlich wurden die Patienten unter Vollnarkose gesetzt – allerdings offenbar ohne, dass das medizinisch geboten gewesen sei. Nach jahrelangen Ermittlungen lautet die Anklage: gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in 1052 Fällen sowie banden- und gewerbsmäßiger Betrug in 1764 Fällen.

Hunderte Patienten waren demnach Opfer dieses Vorgehens, oft wurden die Betroffenen für mehrere, angeblich erforderliche Termine in die Schöneberger Praxis bestellt. Die Mediziner, die heute nicht mehr tätig sind, rechneten insgesamt circa 1000 angebliche Eingriffe ab. Viele der Patienten waren privat versichert, Schadenssumme etwa 1,1 Millionen Euro.

Es ging angeblich um Krebs

Die laut Anklage in betrügerischer Absicht erstellte Fehldiagnose lautete meist: Barrett-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine Gewebeveränderung infolge einer chronischen Refluxerkrankung, die als Krebsvorstufe gilt.

Der Tagesspiegel konnte 2017 mit einer Betroffenen sprechen: Eine Reportage darüber führte damals in der Schöneberger Praxis eines nun angeklagten Internisten zu „hektischem Treiben“, wie ein Kenner der Vorgänge später berichtete.

Der Patientin wurde mit Verweis auf den drohenden Tumor eine Laserbehandlung empfohlen. Diese habe man, so sagte ihr der Arzt damals, wiederholen müssen, weil die Krebsgefahr noch nicht gebannt sei. Unter Angst vor einem Tumorleiden stimmte die Frau wiederholt Lasereinsätzen unter Vollnarkose zu – medizinisch gesehen Irrsinn, wie sich später herausstellte.

1,1
Millionen Euro soll die Betrugssumme betragen haben

Angeklagt ist neben dem inzwischen 72-jährigen Internisten, der die Praxis leitete, ein heute 67 Jahre alter Anästhesist sowie eine 55-jährige Arzthelferin, die Lebensgefährtin des Internisten. Die drei sollen zwischen 2013 und 2018 in der Schöneberger Praxis auf die beschriebene Weise betrogen und sich der Körperverletzung schuldig gemacht haben, denn jeder Eingriff, der nicht medizinisch legitimiert ist, wird rechtlich so gewertet.

Der Anästhesist soll ingesamt fast 140.000 Euro für die nicht indizierten Narkosen abgerechnet haben, der Internist mit Hilfe der Arzthelferin für nicht erfolgte Operationen fast 1,1 Millionen Euro.

Betroffene kamen monatelang

Weil der ältere Arzt den Patienten wider besseres Wissen das bedrohliche Barrett-Syndrom diagnostiziert habe, so die Ermittlungen, ließen sich die Betroffenen oft über Monate auf allerlei Behandlungen ein, meist unter Vollnarkose durch den Anästhesisten. Als sie aufwachten, gingen sie laut Staatsanwaltschaft zunächst wie besprochen davon aus, wegen des Tumorverdachts operiert worden zu sein.

Zur Anklage kam es offenbar, weil der Frau, die sich 2017 dem Tagesspiegel anvertraute, Ungereimtheiten aufgefallen waren. Die Patientin wandte sich nach einigen Monaten vorsichtshalber an die Charité. Ein Oberarzt der Universitätsklinik stellte damals fest: Es gab keinen Tumor, auch keine von der Schöneberger Praxis abgerechnete Laserbehandlung, ein Barrett-Syndrom lag jedenfalls nicht vor. Die Betroffene erstritt in einem Zivilverfahren eine Entschädigung. Dem folgte das strafrechtliche Verfahren.

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