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Auf Streife nahe der polnischen Grenze: Der aussichtslose Kampf gegen organisierte Banden

An der brandenburgischen Grenze zu Polen kämpfen Polizisten einen aussichtslosen Kampf: Immer mehr organisierten Banden stehen sie mit immer weniger Beamten gegenüber. Wir gehen auf Streife mit Hauptkommissarin Kerstin Albrecht.

Der weiße Mercedes-Sprinter taucht nur kurz im Augenwinkel auf. In Sekundenschnelle ist der Kleintransporter auf der Gegenfahrbahn des Cottbuser Stadtrings auch schon wieder verschwunden. „Da stimmt was nicht“, sagt die schwarzhaarige Frau am Steuer des Polizeiwagens. „Der ist doch eben hier schon mal herumgekurvt.“ Sie tritt aufs Gas, wendet und beschleunigt. Nichts stört auf der fast menschenleeren Hauptstraße in der Nähe des Energie-Stadions kurz vor Mitternacht die Verfolgung. Nach nicht einmal einer Minute hat sich der Streifenwagen hinter den Transporter mit der großen Aufschrift „Sixt“ gesetzt. Die Hauptkommissarin Kerstin Albrecht drückt die Taste für die Leuchtschrift „Polizei – Stop – Polizei“ auf dem Dach des Passats und bedient zusätzlich die Lichthupe.

Wenige Augenblicke später endet die Tour des Mietwagenfahrers und seiner beiden Begleiter. Der Mann am Steuer verbringt die nächsten Stunden auf dem Polizeirevier. Er suchte zwar scheinbar intensiv nach seiner Fahrerlaubnis, doch eine Nachfrage über Funk fiel eindeutig aus: Gegen den Mann liegt eine Führerscheinsperre vor. Er durfte gar nicht ans Steuer. Zusätzlich vernebeln offenbar Drogen seinen Blick. Die Pupillen bewegen sich jedenfalls im Licht der Taschenlampe eines Polizisten nicht. Später wird ein Arzt zur Blutentnahme zur Polizei gerufen.

Von Cottbus bis zur polnischen Grenze

Von 18 Uhr abends bis sechs Uhr morgens dauert die Schicht von Kerstin Albrecht. Sie wird in dieser Nacht keine Minute zur Ruhe kommen. Die Polizeiarbeit in der Grenzregion zu Polen ist in den vergangenen Jahren immer anstrengender geworden. Und jetzt soll die seit Jahren diskutierte Brandenburger Polizeireform die Arbeit noch anstrengender machen.

Hauptkommissarin Kerstin Albrecht fährt zurück zur Polizeidirektion in der Juri-Gagarin-Straße. Unterwegs verteilt sie noch zwei Zahlscheine über 35 Euro für das Fahren ohne Sicherheitsgurt. Dazwischen brummt und krächzt das Funkgerät. Der Empfang ist teilweise so schlecht, dass Durchsagen aus der Zentrale über laute Musik in einem Mietshaus, über betrunkene Personen auf den Straßen oder einen heftigen Nachbarschaftsstreit zwei- bis viermal wiederholt werden müssen. Zu guter Letzt greifen die 44-jährige Frau mit der Schussweste hinter dem Steuer oder ihr Begleiter auf dem Beifahrersitz zum privaten Handy. Das funktioniert wenigstens.

Als Dienstgruppenleiterin der Polizeiinspektion Cottbus/Spree-Neiße ist sie in dieser Nachtschicht die Chefin von 24 Polizisten. Ihr Revier reicht von Cottbus bis nach Guben, Spremberg und Forst an der polnischen Grenze. Neun Streifenwagen muss sie in dieser Nacht dirigieren oder auf Kontrollfahrten schickten. Kerstin Albrecht kennt die Polizeiarbeit in allen Facetten, von der Kripo bis zur besonderen Aufmerksamkeit für Rockergruppen. Vor 20 Jahren arbeitete sie in Cottbus noch als Kindergärtnerin, bis sie dort wegen zurückgehender Kinderzahl entlassen wurde und sich bei der Polizei bewarb. Sie liebe ihren Beruf, sagt sie – trotz aller Probleme. 8250 Beamte sind zurzeit im Dienst der Polizei, 7800 sollen es im Jahr 2020 noch sein. Dennoch sagt Kerstin Albrecht: „Ich bin froh, dass der ursprünglich geplante Kahlschlag abgeschwächt wurde.“

"Interventionszeiten" der Polizei klar angestiegen

Der Kahlschlag: Das waren die Pläne des früheren Innenministers Rainer Speer. Der wollte die Polizistenzahl gar auf 7000 reduzieren, und von den 50 Polizeiwachen sollten nicht einmal mehr 20 übrig bleiben. Das ist mittlerweile vom Tisch. Nicht zuletzt deshalb, weil Speer die Stimmung im Lande falsch eingeschätzt hatte. Gerade die Mark war schon immer ein Landstrich, in dem die Leute ziemlich konservativ sind und auf Sicherheit großen Wert legen. Manfred Stolpe, der Alt-Ministerpräsident, der hier zwölf Jahre regierte und die hiesige Mentalität immer noch mit am besten kennt, hat das jüngst einmal so formuliert: Die Erwartungen der Menschen seien schlicht, sagte Stolpe, „sie wollen Sicherheit, in der Arbeit, der Wirtschaftskraft, gegen Verbrecher und für die Jugend – so einfach ist das mit der Politik in Brandenburg“.

Das hat auch Dietmar Woidke gespürt, der seit vergangenem Herbst Brandenburg regiert. Noch als Innenminister, als Nachfolger Speers hatte er angefangen, die schlimmsten Auswüchse der Reform zu korrigieren. Er versetzte eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei in die Grenzregionen, weil dort immer mehr Baumaschinen, Traktoren und Autos geklaut wurden und die Diebe damit ruckzuck über die Grenze verschwunden waren. Er entschied, dass die Polizeiwachen im Lande nun doch erhalten bleiben sollen, kleiner, nicht mehr rund um die Uhr besetzt, umbenannt in „Reviere“. Und doch konnte auch Woidke nicht verhindern, dass eintrat, wovor Kritiker immer gewarnt hatten: Dass schlechte Nachrichten in immer kürzeren Abständen folgten. Eine verkündete das Innenministerium, das nun schon wieder einen neuen Chef hat, den dritten seit 2009, jetzt den früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Ralf Holzschuher, kurz nach dem Jahreswechsel. Er gestand öffentlich ein, dass abseits der Großstädte längst viel zu wenige Streifenwagen unterwegs sind, es 2013 im Schnitt weniger als einhundert Fahrzeuge waren statt der nötigen 124. Und er musste offenbaren, dass sich die „Interventionszeiten“, bis die Polizei am Unfall- oder Tatort eintrifft, in Brandenburg seit 2011 von knapp 24 Minuten auf inzwischen 28 Minuten verschlechtert haben. In dringenden Fällen, so relativierte Holzschuher, nämlich bei den „Blaulichtfahrten“, sei die Polizei aber schnell da. „Die Bürger können sich darauf verlassen, dass Hilfe kommt, wenn Hilfe gebraucht wird.“ 18 Minuten 42 braucht die Brandenburger Polizei im Durchschnitt bei dringenden Einsätzen.

Inner Sicherheit gilt als wichtiges Thema

Das alles geschieht ein paar Monate vor der Landtagswahl am 14. September. Längst gilt die Innere Sicherheit, egal auf welcher Seite, als ein wichtiges Thema. So entscheidend, dass Woidke sie zur Chefsache erklärte, egal wie blass sein Innenminister daneben aussieht. Der kündigte an, dass bis Oktober 150 Beamte in den Streifendienst versetzt werden, womit alles wieder besser sein soll. Und doch wird Holzschuher noch im Frühjahr neue Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung präsentieren: Der Statistik nach, so viel ist schon bekannt, blieb 2013 die Gesamtlage zwar stabil, auch die Aufklärungsquote stieg auf 54 Prozent leicht an. Doch vor allem wird aus den neuen Statistiken hervorgehen, dass Wohnungseinbrüche, Auto- und Fahrraddiebstähle schon wieder dramatisch zugenommen haben.

Und der Herausforderer, der CDU-Chef und Spitzenkandidat Michael Schierack, nimmt sich immer häufiger Woidke vor, zuletzt in einer Aktuellen Stunde des Landtages: „Jetzt wird das vierjährige brandenburgische Polizeiexperiment zur Chefsache des Ministerpräsidenten und ich frage mich: Was hat der heutige MP drei Jahre lang als Innenminister gemacht, dass er jetzt eingreifen muss?“

Vor ein paar Tagen zog sich Brandenburgs SPD-Landtagsfraktion zur Klausur ins verschneite Wellnesshotel Alt-Madlitz zurück, in der Nähe von Fürstenwalde. Und die Genossen fassten auf Betreiben Woidkes einstimmig den Beschluss, nach dem es nun im Jahr 2020 lediglich 450 Polizeibeamte weniger als jetzt geben soll. Ein Beschluss, mit dem die SPD beerdigte, was sie dreieinhalb Jahre zuvor selbst beschlossen hatte.

Keine Chance gegen organisierte Banden

Viel Zeit für ein längeres Gespräch über die Brandenburger Polizeireform hat Kerstin Albrecht nicht. Schon gibt sie das Signal zur nächsten Kontrollfahrt durch Cottbus. „Wir gehen mal auf Jagd“, kündigt Kerstin Albrecht an. „Meine speziellen Freunde suchen.“

Schnell wird klar, dass sie damit Auto- und Fahrraddiebe aus Osteuropa meint. In der schmalen Warschauer Straße mitten in einem Wohngebiet mit Plattenbauten muss die Hauptkommissarin in der zweiten Stunde nach Mitternacht nicht lange auf den ersten Verdachtsfall warten. Ein weißer Audi mit polnischen Kennzeichen fällt ihr auf. Der Fahrer scheint etwas zu suchen, hält an, fährt wieder los. „Irgendwo sind bestimmt seine Komplizen. Die suchen nach speziellen Autos, die dann in den nächsten Tagen höchstwahrscheinlich gestohlen werden“, sagt die Polizistin. „Alle Autos werden auf Bestellung geklaut. Sie verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen.“

Der junge Mann am Steuer des Audi gibt sich ahnungslos. Er suche eine Bushaltestelle, an der ein Freund aus Berlin warte und den er nach Polen bringen wolle, sagt er in gebrochenem Deutsch. Weit und breit gibt es hier aber keine Haltestelle, und der letzte Zug aus Berlin ist schon vor Stunden angekommen. Doch der Ausweis des 22-Jährigen ist in Ordnung, auch die Abfrage des Namens in der Zentrale bringt keine verdächtigen Auskünfte. Die in der Rücksitzwand steckenden Werkzeuge allein reichen für weitere Ermittlungen nicht aus. „Vielleicht meinte er es wirklich ehrlich“, sagt Kerstin Albrecht.

Verfolgung endet an der Grenze

Im Polizeicomputer standen allein am vergangenen Sonntag elf Fahrzeuge, die ihre Eigentümer als gestohlen gemeldet hatten. Die meisten Diebstähle werden aber immer montags angezeigt. Dann bemerken Firmeninhaber und Familien oft erst den Verlust ihres Autos, das sie am Freitag zuvor abgestellt hatten. Gestohlen würden inzwischen alle Marken. „Achtung an alle Streifenwagen! In Beeskow ist eben ein Mitsubishi Outlander entwendet worden“, heißt es aus dem Funkgerät. Es folgt das polizeiliche Kennzeichen mit den Anfangsbuchstaben LOS.

Gegen die organisierten Banden habe man kaum eine Chance, weil die polnische Grenze nur 30 Kilometer von Cottbus entfernt liege und sich Städte wie Forst und Guben noch dichter am Nachbarland befänden. Es kommt zwar immer wieder dank der polizeilichen Kontrollfahrten und den Hinweisen aufmerksamer Einwohner zu Verfolgungsfahrten von gestohlenen Wagen. Aber sobald sich die Diebe über die offene Grenze über die Neiße oder die Oder retten, sei der Fall zumindest für die Streifenpolizisten beendet. Sie dürfen nicht ins Nachbarland fahren und erst recht dort niemanden festnehmen.

Jeder Polizist im Grenzgebiet kann deshalb eigene Geschichten zu diesem Thema erzählen. Selbst Nagelbretter, die zum Stoppen von Fahrzeugen quer über die Straße ausgelegt werden, nützen wenig. Die Autodiebe rasen darüber und zur Not auf Felgen über die Grenze oder zumindest irgendwo in den Wald, dort flüchten sie dann weiter zu Fuß. Bandenmitglieder holen sie dann mit geländegängigen Fahrzeugen aus ihren Verstecken und fliehen mit ihnen nach Polen. Da sind selbst Hubschrauber machtlos. Genauso ärgerlich sind die massenhaften Fahrraddiebstähle gerade in der Region rund um Cottbus, Forst und Guben. Manchmal werden ganze Keller von Hochhäusern leer geräumt und die Räder in versteckt geparkten Transporter verladen.

Endlose Formulare müssen ausgefüllt werden

Nach weiteren Kontrollfahrten durch die Stadt, die zur stark bewachten Feier der Rockergruppe „Hells Angels“ führt, kehrt die Hauptkommissarin an ihren Schreibtisch zurück, wo der zweite Teil des Dienstes auf sie wartet. Zwischen 50 und 80 Prozent der gesamten Arbeitszeit geht für Schreibarbeiten drauf. Trotz der vielen Computer müssen endlos erscheinende Formulare über die festgestellten Delikte per Hand ausgefüllt werden. „Das bindet wirklich Ressourcen“, sagt sie.

Kurz nach fünf Uhr morgens treffen die Kollegen der Tagschicht im Polizeigebäude ein. Die Kaffeeautomaten laufen in Dauerschleife. Streifenwagen brechen zu zwei Wildunfällen auf oder suchen einen Randalierer, der in der Nähe des Zentrums Rückspiegel von Autos abtritt. Im Trakt mit den 18 Verwahrzellen steht an diesem Morgen nur ein Paar Schuhe. Den Mann hatte eine Streifenwagenbesatzung bei einer Routinekontrolle gestellt, gegen ihn lag ein Haftbefehl vor. Diesmal funktionierte zum Glück das Funkgerät.

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