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Menschen stehen unweit der Torstraße vor einem Lokal.

© Paul Zinken/dpa

Bei Corona bundesweit im Spitzenfeld: Warum in Berlin-Mitte die Zahl der Infektionen drastisch steigt

In keinem Bezirk steigt die Zahl der Corona-Infizierten so schnell: Berlin-Mitte liegt bundesweit im Spitzenfeld. Woran liegt das – und was wird nun getan?

Die Infektionszahlen in Berlin steigen, insbesondere im Zentrum der Stadt. Im Bezirk Mitte wurden zuletzt derart viele Neuansteckungen mit dem Coronavirus festgestellt, dass er zu den am meisten betroffenen Gebieten in der Bundesrepublik zählt. Das zeigen die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Tagesspiegels.

Die Anzahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen stieg für den Bezirk Berlin-Mitte am Mittwoch auf 28,1 – das sind mehr Fälle als in jedem anderen Bezirk der Hauptstadt. Im Bundesvergleich liegt Berlin-Mitte damit an zweiter Stelle.

Nur im bayerischen Landkreis Dingolfing-Landau sind es mit 93,5 Fällen pro 100.000 Einwohner mehr. Insgesamt gibt es in Berlin-Mitte seit Ende März 1517 bestätigte Sars-Cov-2-Fälle. An den Folgen des durch das Virus ausgelösten Lungenleidens Covid-19 starben 16 Bewohner aus Mitte, wobei Vorerkrankungen eine zentrale Rolle spielen.

Warum gibt es derzeit so viele Neuinfektionen in Berlin-Mitte?
Weder das örtliche Gesundheitsamt noch die Bezirksspitze haben sich dazu offiziell geäußert – ohnehin wären Einschätzungen darüber, weshalb in Mitte so viele Infektionen festgestellt wurden, äußert vage und ohnehin vorläufig. Vermutet wird von Ärzten und im Berliner Krisenstab allgemein, dass vor allem Urlauber infiziert nach Berlin zurückkehrten.

Dabei sollen insbesondere Reisende aus der Türkei und vom Balkan eine Rolle spielen. Zudem konnten sich die Viren – grob vereinfacht formuliert – in gänzlich anderen Milieus zügig verbreiten.

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Wie berichtet wurden nach Besuchen in einer Gaststätte am Alexanderplatz und in einer Bar in der Torstraße zahlreiche Neuansteckungen festgestellt. Die Bevölkerungsdichte in Berlin-Mitte liegt mit 9733 Einwohnern pro Quadratkilometer zwar über dem Berliner Durchschnitt von rund 4000 Einwohnern, aber noch deutlich unter dem Wert des Nachbarbezirks Friedrichshain-Kreuzberg mit 14 373 Menschen pro Quadratkilometer.

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Weitaus höher liegen die Zahlen im Landkreis Dingolfing-Landau in Bayern. Dort sind es, auf die vergangenen Woche gerechnet, 93,5 Fälle pro 100.000 Einwohner.

Sind die Fälle eingrenzbar – und wie groß ist die Gefahr stadtweiter Ausbreitung?
Die Ärzte in den Ämtern sagen bislang: Ja, man habe das Ausbruchsgeschehen in der Stadt weitgehend unter Kontrolle. Allerdings fehlen offizielle Statements aus dem Bezirksamt Mitte und der Senatsverwaltung für Gesundheit. Der örtliche Amtsarzt, Lukas Murajda, sagte dem Tagesspiegel: Bislang schaffe man es, die Betroffenen in Mitte erstens, ausfindig zu machen, und zweitens, auch zu Hause zu isolieren. Sein Bezirk sei kein Risikogebiet.

Patrick Larscheid, Amtsarzt in Reinickendorf, sagte dem Tagesspiegel kürzlich, 40 Prozent der Neuinfizierten seien Rückkehrer aus Risikogebieten, die man identifizieren könne. „Die Zahlen sind höher als in der Vergangenheit, aber die Situation ist aus unserer Sicht im Moment nicht am Kippen.“

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Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, sagte auf Anfrage: Berlin werde kein Risikogebiet, auch wenn urlaubsbedingt die Infektionszahlen gerade stiegen. Es werde mehr getestet, also auch mehr entdeckt. Tatsächlich hatte der Berliner Senat die Charité mit einer Teststrategie beauftragt. Die Ärzte der Universitätsklinik und Mediziner der landeseigenen Vivantes-Häuser testen nun Einreisende an den Flughäfen. Zudem wurden die Tests an Schulen und in Kitas ausgeweitet.

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Wie reagiert der Senat?
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte am Donnerstag, man werde wie angekündigt umfassend reagieren, wenn das Ampelsystem dies für ganz Berlin anzeigt. Dies sei derzeit nicht der Fall, auch wenn ein Bezirk – Mitte – derzeit erhöhte Werte aufweise. „Ich habe mich mit dem Gesundheitsstadtrat und dem Amtsarzt von Mitte ausgetauscht und wir sind uns einig: Die Erhöhung der Infektionen kommt besonders aus dem Rückreiseverkehr und es sind keine lokal starken Ausbrüche sondern eine hohe Zahl an Einzelfällen.“

Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Kalayci hatten im Mai festgelegt, dass Berlin bei Neuinfektionen einen eigenen Weg gehen wird: Bund und Länder hatten sich damals verständigt, dass bei 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb einer Woche die lokalen Infektionsschutzmaßnahmen verschärft werden müssten.

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„Wir würden bei 20 schon die Ampel auf gelb stellen, bei 30 auf rot“, sagte Kalayci nun. Mit Faktor 50 wäre Berlin in den vergangenen Wochen „zu spät dran“ gewesen. In dieser Woche allerdings liegt der Wert in Berlin-Mitte bei mehr als 29 Fällen. Gegenüber dem „Deutschlandfunk“ appellierte die Senatorin an die Verantwortung jedes Einzelnen: „Die Regeln sind inzwischen bekannt, dass Abstandhalten, Maskentragen hier auch erheblich dazu beitragen kann, das Infektionsgeschehen einzudämmen.“

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Mittwochabend galt, dass die Zahl bestätigter Corona-Infektionen in Berlin auf 9975 gestiegen war. Das sind nach den Daten aus Kalaycis Verwaltung 125 mehr als am Tag zuvor. Nach den aktuellen Werten steht die Corona-Ampel bei allen drei Indikatoren allerdings weiter auf Grün.

Intern wird angesichts der Infektionen in Mitte darauf verwiesen, dass in der Stadt auch erheblich mehr getestet würde. Tatsächlich sind die Labore bald voll ausgelastet. Nach Tagesspiegel-Informationen befindet sich die Zahl der wöchentlichen Tests in Berlins Laboren auf einem vorläufigen Rekordhoch: Während in der 27. Kalenderwoche Anfang Juli in Berlin noch 29 955 Menschen auf das Coronavirus getestet wurden, sind es in der vergangenen Woche 46 031 Tests gewesen. Anfang Juli wurden dabei 295 positive Fälle erkannt, also von einer Infektion betroffene Berliner. Vergangene Woche waren es 501 Menschen – in beiden Fällen also circa ein Prozent der Getesteten.

Wie ist die Lage an den Schulen – insbesondere in Berlin-Mitte?
In Berlin hat die erste Schule kurz nach den Sommerferien wegen eines möglichen Corona-Falls zunächst wieder geschlossen. Eine Lehrerin habe angegeben, positiv auf Sars-Cov-2 getestet worden zu sein, teilte das Bezirksamt Treptow-Köpenick mit. Die Bestätigung des Gesundheitsamts stehe noch aus, es handele sich um eine vorsorgliche, wohl eintägige Schließung der Schule.

Wie der RBB unter Berufung auf die Senatsbildungsverwaltung berichtet, sind bereits an Schulen in vier weiteren Bezirken einzelne Corona-Fälle aufgetreten: Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf, Reinickendorf und Pankow. In keinem der Fälle habe es eine Infektion in der Schule gegeben, hieß es bislang, Schüler oder Lehrkräfte hatten sich also außerhalb der Einrichtung infiziert.

Dennoch hat am Donnerstag ein Bündnis aus Eltern, Schülervertretern und der Bildungsgewerkschaft GEW den Senat aufgerufen, die Schulen in der Corona-Krise besser zu unterstützen: Es gehe dabei vor allem um eine angemessene Ausstattung.

Welche Einschränkungen kann das Gesundheitsamt verfügen?
Die gesetzliche Grundlage zur Bekämpfung von Seuchen bildet das Infektionsschutzgesetz – es erlaubt Maßnahmen, die deutlich harscher sind als die bislang angewandten Regeln. Absperren von Wohnhäusern, komplettes Schließen öffentlicher und auch gewerblicher Einrichtungen, im begründeten Fall ebenso obligatorische Tests. In Mitte wurde bezirksintern über das Zwangsschließen von Kneipen diskutiert, im landesweiten Krisenstab ebenfalls.

Angesichts wachsender Infektionszahlen in ganz Deutschland fordert der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach eine Maskenpflicht für öffentliche Plätze, auf denen immer wieder Partys gefeiert werden. „Nur so können wir erreichen, dass diese Partys unterbleiben oder zumindest sicherer werden“, sagte Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Maskenpflicht müsse gelten für Plätze, „wo spontane Partys stattfinden, bei denen ausgelassen mit viel Alkohol gefeiert wird“.

Deutschland stehe am Beginn einer „zweiten Welle“, warnte Lauterbach. „Wir können das jetzt ohne neuen Lockdown in den Griff bekommen, aber wir müssen handeln.“ Die Bemühungen müssten sich auf etwaige „Super-Spreader-Ereignisse“ konzentrieren. Dazu zählen Experten vor allem das Feiern in Räumen.

Der Amtsarzt in Berlin-Reinickendorf Larscheid sagte kürzlich aber auch: „Insgesamt herrscht in der Medizin eine viel höhere Sensibilität als zum Anfang der Pandemie – auch bei den diagnostischen Maßnahmen. Bei den Gesundheitsämtern herrscht außerdem eine größere Routine.

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