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Mahnwache für eine Fußgängerin, die Ende Juli in Schöneberg von einem abbiegenden Lkw überrollt und getötet worden ist.

© imago/Christian Mang

Verkehrsstudie kommt zu dramatischen Ergebnissen: Bei Lkw-Unfällen sterben so viele Fußgänger wie Radfahrer

Die gefährdetste Gruppe sind Frauen über 65. Fahrzeuge mit moderner Technik könnten helfen, sind aber die Ausnahme.

Als die 52-Jährige an jenem Junimorgen die Ehrlichstraße in Karlshorst überqueren wollte, war wieder mal Stau. Plötzlich rollte die Kolonne an – und der Lastwagen, vor dessen Front die Frau gerade lief, überrollte sie.

Es war einer der schlimmsten Unfälle in diesem Jahr, aber keineswegs der einzige dieser Art, wie ein Blick in die Polizeistatistik zeigt: Von den 32 Menschen, die bis Ende Oktober im Berliner Straßenverkehr getötet wurden, waren 18 zu Fuß unterwegs.

An 123 von 1661 Unfällen mit Schwerverletzten bis Ende September war ein Lkw beteiligt – und in der Mehrzahl dieser Fälle, nämlich 76 Mal, war dessen Fahrer laut Polizei der Hauptverursacher. Und von den elf Fußgängern, die bis Ende August auf Berlins Straßen tödlich verunglückten, starben sechs bei Unfällen mit schweren Lastwagen.

Während bisher vor allem die Lebensgefahr im Fokus stand, in der geradeaus fahrende Radfahrer neben abbiegenden Lkw geraten, hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) jetzt das Unfallgeschehen zwischen Schwerverkehr und Fußgängern untersucht – mit ähnlich dramatischen Ergebnissen.

Bundesweit sterben laut UDV jährlich etwa 50 bis 60 Fußgänger und ähnlich viele Radfahrer bei Kollisionen mit Lastwagen. Um die größten Gefahren zu identifizieren, haben die Unfallforscher die Lkw-Crashs mit 62 beteiligten Radfahrern und 43 verunglückten Fußgängern genauer betrachtet.

Radfahrer verunglücken bei Abbiegeunfällen, Fußgänger wenn ein Lkw anfährt

Dabei bestätigte sich, dass Radfahrer typischerweise beim Geradeausfahren an Kreuzungen unter die Räder abbiegender Lastwagen geraten. Dagegen verunglücken Fußgänger besonders häufig außerhalb von Kreuzungen, wenn sich ihr Weg mit dem des Lkw kreuzt.

Nach Auskunft von UDV-Leiter Siegfried Brockmann passieren solche Unfälle oft, wenn der Lastwagen aus dem Stand anfährt – also im Stau steht wie in der Ehrlichstraße, von einer Baustelle oder Lieferung startet oder Müll abholt. Besonders häufig verunglücken dabei Frauen über 65 Jahre – also eine Gruppe, die sich erfahrungsgemäß relativ regeltreu verhält, aber nicht unbedingt darauf gefasst ist, jederzeit zur Seite zu springen.

Um die Gefahr zu reduzieren, fordert Brockmann, Fußgänger für das Problem der eingeschränkten Sicht aus dem Lkw zu sensibilisieren und deren Fahrer zu trainieren, damit sie niemals ohne einen Blick in den Frontspiegel (der mittig oder rechts über der Frontscheibe hängt) anfahren.

Lkw brauchen Notbremstechnik

Außerdem müssten die Lkw technisch aufgerüstet werden, indem ein Sensor mit Notbremstechnik eingreift, sobald sich eine Person im kritischen Bereich befindet. „Die Hersteller müssen das jetzt zügig entwickeln“, sagt Brockmann. Der Bund solle sich für eine internationale Verpflichtung einsetzen – und dabei nicht so zögerlich agieren wie bei den Abbiegeassistenten, die auch nach jahrelangen Debatten und Dutzenden Toten noch immer die Ausnahme sind.

Die schlechte Übersicht im Verkehrsgeschehen, die manche Lkw-Fahrer durch Inventar wie Namensschilder und Gardinen noch weiter einschränken, ist vor allem im Stadtverkehr seit langem als ein Hauptproblem erkannt. Auch Abhilfe ist längst vorhanden – in Gestalt der tiefergesetzten und großzügig verglasten Fahrerhäuser, wie sie beispielsweise die Müllwagen der BSR haben. Aber solche Fahrzeuge sind die Ausnahme: Selbst die BSR-Tochter Berlin Recycling fährt wie eh und je mit Lastwagen, in denen der Fahrer hoch über den Köpfen von Fußgängern und Radfahrern thront – schlimmstenfalls zu hoch.

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