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Die Berliner Polizei, hier in der Hasenheide, überprüft überall in der Stadt, ob sich die Menschen an die Corona-Regeln halten.

© Maris Hubschmid

Exklusiv

Berliner Ordnungsämter kommen nicht hinterher: Tausende Corona-Verstöße, aber kaum einer muss Bußgeld zahlen

Nicht einmal jede sechste Ordnungswidrigkeit gegen die Corona-Regeln wird auch verfolgt. Und auch die Promi-Sause im Borchards bleibt straffrei.

Wer in Berlin gegen die Corona- Regeln verstößt, hat bislang kaum Konsequenzen zu fürchten. Maximal jede sechste von der Polizei festgestellte Ordnungswidrigkeit gegen die Eindämmungsverordnung wurde von den dafür zuständigen Ordnungsämtern der Bezirke auch mit einem Bußgeld belegt. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Demnach stellten die zwölf Bezirke seit März 623 Bußgeldbescheide aus – die Polizei hatte seitdem allerdings 3114 Ordnungswidrigkeiten festgestellt. Die Bezirke Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Reinickendorf verhängten in dieser Zeit kein einziges Bußgeld.

Dann folgt Lichtenberg mit 22 Bescheiden, die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf liegen im mittleren zweistelligen Bereich. Die meisten Bußgelder verhängten die links-grün regierten Bezirke Pankow (153) und Friedrichshain-Kreuzberg (248). Steglitz-Zehlendorf, Neukölln und Spandau gaben „leider keine Rückmeldung“, schreibt die Senatsverwaltung für Gesundheit.

Die Bußgelder in Berlin reichen von 25 Euro für die Nichteinhaltung von Mindestabständen bis zu 100 Euro bei der Teilnahme an verbotenen Veranstaltungen oder bis zu 500 Euro bei Verstößen gegen die Anwesenheitsdokumentation, etwa in Restaurants. SPD-Mann Langenbrinck kritisiert, es werde in Berlin generell zu lasch kontrolliert, das sei in der Pandemie besonders gefährlich. „Senat und Bezirke müssen die Corona-Regeln endlich konsequent durchsetzen.“

„Wer auf diese Regeln pfeift“, sagt Langenbrinck, „handelt verantwortungslos und egoistisch.“ Die Regeln seien ja nicht zum Spaß erlassen worden, sondern zum Gesundheitsschutz aller Menschen in Berlin, sagte der Neuköllner Abgeordnete weiter.

Für Aufsehen hatte Mitte Mai ein Polizeieinsatz im Promi-Restaurant Borchards in Mitte gesorgt. Dort waren zahlreiche Verstöße gegen die Covid-19-Verordnung festgestellt worden, die Polizei hatte „ein kräftiges Bußgeld“ angekündigt. FDP-Chef Christian Lindner umarmte an diesem Abend mit herunterhängender Maske Weißrusslands Honorarkonsul.

Auch das Promi-Lokal Borchards bleibt ohne Strafe

Nach Informationen des Tagesspiegel-Newsletters Checkpoint bleiben diese Verstöße aber folgenlos. Wegen der pauschalen Aussage der Beamten ist die Anzeige der Polizei „nicht als beweissicher anzusehen“ und somit „in ihrer Qualität leider unbrauchbar“. Festgestellt wurde wohl, dass rund 300 Personen im Lokal waren, die an teils zusammengestellten Tischen saßen und den Mindestabstand unterschritten.

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Allerdings nahm die Polizei keine Personalien auf, auch auf eine Fotodokumentation wurde verzichtet, eine Gästeliste nicht angefordert. Die Ordnungsämter dürfen laut Gesetz auch selbst Ermittlungen anstellen. Die Polizei verwies darauf, dass die Beweisaufnahme bei einer Ordnungswidrigkeit verhältnismäßig sein müsse.

Polizeigewerkschaft fordert Arbeit „nicht für den Papierkorb“

Die Polizei stellte seit Mitte März 5000 Verstöße gegen die Eindämmungsverordnung fest. Neben den 3114 Ordnungswidrigkeiten wurden 1741 Straftaten aufgenommen, die direkt von der Polizei weiterbearbeitet werden. Bei den Bezirken stapeln sich die unerledigten Bußgeldbescheide, das soll am Personalmangel liegen und an der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit in der Pandemie - aber auch am politischen Unwillen einiger Bezirke.

Ein weiterer Grund für den unterschiedlichen Umgang der Bezirke mit Corona-Bußgeldern ist ein typisches Berliner Phänomen: In jedem Bezirk sehen die Verantwortlichkeiten anders aus. So ist in den einen Bezirken das Gesundheitsamt für die Bußgelder zuständig, während in anderen die Ordnungsämter damit betraut sind.

Das liegt sowohl an der unterschiedlichen Aufgabenteilung in den zwölf Bezirksämtern, als auch an politischen Beschlüssen, die die jeweiligen Stadträte getroffen haben. Ein einheitliches Vorgehen, wie die Corona-Bußgelder erhoben werden sollen, gibt es in Berlin nicht. Vor allem die bezirklichen Gesundheitsämter arbeiten schon durch ihre momentane Kernarbeit, der Bekämpfung der Pandemie, an der Belastungsgrenze.

Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Arbeit unserer Kollegen von der Polizei und der Ordnungsämter nicht in den Papierkorb wandern darf.“ Dafür müssten die Bezirke personell aufrüsten und vom Senat das nötige Budget dafür erhalten.

Ab Samstag wird die Polizei ihre Kontrollen auch auf die Maskenpflicht in U-Bahnen und Bussen ausweiten. Die Beamten stellen aber nur den Verstoß mit Ort, Zeit und Personalien fest – das landet dann wieder auf den Stapeln der bezirklichen Ordnungsämter.

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