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Franziska Giffey (SPD), Berlins Regierende Bürgermeisterin und ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, gratuliert Clemens Mücke bei seinem Abschiedsfest im Heimathafen Neukölln am 18. Oktober 2022.

© Clemens Mücke / Reiner Topel

Imagewandel in Neukölln geschafft : Wirtschaftsförderer Mücke geht in Ruhestand

Clemens Mücke hat sich 25 Jahre um die Neuköllner Betriebe gekümmert und die Entwicklung vom Problembezirk zum angesagten Kiez mitgestaltet.

Wenn Clemens Mücke die Eigenschaften eines guten Wirtschaftsförderers aufzählt, dann gehören Engagement dazu und Empathie, eine gute Kenntnis der Stadt und die Bereitschaft, auch mal länger als bis 17 Uhr zu arbeiten. Was Mücke nicht sagt: Ein guter Verkäufer sollte Menschen mögen und gut quatschen können. Wie Mücke.

Einige sehr wechselhafte Jahrzehnte lang hat sich der Verwaltungsangestellte um die Neuköllner Wirtschaft gekümmert. Von der Einheitseuphorie über den Absturz in die Massenarbeitslosigkeit, als in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die Industrie verschwand, bis zum Trendbezirk. „Vor der Wende ist nicht viel passiert, nach der Wende war alles neu“, blickt Mücke im Gespräch mit dem Tagesspiegel zurück. Am Donnerstag hat der Wirtschaftsförderer seinen ersten Tag im Ruhestand verbracht.

Knapp 10.000 Unternehmen mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer gibt es in Neukölln. Es waren schon einmal mehr. Aber auch weniger. 1996, als die Hilfen des bundesdeutschen Steuerzahlers für die ehemals West-Berliner Unternehmen ausliefen und viele Industriebetriebe sich nicht mehr rechneten, begann Mücke als bezirklicher Betreuer der Betriebe.

10.000
Unternehmen gibt es im Bezirk

Zwei Kabelwerke waren gerade geschlossen worden, auf den Flächen machten sich Baumärkte breit. „Sünden der Politik“, nennt Mücke das im Rückblick. Jeder Fünfte im Bezirk war damals arbeitslos, heute sind es weniger als die Hälfte. Nach der Wende war von Boomtown Berlin die Rede, von der Dienstleistungsmetropole und der Ost-West-Drehscheiben. Typische Berliner Hochstapelei.

Clemens Mücke (rechts) mit dem amtierenden Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD).

© Clemens Mücke / Clemens Mücke

Die Wirtschaftsförderer waren in Singapur und New York auf Akquisitionstour, derweil zu Haus die Betriebe kaputtgingen. Mit Leuten wie Mücke begann die mühselige Arbeit der Bestandssicherung: Sich um die ortsansässigen Firmen kümmern und ihnen bei der Problemlösung helfen. Und ein Netzwerk aufbauen. Mücke initiierte gemeinsam mit der Stadtplanung den „Neukölln Südring“ als Unternehmensverein, den es noch immer gibt. „Die Gründungsberatung kam hinzu, dafür musste ich mich erstmal sachkundig machen“, berichtet Mücke. Und die speziellen Probleme des Einzelhandels.

Der Standort muss moderner werden, energieeffizienter und digitaler

Clemens Mücke, Bezirksamt Neukölln

In den ersten Jahren nach der Wende kamen die Nachbarn aus den östlichen Bezirken in Massen nach Neukölln zum einkaufen. „Dann haben sie ihre eigenen Zentren entdeckt und es gab auch im Osten eine Nahversorgung“, sagt Mücke. In Neukölln fehlte die Kundschaft. In der Handelskrise wurde in der Karl-Marx-Straße das erste City-Management erfunden; es folgten eine Hermannplatz AG und einen Sonnenallee AG. Und Mücke lernte, aus welchen Fördertöpfen er Mittel für Initiativen im abschöpfen konnte.

Als „Der Spiegel“ 1998 auf dem Titel die „Endstation Neukölln“ ausrief und Schießereien den Problembezirk berüchtigt machten, hielt Mücke mit dem Kulturevent „48 Stunden Neukölln“ dagegen. Ein Sommerfestival für den Imagewandel. Es hat funktioniert.

Zwölf Jahre hat Mücke unter dem Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky gearbeitet - und gelitten unter dem Patriarch mit autoritären Zügen. Mit der Nachfolgerin Franziska Giffey (2015 bis 2018) und anschließend Martin Hikel (alle SPD) zog ein Kulturwandel im Bezirksamt ein.

Von 2005 an ging es aufwärts

Der „Ruf des Proletendorfs“ (Mücke) schreckte ab 2005/06 die (jungen) Leute nicht mehr ab. Neukölln war plötzlich hip und löste Kreuzberg ab als Anziehungsort für kreative Menschen aus aller Welt. Die gute Verkehrsanbindung mit S- und Auto-Bahn sowie der Flughafen um die Ecke hat auch nicht geschadet. Heute leidet der Bezirk wie andere auch unter den hohen Miet- und Immobilienpreisen. Vielleicht sogar noch stärker, weil das Preisniveau so niedrig war.

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„Der Standort muss moderner werden, energieeffizienter und digitaler“, beschreibt Mücke wie ein Unternehmensberater die aktuellen Anforderungen. Vier Leute beschäftigen sich inzwischen mit der bezirklichen Wirtschaftsförderung, dazu kommt ein weiterer von Berlin Partner. „Fachkräfte waren schon immer ein Thema“, sagt er über eine der großen Herausforderungen. Die Unternehmen müssten noch präsenter in den Schulen sein und mehr Praktika anbieten. Mit acht Neuköllner Oberschulen gibt es derzeit entsprechende Partnerschaften.

Energiepreise macht Kaffeeröstern zu schaffen

Bedrohlich sind die Energiepreise, unter anderem für die großen Bäckereien und Kaffeeröstereien, die es im Bezirk gibt. „Wie kann das Unternehmen unterstützt werden?“ Diese Frage hinterlässt Mücke seinen Nachfolgern. Gibt es zum Beispiel Fördermittel für Investitionen in Energieeffizienz? In der Zusammenarbeit der Bezirke mit dem Senat und überhaupt der Länder Berlin und Brandenburg sieht er Potenzial. Die landesweiten Tourismusförderer von Visit Berlin könnten sich stärker in den Bezirken engagieren. Und zum Beispiel den Neuköllner Süden mit dem Britzer Garten bewerben. Im Norden ist das nicht nötig. „Die Partygegend ist voll genug“, sagt Mücke.

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