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Beatmungsgerät auf einer Intensivstation.

© Nils Böddingmeier für den Tagesspiegel

Insolvenzexperte über Klinik-Pleiten: „Jedem dritten Krankenhaus drohen Liquiditätsprobleme“

Steigende Kosten setzen auch Berliner Kliniken unter Druck. Ein Fachanwalt warnt: Ändert sich die Krankenhausfinanzierung nicht zügig, droht eine Insolvenzwelle.

Steigende Preise für Energie, Medikamente und Technik – dazu kostspielige Personalnot, denn um erfahrene Ärzte und Pflegekräfte zu gewinnen, zahlen Kliniken zunehmend Kopfprämien. Schon heißt es in diesen Tagen, einige der 1900 deutschen Krankenhäuser überstünden den Winter finanziell nicht. Drohende Insolvenzen verunsichern Patienten, Mitarbeiter und Politik.

„Dieses Jahr haben vier Insolvenzverfahren mit insgesamt fünf Krankenhäusern begonnen“, sagte Rainer Eckert, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. „Das sind bundesweit die ersten Klinik-Insolvenzen nach der Corona-Pandemie.“

Eckert ist Gründer einer gleichnamigen Großkanzlei, die in Berlin und vielen weiteren Städten vertreten ist. Die aktuellen Verfahren seien womöglich Vorboten eines Trends, sagte Eckert, denn ändere sich die Krankenhausfinanzierung nicht zügig, drohe eine Insolvenzwelle in der Kliniklandschaft: „Unseren Schätzungen nach könnte im kommenden Jahr fast jede dritte Klinik in ernste Liquiditätsschwierigkeiten kommen.“

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Vor allem kleine Krankenhäuser, deren mögliche Reserven geringer sind, haben wie berichtet finanzielle Probleme. Eckert spricht aber auch von 3000-Betten-Kliniken, denen Insolvenzen drohten: „Die Höhe der Verbindlichkeiten variiert je nach Krankenhaus stark, sie reicht von 20 bis 500 Millionen Euro.“

Kaum Spielraum bei Preisen

Anders als Fabriken und Händler können Kliniken ihre Preise nicht unmittelbar anheben. Personal, Energie und Medikamente werden von den Krankenkassen mit fixen Fallpauschalen bezahlt, deren Höhe im Vorjahr ausgehandelt wurde. Nach Tagesspiegel-Informationen schließen beispielsweise Berlins landeseigene Vivantes-Kliniken dieses Jahr mit einem Minus in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags ab.

Der Ruf nach einem Rettungsschirm der Bundesregierung für die Krankenhäuser war in diesem Herbst bundesweit deutlich. Wie in der Corona-Pandemie sollte der Gesundheitsminister den Häusern mit einem Krisenfonds helfen. Um Kliniken und Pflegeheime vor krisenbedingten Insolvenzen zu schützen, waren zuletzt 6,75 Milliarden Euro im Wirtschaftsstabilisierungsfonds vorgesehen.

Dass insolvente Kliniken ihre Geräte verkaufen müssen, ist selten.

 Insolvenzexperte Eckert

Das reiche, so die Einschätzung in den Bundesländern, nicht. Die Berliner Krankenhausgesellschaft teilte mit, allein für Sachkosten würde in den 70 Plankrankenhäusern der Stadt 2023 insgesamt wohl ein Defizit von 150 Millionen Euro entstehen.

Plankrankenhäuser heißen jene Kliniken, die für die Landesversorgung als notwendig eingestuft werden und Anspruch auf öffentliche Gelder für Bauten und Technik haben. Die Kosten für Personal und Medikamente zahlen die Kassen durch die erwähnten Fallpauschalen.

500
Millionen Euro Schulden haben einige Krankenhäuser

In kleinen Krankenhäusern fragten Beschäftigte in internen Runden schon, ob ihre verschuldete Klinik gezwungen sein wird, hochwertige OP-Geräte und begehrte Arzneimittel zu versteigern, um vor der Schließung noch die Gläubiger zu bezahlen.

Meist sei das nicht nötig, sagt Insolvenzexperte Eckert: „Dass angeschlagene Kliniken ihre Geräte oder anderes Inventar verkaufen müssen, ist selten. Einen solchen Fall hatten wir in den vergangenen Jahren nur einmal und da hatte das entsprechende Haus bereits zwei Insolvenzen hinter sich.“

Um eine Klinik zu retten, sei eine frühe Intervention zentral. „Das Insolvenzrecht bietet viele Möglichkeiten für Unternehmen, sich neu aufzustellen und wirtschaftlich tragfähig zu machen. In der Klinik-Branche wird das sogenannte Schutzschirmverfahren immer beliebter. Dabei restrukturiert sich das Haus unter gerichtlicher Aufsicht selbst.“

Rainer Eckert, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht
Rainer Eckert, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht

© Promo

Um dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen, müssen sich die Unternehmen früh anmelden. Vorgeschrieben ist eine – soweit möglich – plausible Aussicht auf erfolgreiche Sanierung. Die meisten Krankenhäuser könnten, sagt Eckert, ihren Betrieb in der Sanierung aufrechterhalten.

Auch in einem von der Insolvenz bedrohten Spremberger Krankenhaus in Brandenburg arbeitet seit einer Woche ein neuer Geschäftsführer, der die Klinik im Schutzschirmverfahren sanieren soll.

Auf die Patienten wirkt sich die klamme Lage eines Krankenhauses allenfalls mittelbar aus. Auch in Kliniken mit akuten Liquiditätsproblemen arbeiten Ärzte und Pflegekräfte so, wie es die Fachstandards vorschreiben. „In der Sanierung bemüht man sich darum, Patienten zu halten und sogar weitere Patienten zu gewinnen“, sagte Eckert, „denn nur so können Krankenhäuser Einnahmen generieren.“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will am Dienstag die Vorschläge einer Expertenkommission zur Zukunft der deutschen Krankenhäuser vorstellen. Das von Lauterbach selbst 2003 mitentwickelte System der Fallpauschalen soll, so viel ist bekannt, durch einen anderen Modus ersetzt werden.

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