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Artur Albrecht ist am Böhmischen Platz selbst zum Kaspermeister geworden.

© Madlen Haarbach/Tagesspiegel

Der Kasper vom Böhmischen Platz: Wie Artur Albrecht das Puppentheater nach Berlin-Rixdorf brachte

Vor 18 Jahren gründete der Schauspieler mitten in Berlin-Neukölln ein Kaspertheater. Der Stoff gehe ihm mitten im Richardkiez nie aus, sagt er.

Die Geschichte, wie Artur Albrecht zum Kasper vom Böhmischen Platz wurde, klingt wie ein Theaterstück. Oder, wie er selbst sagt: „Ich komme aus einem ziemlich bewegten theatralen Leben.“ Über 20 Jahre hinweg arbeitete er als Darsteller mit Christoph Schlingensief zusammen, dem bekannten Berliner Theater- und Filmregisseur. „Von Kettensägenmassaker bis Bayreuth“, fasst Albrecht diese Zeit zusammen.

Irgendwann, ziemlich genau vor 18 Jahren, beschloss er dann, ein Kaspertheater zu gründen. Zu dem Zeitpunkt machte er schon seit zehn Jahren Knasttheater, also Theater mit inhaftierten Frauen in Lichtenberg, Neukölln und Pankow. Parallel hatte er aber auch schon Kaspertheater gemacht, mit seinem Kaspermeister Dietmar Hubert.

„Da habe ich allerdings eine andere Figur gespielt – denn der Kaspermeister würde nie sagen: Mein lieber Geselle, du bist jetzt so weit, du spielst den Kasper“, erzählt Albrecht. Und ergänzt lachend: „Ich selbst würde das, glaub ich, auch nicht sagen.“

In den Theaterstücken trifft man auf Neuköllner Lokalprominenz

Albrecht machte sich also auf die Suche nach einem Ort, an dem er selbst zum Kasper werden konnte. Und entdeckte, mehr zufällig, seit Jahren leer stehende Geschäftsräume am Böhmischen Platz. Damals hätten alle in den Reuterkiez gewollt, erzählt er. Der Böhmische Platz sei seinerzeit „viel zu weit draußen“ gewesen. „Es gab hier damals nichts, alles stand leer“, beschreibt Albrecht die Situation im Kiez vor 18 Jahren.

Die Räume selbst seien eine Bruchbude gewesen. Und dennoch: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Und innerhalb weniger Monate entstand dann tatsächlich ein Kaspertheater am Böhmischen Platz – zur Verwunderung aller Nachbar:innen. „Man hat hier ein Automatencasino oder sowas erwartet“, sagt Albrecht. „Als man uns fragte, was wir denn hier machen würden und wir sagten: ein Kaspertheater. Da waren die Leute so … ah ja“, sagt Albrecht und deutet ein Augenrollen an.

So richtig glaubte er selbst nicht daran, dass das Puppentheater ein Langzeitprojekt werden würde. Jetzt sitzt er aber 18 Jahre später immer noch am Böhmischen Platz. „Eigentlich wollte ich langsam mal ein bisschen runterfahren“, sagt Albrecht. Er hat mittlerweile selbst das Rentenalter überschritten. „Aber es geht einfach immer weiter“, sagt er und lacht. Die Geschichten schrieben sich am Böhmischen Platz wie von selbst: Statt klassischer Puppentheaterstücke spielt der Kaspar meist Stücke aus dem Rixdorfer Alltag.

Da taucht dann auch Neuköllner Lokalprominenz auf: Etwa „König Buschi“, der natürlich an den früheren Bürgermeister Heinz Buschkowsky angelehnt ist. Im neuen Stück „Entsiegelt euch“, das an diesem Sonntag Premiere feiert, hat unter anderem auch der Leiter des Neuköllner Grünflächenamtes, Wieland Voskamp, einen Auftritt. Aber zu Weihnachten und Ostern gibt es auch klassisches Puppentheater: „Dass die Hexe den Weihnachtsbaum in eine Klobürste verwandelt, das muss einfach sein“, sagt Albrecht.

Das neue Stück „Entsiegelt euch“ beschreibt und kommentiert die Entwicklungen am Böhmischen Platz: Die positiven und negativen Seiten der Gentrifizierung, das „stadtplanerische Desaster“, als das Albrecht den Platz selbst beschreibt – kaum Grün, dafür sehr viel Beton. Der Platz ist für ihn eine Art großes Experiment, dem er ständig zuschauen kann: „Als hier vor einigen Jahren eine Fußgängerzone eingerichtet wurde, konnte ich das erst gar nicht glauben“, sagt er.

Leider sei das Projekt nie so richtig evaluiert worden: „Das könnte eigentlich ein wunderbares Beispiel dafür sein, wie toll das eigentlich ist und wie schnell Menschen sich einen Raum nehmen, der ihnen zur Verfügung gestellt wird. So schnell kann man gar nicht gucken“, sagt er. Schon bald, nachdem die Poller aufgestellt waren, sei auf dem Platz „die Kreidezeit“ ausgebrochen: Plötzlich spielten die Kinder wieder unbekümmert auf der Straße. Doch leider habe man es versäumt, den Platz für Radfahrende zu sperren – was immer wieder zu gefährlichen Situationen führe.

Auch für das Puppentheater war der Platz die Rettung: Jeden Sonntag darf Albrecht mit seinen Mitstreiter:innen den Platz bespielen, was vor allem während der Pandemie die einzige Möglichkeit gewesen sei. „Da hatte man nach eineinhalb Jahren plötzlich Zwei-, Dreijährige, die schon zu kreischen anfingen, wenn man den Arm mit der Puppe anhob“, sagt Albrecht. „Und da wurde dann klar: Die kennen das gar nicht, die haben noch nie live Theater gesehen.“

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