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Saal 501 des Kriminalgerichts Moabit: Bei Strafprozessen sitzen neben Berufsrichtern auch immer Schöffen in Zivil auf der Richterbank.

© dpa / Jörg Carstensen

Ehrenamtliche Richter: 11.000 Schöffen gesucht – aber nicht alle sind willkommen

In Deutschland sollen nicht nur Jurist:innen, sondern auch Bürger:innen Recht sprechen. Doch eine fragwürdige Altersgrenze schließt Interessenten aus.

In Brandenburg und Berlin werden wieder Freiwillige gesucht, die als ehrenamtliche Schöff:innen an Strafprozessen teilnehmen. Für die fünfjährige Wahlperiode von 2024 bis 2028 werden rund 3000 Schöff:innen für Brandenburg und 8000 für Berlin gebraucht. Interessierte können sich ab sofort online hier informieren und bewerben. Die Wahl findet in der zweiten Jahreshälfte 2023 statt.

Doch nicht jede:r, der ein solches Amt übernehmen möchte, ist willkommen. Es gilt vielmehr eine Altersgrenze: Wer den 70. Geburtstag hinter sich hat, darf nicht kandidieren.

„Gern würde ich mich wieder als Schöffe bewerben“, schreibt Ehrensache-Leser Volkmar Gottschalk. Der pensionierte Postbeamte fühlt sich noch fit, doch leider ist er über 70 Jahre alt.

Auch der Ehrensache-Leser Peter Cornelius, der lange als Jugendschöffe tätig war, findet das eine unangemessene Altersdiskriminierung. „Ich halte die derzeitige Altersgrenze von 70 Jahren für nicht angemessen“, so Peter Cornelius, der seinen 70. Geburtstag im Mai 2022 feierte: „Jeder Bürger sollte dies selbst entscheiden können, ob er sich dieser ehrenamtliche Aufgabe, für die er sich natürlich für 5 Jahre verpflichtet, gewachsen fühlt.“

Viele unterschiedliche Altersgrenzen

Tatsächlich fühlen sich heue viele Rentner:innen und Pensionär:innen körperlich und geistig noch fit genug, um auch mit über 70 eine solche ehrenamtliche Tätigkeit verantwortungsvoll auszuüben. Schließlich nimmt auch die Lebenserwartung immer weiter zu und auch die gesundheitliche Fitness.

Ist also eine solche Altersgrenze noch angemessen? Der Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter setzt sich seit Jahren dafür ein, die Regelung zu ändern. Bei jedem Treffen des Bundesvorstands mit den Länder- oder Bundesjustizministern spreche man dieses Thema an, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands, Prof. Norman Ulmann. Bislang ohne Erfolg. Uhlmann verweist dabei auch auf die verwirrenden und unlogischen Regelungen.

Denn nicht überall gilt die Altersgrenze. So gibt es bei den Verwaltungsgerichten für ehrenamtliche Richter keine Altersgrenze und im Bereich der Sozialgerichte, wo die ehrenamtlichen Richter von diversen Statusgruppen nominiert werden, spielt das Alter auch keine Rolle. An Arbeitsgerichten dagegen bleiben Menschen über 65 Jahren komplett außen vor.

Wir brauchen möglichst viele Freiwillige für das ehrenamtliche Richteramt.

Norman Uhlmann, Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter

Demgegenüber steht, dass es bei sämtlichen Gerichten für Anwälte keinerlei Altersbegrenzung gibt. Unverständlich sei auch, so Uhlmann, dass eine fünfjährige Schöffenzeit antreten kann, wer am 2. Januar 2024 siebzig Jahre alt wird, nicht aber die Person, die schon am 31. Dezember diesen Geburtstag feiert.

Außerdem ist auch ohne eine feste Altersgrenze durchaus eine Regelungen möglich, die Tätigkeit der ehrenamtlichen Richter:innen zu beenden, wenn die zur Ausübung seines Amtes erforderlichen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten nicht mehr bestehen.

Bei der Urteilsfindung gleichberechtigt

In Deutschland sollen nicht nur studierte Jurist:innen, sondern auch Bürger:innen auf der Richterbank sitzen. Schöff:innen nehmen deshalb an allen während der Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen des Gerichts teil. Sie haben das gleiche Stimmrecht wie die beteiligten Berufsrichter:innen – egal, ob bei Straftaten von Volljährigen oder bei als Jugendschöff:innen bei Straftagen von Heranwachsenden und Jugendlichen.

An der Urteilsfindung sind die ehrenamtlichen Richter:innen gleichberechtigt mit den Berufsrichtern beteiligt. „Durch sie wird der Grundsatz der Teilhabe des Volkes an der Rechtsprechung verwirklicht. Dabei sollen das Rechtsempfinden der Schöff:innen als nicht speziell juristisch ausgebildete Richter:innen sowie ihre eigene Berufs- und Lebenserfahrung in das Verfahren eingebracht werden“, heißt es aus der Politik: „Gleichzeitig soll erreicht werden, dass die Strafjustiz im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung verwurzelt bleibt.“

Kommt Bewegung in das Thema?

Möglicherweise kommt Bewegung in das Thema. Die Bundestagsfraktion von CDU/CSU hat im Mai 2022 eine Gesetzesinitiative eingebracht. Die wurde zwar von der Ampel-Koalition abgelehnt, zumindest aber an den zuständigen Justiz-Ausschuss verwiesen und wird dort beraten. Als Bundesverband sei man auch mit der Bundesregierung im Gespräch, sagt Prof. Norman Uhlmann.

In Berlin laufe es bis auf die Bezirke Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Köpenick aktuell sehr gut, sagt Uhlmann. „Unsere Veranstaltungen sind alle ausgebucht und überbucht - sodass in den Bezirken, wo Kurse angeboten werden, davon ausgegangen werden kann, dass die Freiwilligenquote sehr hoch ist.“

„Wir brauchen möglichst viele Freiwillige für das ehrenamtliche Richteramt“, betont Norman Uhlmann - denn dann sei die Motivation für dieses anspruchsvolle Amt auch hoch. „Wenn es nicht genügend freiwillige Meldungen gibt, dann werden Bürger aus dem Einwohnermelderegister heraus gegriffen und zwangsverpflichtet und jeder muss dieser Zwangsverpflichtung Folge leisten“, sagt auch Peter Cornelius: „Ob dies die besten Schöffen sind, ist natürlich zu bezweifeln.“

Den Ehrensache-Newsletter, der jeden zweiten Mittwoch erscheint, gibt es hier kostenlosehrensache.tagesspiegel.deThemen unter anderem:

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