zum Hauptinhalt
Lust auf Feten und Fashion. In Berlin tanzt das Carpe-Diem-Gefühl.

© dpa

Das große Carpe Diem vor dem Winter: Der September ist Berlins neuer Partymonat

Mit Aussicht auf den nächsten Corona-Winter muss dieser Tage alles gefeiert werden, was sich anbietet: Oktoberfest, Fashion Week und nachgeholte Feierlichkeiten.

Zum Anstich spielen sie es tatsächlich, mitten in Berlin: Ein Prosit der Gemütlichkeit. Zuvor hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in seiner Landesvertretung in der Behrenstraße bei der Eröffnung des hiesigen Oktoberfestes ein Loblied auf die Lebensfreude gesungen. Oder doch eher gesprochen. Von ernsten Themen und langen Reden will er sich fernhalten, weil in Berlin ja immer alles so kritisch hinterfragt werde.

Dabei funktioniert die Feierlaune auch in dem aus Münchner Perspektive ernsten Berlin ganz gut: Schon zum zweiten Mal hintereinander fegt im September ein wahrer Partyrausch durch die Stadt. Das universelle Prosit auf die Geselligkeit wirbelt vieles zusammen, was sich vor der Pandemie über die Wintermonate verteilt hat.

Wer weiß, wovon man zehren muss

Mit Wucht hat sich eine Carpe-Diem-Mentalität ausgebreitet. Während manche Intendanten noch sorgenvoll auf nicht verkaufte Theater-Plätze blicken mögen, sind die Zusagen zu Events offenbar zahlreich. Denn: Wer weiß schon, ob man nicht tief im Dezember von den Freuden zehren muss, die man diesen September haben kann.

Im vergangenen Jahr passierte nämlich genau das: Da empfing KPM-Chef Jörg Woltmann die Honoratioren der Stadt als Mitgastgeber einer fröhlichen Party im ehemaligen Salon von Udo Walz. Hier hat die Königliche Porzellanmanufaktur eine ihrer Läden eröffnet. Es war einer der letzten unbeschwerten Abende, bevor das Wort Omikron traurige Bekanntheit erlangte. Nicht lange danach hagelte es wieder Absagen, und das Pandemie-Cancelling ging erneut los.

Dieser Tage lobt Söder zwischen Blaskapelle, Lebkuchenherzen und sonstiger bayrischer Folklore am Mittwoch sogar den SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Dieser habe die eigenverantwortliche Lebensfreude möglich gemacht, bei der das Individuum bestimmen darf, welche Risiken es einzugehen bereit ist.

Sommersatt zur Fashion Week

Scheinbar sind die Individuen diesen September risikofreudig: An langen Tafeln, teils zünftig mit Dirndln und Lederhosen bekleidet, sitzen die Gäste eng an eng. Die vereinzelten Maskenträger stechen heraus wie leibhaftige Corona-Mahnmale.

Der September bietet sommersatt noch einmal die Gelegenheit, sich den Mitmenschen in seinen schönsten Kleidern zu präsentieren. Da muss dann auch noch die Fashion Week Platz finden, die sich lange Jahre auf die Monate Januar und Juli verteilt hat.

Jörg Woltmann ist auch dabei, wenn die Gäste des Fashion Council Germany und der Lifestylemarke UGG im Borchardt beim sogenannten Firesidechat feiern. Das klingt gemütlich – Gespräche neben dem Kaminofen. Während der Pandemie war der Anblick eines schönen Feuerchens eher eine virtuelle Angelegenheit, im Borchardt und ganz analog macht das aber natürlich viel mehr Spaß.

Auch hier sind die Vorsichtigen in der Minderheit, die Frau zum Beispiel, die mit Blick auf das dicke Zeltdach über dem Innenhof sagt, dass sie eigentlich auf einen Freiluftraum gehofft habe oder der Schauspieler, der mit Maske kommt.

Das alte Telegraphenamt kommt in Mode

Eine wahre Augenweide bietet zum Beginn der Woche der Platz vor dem alten Telegraphenamt in der Monbijoustraße. Damit wurde eine Kulisse gefunden, die den perfekten Hintergrund gibt für Party-Fotos von der Mercedes-Benz Creators Night. Anwesend war unter anderem Jorge Gonzáles, seines Zeichens Choreograf und Model.

Nach den langen Monaten der Lockdown-Lässigkeit wirken die Besucherinnen und Besucher in ihren so überlegt wie gekonnt gestylten, pastellig schwingenden Outfits wie Botschafter für die Mode. Der Genuss an schöner Kleidung ist durch die Pandemie sichtlich intensiviert worden.

Feiern mit Toni Garrn und Tyra Banks

Etliche Labels verbinden ihre Schauen mit Partys und schmücken sich mit Prominenten. Cybex feiert im Soho Haus eine Rockstar Collection mit Alec Völkel und Toni Garrn. Das süddeutsche Label Marc Cain zelebriert die festliche Septemberstimmung im Café am Neuen See mit dem US-Model Tyra Banks als Überraschungsgast.

 Alec Völkel und Toni Garrn beim Launch der Rockstar Collection featuring Alec Völkel x Cybex auf der Berlin Fashion Week.
Alec Völkel und Toni Garrn beim Launch der Rockstar Collection featuring Alec Völkel x Cybex auf der Berlin Fashion Week.

© IMAGO/Nicole Kubelka

Kräftige Farben unterstreichen das bezeichnende Motto "Feel the Moment". Offiziell sollen die geöffneten Fenster passend zur Kollektion das Gefühl vermitteln, in freier Natur zu sitzen. Für die meisten war die dadurch erzeugte Minimierung des Ansteckungsrisikos ein dankbarer Nebeneffekt, ganz unabhängig von der gezeigten Mode. Die alte Unbeschwertheit, sie ist nun mal dahin.

Tanzen auf dem Vulkan

Gerade weil die Angst davor und vor einem harten Herbst im Hintergrund leise mitschwingt, wirkt manches Fest besonders ausgelassen. Die Assoziation zum Tanz auf dem Vulkan liegt nicht fern.

Darauf spielt mit kaum kaschierter Ironie auch Markus Söder an. Für ihn macht es schon deshalb Sinn, jetzt zu feiern, weil man ja nicht wisse, wie die neue Bundesregierung die Energieprobleme in den Griff bekomme, sagt er, bevor er die bayerische Lebensart preist.

Zeitgleich herrscht dichtes Gedränge bei der Party auf dem Dach des Energieanbieters EnBW am Schiffbauerdamm. Hier wurden sonst immer im Juni Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft geladen, um sich bei der schönen Aussicht auszutauschen. Auch die aktuell eher düsteren Aussichten können die Partylust auf Wein und Würstchen offensichtlich nicht beeinträchtigen. Noch liegt ein in der Abendsonne leuchtendes Berlin den Gästen zu Füßen.

 Je mehr ich jeden Tag im Tanz begegne, desto ruhiger und friedvoller begegnet mir der Tag .

Anja Gockel

"Move On" – einfach weitermachen. Das Motto hat sich Designerin Anja Gockel für ihre Show und Party im Hotel Adlon ausgesucht. Auch das klingt nach Tiefsinn, der, über die Kleider hinausgehend, auch die gegenwärtigen Zeiten meint.

Dazu passt ihr Statement: "Je mehr ich jeden Tag im Tanz begegne, desto ruhiger und friedvoller begegnet mir der Tag und damit das Leben." Eine Farbenwelt, "so leicht wie Wind in der Sonne - wie tropische Früchte hinter weißem Chiffon" symbolisiert da wohl auch eine Sehnsucht nach der verlorenen heilen Welt.

Noch einmal richtig feiern, bevor es Winter wird, und womöglich wieder das Computerbier zum virtuellen Kamingespräch reichen muss, um den Partydurst zu stillen. Einst von zart aufdämmernder Melancholie geprägt, hat sich der September zum prallen Monat der Lebensfreude gewandelt. Und er ist noch lange nicht zu Ende.

8500 Shows mit Doppelgängern

Der Wintergarten feiert sein 30-jährigen Bestehen mit einem großen Fest für geladene Gäste gegen Ende des Monats. Und im Hotel Estrel wird das 25-jährige Jubiläum der ursprünglich nur für vier Monate geplanten Doppelgänger-Show "Stars in Concert" zelebriert. Dort werden am 19. September 200 Gäste erwartet, um 8500 gespielte Shows zu feiern.

Der große Nachholstau wird vor den Herbstferien wohl abgefeiert sein. Das betrifft kleine Events wie den nachgeholten Neujahrsempfang des Bürgervereins Hansaplatz ebenso wie große Ereignisse, zu denen das Sommerfest der Wirtschaft zählt, das bereits Ende August den Appetit auf die Ballsaison angestachelt hat.

Der Jahreskalender, der vor der Pandemie von regelmäßig wiederkehrenden Events geprägt war, ist zwar völlig durcheinandergeraten. Aber in der Hauptstadt ist man da dieser Tage flexibel und feiert die Feste, wie sie fallen. Anders, als man in Bayern zu denken scheint, fühlt sich die Lebensfreude gerade in Berlin zu Hause.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false