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Berlins Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf: Der Aufschwung ist nicht genug

Charlottenburg-Wilmersdorf floriert, dauernd gibt es neue Bauprojekte und Läden. Doch so einfach ist die Lage nicht. Auch hier steigen die Wohnungsmieten, die bereits mit die höchsten in Berlin sind. Und was macht die Politik?

Charlottenburg-Wilmersdorf boomt, zumindest rund um den Kurfürstendamm. Ein Bauprojekt jagt das andere – darunter das zweite Hochhaus „Upper West“ am Breitscheidplatz oder die bald abgeschlossene Neugestaltung des Bikini-Hauses und des Kinos Zoo-Palast. Für Touristen gehören der Ku'damm, die Gedächtniskirche oder das Schloss Charlottenburg zu jeder Stadtrundfahrt. Ku’damm und Tauentzienstraße bilden die größte Einkaufsmeile der Stadt. Immer neue Hotels und Läden kommen hinzu.

Auch als Wohngegend ist die City West gefragt. Aber es entstehen fast nur noch Luxusquartiere wie im Haus Cumberland. Beim derzeit umstrittensten Projekt – der Teilbebauung der Kleingartenkolonie Oeynhausen in Schmargendorf – geht es ebenfalls um Wohnungen für Gutverdiener.

Das Thema Mieten ist besonders wichtig
Schon jetzt sind die Mieten im Durchschnitt die höchsten in Berlin – und darin liegt eines der wichtigsten Themen für die drei aussichtsreichsten Direktkandidaten. „Wir müssen mit mehr Angebot auf die Nachfrage reagieren“, sagt Vize-Bürgermeister Klaus-Dieter Gröhler (CDU). Noch gebe es geeignete Flächen, beispielsweise könnten Flachbauten aus der Nachkriegszeit durch höhere Häuser ersetzt werden. Gröhler setzt auf die Marktwirtschaft: Nicht städtische Wohnungsbaugesellschaften, sondern private Investoren sollten den Bedarf decken. Er lehnt auch Regulierungen ab, die einen bestimmten Anteil von Wohnungen mit niedrigen Mieten vorschreiben.

Für SPD-Kandidatin Ülker Radziwill sind die Mieten „das Thema". Sie gehört seit 2001 dem Abgeordnetenhaus an und ist sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. „85 Prozent der Berliner sind Mieter“, sagt Radziwill, und Charlottenburg-Wilmersdorf sei „schon immer“ eine der beliebtesten Gegenden gewesen. Die Politikerin fordert eine „Kappung bei Mietsteigerungen im Bestand“: Bisher könnten Hauseigentümer, ohne zu modernisieren, die Miete alle drei Jahre um bis zu 20 Prozent erhöhen. Sie will dies auf 15 Prozent in vier Jahren beschränken. Bei Neubauten hingegen seien Regulierungen nur durch Bundesgesetze möglich. „Mit der Landespolitik kommt man an Grenzen“, hat sie auch bei anderen Themen festgestellt und nennt dies als Grund für ihre Kandidatur.

Auch die Grünen-Kandidatin Lisa Paus, die seit 2009 als Finanz- und Steuerexpertin im Bundestag aktiv ist, nennt „bezahlbares Wohnen im Bezirk“ als einen ihrer Schwerpunkte: „Explodierende Wohnkosten gefährden die typische Berliner Mischung." Paus strebt mehr Mieterschutz, „gemeinwohlorientierten Wohnungsbau“ und eine Senkung der Nebenkosten durch öffentlich geförderte energetische Sanierungen an.

Es geht auch um gepflegte Straßen, Parks und Spielplätze
Bei anderen Themen liegen die Kandidaten weiter auseinander. So sagt Gröhler, in seinen Gesprächen mit Bürgern gehöre die mangelnde Sauberkeit der Straßen zu den häufigsten Beschwerden. Radziwill sieht darin kein zentrales Problem: „Ich stehe seit März im Wahlkampf auf der Straße, niemand hat mich auf eine flächendeckende Vermüllung angesprochen.“ Und Paus sorgt sich mehr um den schlechten Zustand der Spielplätze und die mangelnde Grünpflege. Diese Probleme kenne sie als Mutter eines vierjährigen Sohnes, sagt Paus, die nahe dem Prager Platz wohnt: „Es wird auf Verschleiß gefahren.“ Eine Lösung sieht sie in den Plänen der Grünen für eine steuerliche Mehrbelastung wohlhabender Bürger. Dies würde Berlin Mehreinnahmen in Höhe von 700 Millionen Euro bringen.

Paus und Radziwill machen Bundes- und Landespolitik, Gröhler bleibt bodenständig
Die drei Kandidaten gehören derselben Generation an, sie sind 44 bis 47 Jahre alt. Aber ihr Werdegang ist ebenso unterschiedlich wie ihre Ansichten und Ambitionen. Lisa Paus sieht sich als Bundespolitikerin. Sie entstammt einer mittelständischen Industriellenfamilie in Westfalen. Sie sei katholisch aufgewachsen und habe sich schon früh für die „großen Gerechtigkeitsfragen“ interessiert, sagt Paus. Aus der Kirche trat sie aber „wegen der Frauenfrage“ aus.

Ülker Radziwill wurde in der Türkei „in einer sozialdemokratischen Großfamilie“ geboren, als Siebenjährige kam sie mit ihren Eltern nach Charlottenburg. Vater und Mutter, beide Lehrer, gründeten im Kiez am Klausenerplatz den Verein „Türkische Sozialdemokraten in Berlin“. Radziwill fordert eine „kostenlose Bildung von der Kita bis zur Uni“ und setzt sich für Ganztagsschulen ein, aber es geht ihr nicht allein um die Rolle des Staats: „Eltern müssen verstehen, wie wichtig Bildung ist und dass es dabei nicht auf die Ethnie ankommt.“ Radziwill schaffte einst sofort den Sprung ins Abgeordnetenhaus. Dennoch seien ihr bezirkspolitische Themen nicht fremd, sagt sie – sie besuche oft die Sitzungen der SPD-Fraktion in der BVV und gehöre dem Kreisvorstand als Mitglied ohne Stimmrecht an.

Gröhler will der „politische Ansprechpartner für die Bürger meines Wahlkreises“ werden. Außerdem habe er immer wieder festgestellt, wie stark sich Bundespolitik auf die kommunale Ebene auswirken könne, und wolle seine Erfahrung einbringen. Aber: „Ich habe keine weltpolitische Agenda.“ Er stammt aus Wilmersdorf, machte sein Abitur in Charlottenburg, studierte Jura und arbeitete in der Stadtentwicklungsverwaltung. Schon im ehemaligen Einzelbezirk Charlottenburg war Gröhler Bauexperte und Fraktionschef der CDU, seit zwölf Jahren amtiert er als Vize-Bürgermeister und Stadtrat. Er spricht häufiger bezirkspolitische Fragen an als seine Konkurrentinnen. Oft betont er, anders als die rot-grüne Mehrheit im Bezirk wolle er den Autoverkehr nicht eindämmen. So „kämpfe ich intensiv dagegen, dass es auf dem Olivaer Platz keine Stellplätze mehr geben soll“.

Ein klarer Sieger ist nicht absehbar
Das Rennen ums Direktmandat kann spannend werden. Der Wahl-Informationsdienst „election.de“ sieht Radziwill nur leicht vor Gröhler. Zuvor hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel drei Mal gewonnen; diesmal trat die 65-Jährige nicht mehr an.

Aber auch Lisa Paus sieht sich nicht chancenlos – sie argumentiert mit dem Zweitstimmenergebnis von 2009, als die Grünen in der City West 22,1 Prozent holten. Ülker Radziwill glaubt zwar nicht an Paus Sieg – fürchtet aber, dass die Grüne ihr so viele Stimmen wegnehmen könne, dass Gröhler gewinnt.

Die City West setzt sich aus politisch verschiedenen Ortsteilen zusammen: Wilmersdorf wählt traditionell „schwarz“, die CDU erzielt dort stadtweit mit die besten Ergebnisse bei Wahlen. Charlottenburg hingegen war ein alter „roter“ Arbeiterbezirk.

Eine Besonderheit des Wahlkreises liegt darin, dass Charlottenburg-Nord Spandau zugeschlagen wurde. Die Gegend um die Jungfernheide gilt als sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Bewohnern nicht deutscher Herkunft. Dort hätten sich Gröhler, Paus und Radziwill wohl noch ganz andere Beschwerden anhören müssen.

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