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Wegen Inflation und gestiegenen Preisen können sich viele Verbraucher beim Einkauf im Supermarkt oder Discounter nur noch günstige Produkte leisten.

© IMAGO/Martin Wagner

Food-Start-ups auf der Grünen Woche: Ernährungswende für alle statt Feinkost für Reiche

Nachhaltige Lebensmittel sind oft teuer. Die Ernährungswirtschaft muss aber zukunftsfähige Lösungen für alle Schichten der Gesellschaft finden.

Ein Gastbeitrag von Hendrik Haase

Thunfisch, der aus Algen und Ackerbohnen gemacht ist. Oder Eier, die aus Bohnen bestehen, aber wie Hühnereier aussehen und angeblich auch so schmecken. Mit originellen Produkten ringen Food-Startups auf der Internationalen Grünen Woche (IGW) um die Gunst einer Jury. Sie wollen zeigen, wie sie mit ihren Innovationen die Lebensmittelwelt nachhaltig verändern könnten. Aber nicht alle Verbraucher:innen haben etwas davon.

Zum fünften Mal richtet die IGW einen Wettbewerb für Start-ups aus. In diesem Jahr ist er erstmals offen für alle Besucher:innen, nicht mehr versteckt im Fachprogramm der Messe. Das passt, denn inzwischen liegen viele neue Produkte junger Gründer:innen in den Supermarktregalen. Und insbesondere pflanzliche Alternativen zu Fisch, Fleisch und Wurst bekommen große mediale Aufmerksamkeit.

Food-Start-ups lieben Berlin

Berlin gilt deutschlandweit als eine der quirligsten Städte, wenn es um Start-ups im Food-Bereich geht. In den vergangenen Jahren sind hier nicht nur viele junge Unternehmen entstanden, sondern auch immer mehr Orte, an denen Food-Start-ups neue Netzwerke knüpfen und Produkte sowie passende Marketingstrategien entwickeln.

Diese Szene der „New Food Economy“ besteht aus einem bunten Mix von Ernährungsexpert:innen, Gastronom:innen, Technolog:innen und Quereinsteiger:innen. Die meisten verbindet, dass sie ihren Gründer:innengeist mit neuen Technologien, innovativen Produktionsmethoden und einer gehörigen Portion Vision für eine bessere Welt mischen.

Diese Visionen klingen verheißungsvoll und machen Hoffnung, dass sich für den viel gescholtenen Ernährungssektor neue Wege und Lösungen auftun.

Aber Ernüchterung stellt sich ein, wenn man nicht nur auf die schicken Designs der Packungen und die revolutionären Slogans schaut, sondern auch auf das Preisschild. Da kostet zum Beispiel ein Kilogramm „Ackerlachs“ aus Sonnenblumenkernen, Karotten und Algen stolze 70 Euro.

Die entscheidende Frage wird sein, wie Innovationen tatsächlich für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich werden.

Hendrik Haase, Publizist und Unternehmer

Dagegen sind die pflanzenbasierten „Hühnchen-Nuggets“ mit 25 Euro pro Kilogramm fast schon ein Schnäppchen. Deren Hauptzutat ist laut Zutatenliste übrigens Wasser, gefolgt von Sojaprotein (27 Prozent) und künstlichem Aroma. Zum Vergleich: Das Bio-Huhn im Fleischregal ist mit 15,90 Euro pro Kilogramm billiger.

Auf dem Ladentisch des Szenekaffees nebenan gibt es eine regionale Kartoffelsuppe zum Mitnehmen im schicken Einmachglas. Es handelt sich um die neue Produktlinie eines Berliner Spitzenkochs. Zutaten: 53 Prozent Kartoffeln, 35 Prozent Wasser, außerdem Butter, Salz und Rauch. Der Preis: 37 Euro pro Liter.

Eine Ernährungswende für die breite Masse

Die viel gepriesene „Ernährungswende“ wird gerne mit Phrasen wie „Gutes Essen für alle“ beworben. Angesichts der Preise muss dies für viele Menschen inzwischen zynisch klingen. Denn durch Inflation und gestiegene Energiepreise ist die Welt der nachhaltigen, regionalen, tiergesunden und pflanzenbasierten Zukunftsprodukte für sie unerreichbar geworden.

37
Euro kostet ein Liter regionale Kartoffelsuppe vom Spitzenkoch.

Aus diesem Dilemma sollte man aber nicht schließen, hier würden sich einige nur die Taschen vollmachen wollen. Das wäre falsch. Aber Food-Start-ups, innovative Gastronomie und der Handel der Stadt müssen sich selbstkritisch fragen, welche Antworten sie auf die soziale Frage haben.

Wie wird die Ernährungswende anschlussfähig für die breite Masse? Denn beim Motto „klein aber fein“ kann es nicht bleiben, sonst würde man nur Feinkost für eine neue Mittelschicht produzieren, die sich diesen Genuss noch leisten kann.

Die entscheidende Frage wird sein, wie Innovationen tatsächlich für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht werden können. Im Start-up-Jargon spricht man vom Skalieren, wenn es darum geht, kleine Ideen groß zu machen. Zur Umsetzung bräuchte es eine Politik, die faire Rahmenbedingungen schafft, in denen gesundes Wachstum für die neuen Ideen möglich ist.

Daher ist es besonders schmerzhaft, dass sich sowohl Bundespolitiker:innen als auch die Berliner Politik in den letzten Jahren wenig für die „New Food Economy“ interessiert und sie nur halbherzig unterstützt haben. Mehr Engagement wäre dringend geboten, schließlich geht es auch um die Stärkung des Innovationsstandorts Berlin.

Ich bin gespannt, welche Politikerin oder welcher Politiker im Wahlkampf mehr bieten wird als den obligatorischen „Biss in die Currywurst“ fürs Foto. Und wer sich auch über die Grüne Woche hinaus engagieren wird für wirkliche Innovationen - und eine genießbare Zukunft für alle.

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