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22.05.2024, Berlin: Rekruten stehen beim Öffentlichen Gelöbnis des Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung vor dem Abgeordnetenhaus. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Christophe Gateau

Gelöbnis vor dem Parlament: Die Bundeswehr gehört in die Öffentlichkeit – gerade jetzt

Es gibt viel zu kritisieren an der Bundeswehr. Doch sie ist der Gegenentwurf zu Militär von Autokraten. Schließlich wird Freiheit nicht geschenkt, sie muss im Zweifel auch verteidigt werden.

Ein Kommentar von Alexander Fröhlich

Das erste Gelöbnis von Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr vor dem Abgeordnetenhaus – ausgerechnet in Berlin, der Fluchtstadt der Kriegsdienstverweigerer aus der alten Bundesrepublik. Zu Beginn daher ein Transparenzhinweis: Auch der Autor hat den Kriegsdienst an der Waffe verweigert, leistete Zivildienst in einem Krankenhaus, überwiegend im Operationsbereich, später bei einem Umweltverband.

Das war fünf, sechs Jahre nach der Wiedervereinigung – und es konnte keine andere Entscheidung geben: Die Großväter waren im Zweiten Weltkrieg, einer hatte in SS-Uniform geheiratet, der Vater war beim Ministerium für Staatssicherheit, zwei Onkel bei der Nationalen Volksarmee und an der Wende zerbrochen.

Aus dieser Perspektive, mit der Erfahrung der Militarisierung von der Schule an, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, konnte es der Wehrdienst einfach nicht sein. Wenn nun die Linksfraktion am Vorabend des 75. Jahrestages des Grundgesetzes nicht an dem Gelöbnis teilnimmt, eine Remilitarisierung der Gesellschaft und ein Säbelrasseln beklagt, können einem nur die Ohren schlackern. Wäre sich die Linke ihrer eigenen Geschichte, nämlich die der SED, gewahr, wüsste sie, was eine militarisierte Gesellschaft bedeutet. Zumal in einem totalitären Staat.

Es gibt vielerlei zu kritisieren an der Bundeswehr. Ja, es gibt auch rechte Umtriebe dort. Ja, Menschen aus bestimmten politischen Lagern fühlen sich eher angezogen vom Militär. Auch die Bundeswehr ist fehlbar, ohne Frage. Doch nur in der Demokratie ist das Militär in der Lage, seine Fehlbarkeit zu erkennen und Fehler zu korrigieren. Erst kürzlich wurde einem Brandenburger Bundestagsabgeordneten der AfD die Immunität entzogen: Grund ist eine Disziplinarklage gegen den Extremisten wegen rechter Umtriebe in seiner Zeit als Soldat.

Die Bundeswehr ist vielfältiger geworden, immer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte interessieren sich für den Dienst an der Waffe. Auch sexuelle Orientierung, Diversity und Vielfalt sind längst Führungsthemen für die Bundeswehr. Und schließlich sei noch das Konzept der inneren Führung erwähnt, dass die Bundeswehr von anderen Armeen heraushebt.

Es verpflichtet Soldatinnen und Soldaten, selbst zu denken und nicht nur blind zu folgen. Es ist der Gegenentwurf zum unbedingten Gehorsam, die letzte Instanz für ihre Entscheidungen bleibt das am Grundgesetz – Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat – geschulte Gewissen einer jeden Soldatin und eines jeden Soldaten.

Sofern nicht nur die Parlamente, sondern auch wir Bürgerinnen und Bürger die Kontrolle über das auch anfällige System Militär behalten wollen, gehört es gerade in die Öffentlichkeit – als Teil der Res Publica.

Gerade jetzt, da auch die Bundeswehr neu aufgestellt wird angesichts des Invasionskriegs Russlands in der Ukraine, angesichts des seit Jahren laufenden hybriden Kriegs Russlands gegen den Westen und seine Werte, der akuten Drohungen gegen Deutschlands Verbündete. Denn nur das ist der Grund für die angebliche Militarisierung in Deutschland, die keine ist.

Es ist Wladimir Putin, der nicht nur die Säbel rasseln lässt, sondern tausende jungen Männer in Fleischangriffen in den sicheren Tod schickt. Die Bundeswehr ist der Gegenentwurf zu Putins Autokraten-Militär. 

Und schließlich: Die westlichen Alliierten waren Garant für das Überleben West-Berlins, für das Symbol der Stadt der Freiheit.

Krieg ist schrecklich, niemand möchte ihn. Doch Freiheit wird nicht geschenkt, sie muss errungen und im Zweifel auch verteidigt werden. Ja sogar die Freiheit, die Bundeswehr und das Gelöbnis zu kritisieren und dagegen zu demonstrieren. Darauf leisten die Rekrutinnen und Rekruten ihren Eid. Diese Freiheit ist ein Gewinn.

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