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Klimaaktivisten blockierte im April und Mai 241 Mal die Straßen Berlins.

© imago/Seeliger

Gerichtsbeschluss zu Klimablockaden in Berlin: Umsteigen auf Bus und Bahn für Autofahrer „generell möglich“

Die „Letzte Generation“ blockiert massiv Straßen. Doch das muss bei den „üblichen Stauzeiten“ in Berlin nicht immer Nötigung sein. Das entschied jetzt das Landgericht. Derweil sind neue Proteste für Montag angekündigt.

Das Landgericht Berlin hat in einer neuen Entscheidung zu Klimablockaden erstmals den Vorwurf der Nötigung gegen Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ abgelehnt. Stattdessen erklärte es, dass angesichts angekündigter Blockaden Autofahrern „ein Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit (…) generell möglich“ sei.

Zudem sei eine Blockade von etwas mehr als einer halben Stunde „hinsichtlich der üblichen Stauzeiten“ in Berlin „moderat“, heißt es in dem Beschluss vom 31. Mai, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Kürzlich war in Berlin zwischen regierender CDU und oppositionellen Grünen ein Streit darum entbrannt, ob die Klimablockaden generell eine Nötigung seien. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hatte gesagt: „Der überwiegende Teil der Berliner empfindet das so, dass wir es hier mit einer Nötigung zu tun haben, die dem Klimaschutz in keiner Art und Weise hilft.“

Antje Kapek, Verkehrsexpertin der Grüne-Fraktion, war empört. „Politiker, die in den Raum stellen, es würde sich pauschal um Nötigung handeln, sind meines Erachtens Brandzünder“, sagte Kapek. „Es gibt keine pauschale Nötigung, das ist im Einzelfall zu prüfen.“

Nötigung oder nicht – wer hat recht? Es kommt darauf an. Bislang gibt es nur wenige Entscheidungen des Landgerichts und des Kammergerichts zu den Blockaden. Neuere Beschlüsse beider Gerichte zeigen, dass in jedem Fall genau abgewogen und die Folgen der Blockade konkret betrachtet werden müssen.

Bis Anfang Mai gab es 74 Strafurteile am Amtsgericht Tiergarten. Aktivisten wurden wegen Blockaden meist wegen Nötigung verurteilt. Bislang gibt es nur ein Berufungsurteil des Landgerichts. Es bestätigte im Januar eine Entscheidung des Amtsgerichts, das eine Geldstrafe verhängt hat.

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Hier dauerte die Blockade auf der A100-Ausfahrt an der Beusselstraße eineinhalb Stunden. Der Mann habe mit den anderen Aktivisten durch das bewusste Blockieren der kompletten Autobahnabfahrt Gewalt gegenüber den im Stau stehenden Autofahren ausgeübt, entschied das Landgericht. Denn sie hätten weder ausweichen noch die Blockade umfahren können.

Durch den Angeklagten seien andere Personen physisch für eine erhebliche Zeit blockiert worden. Es gebe kein noch so hehres Ziel, das einen gezielten Eingriff in die Rechte anderer rechtfertige.

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Es kommt bei Nötigung auf die konkreten Folgen und das Ausmaß an. In dem neuen Beschluss einer anderen Landgerichtskammer von Ende Mai ging es um eine Blockade am 30. Juni 2022 an der Autobahnausfahrt der A100 am Tempelhofer Damm.

Das Amtsgericht hatte es abgelehnt, den von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl gegen einen Aktivisten wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu erlassen. Der Amtsrichter meinte, die Versammlungsfreiheit wiege höher als der Vorwurf der Nötigung, die Widerstandstat gebe es nicht, das Festkleben der Hand auf der Fahrbahn sei keine Gewalt.

Versammlungsfreiheit vs. Fortbewegungsfreiheit

Das Landgericht gab der Staatsanwaltschaft teilweise recht. Das Amtsgericht habe den Strafbefehl zu Unrecht abgelehnt, es müsse nun gegen den Klimaaktivisten einen Prozess führen. Allerdings nur wegen des Vorwurfs des Widerstands gegen Vollzugsbeamte, nicht wegen Nötigung.

Dafür bestehe kein hinreichender Tatverdacht. In dem Einzelfall wiege das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schwerer als das Grundrecht auf Fortbewegungsfreiheit der blockierten Autos, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.

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Das hat auch mit dem Ablauf der Blockade zu tun. Sie dauerte etwa 35 Minuten. Sechs Aktivisten stürmten um 8.25 Uhr auf die Fahrbahn. Polizeibeamte hinderten zwei von ihnen daran, sich auf die Fahrbahn zu setzen.

Der Verkehr kam nur kurzzeitig komplett zum Erliegen. Eine Fahrspur blieb frei, dort wurden die Autos denn entlang gelotst. Eine halbe Stunde später ordneten die Beamten an, dass die Versammlung auf den Gehweg umziehen müsse.

Die Festgeklebten hafteten an der Fahrbahn, dann löste die Polizei die Versammlung auf. Das Landgericht stellte nun fest, der Angeklagte sei „in der Zeit von 8.59 bis 9.01 Uhr von der Fahrbahn unter Einsatz des Lösemittels Aceton abgelöst und weggeführt worden“.

Autofahrer nur „in überschaubarem Umfang“ beeinträchtigt

Das Gericht entschied: In der Hauptverkehrszeit waren viele Autofahrer von der Blockade betroffen, sie seien aber nur „in einem überschaubaren Umfang“ beeinträchtigt worden. Es sei nur kurz zum absoluten Stillstand gekommen. Die Folgen dieser Blockade entsprächen „den tagtäglich in Berlin vorkommenden Verkehrsbeeinträchtigungen“.

Auch vom Kammergericht als höchste Berliner Instanz gibt es eine erste Entscheidung. Allerdings ist der Beschluss vom 5. Mai nicht die in der Justiz erhoffte Grundsatzentscheidung. Das Kammergericht gab der Revision eines zu einer Geldstrafe verurteilten Klimaaktivisten recht – wegen Rechtsfehlern. Der Aktivist hatte am 21. Juni 2022 an der A100-Anschlussstelle Tempelhofer Damm mit anderen für eineinhalb Stunden auf die Straße geklebt.

Das Kammergericht bemängelte, dass das Amtsgericht nicht dargelegt hat, wie die Verkehrslage genau war und wie es zur Nötigung kam. Dabei nahm das Kammergericht Bezug auf das Urteil des Landgerichts, das im Januar einen Blockierer wegen Nötigung schuldig gesprochen hat.

Klar sei, „dass eine – im Zuge einer Straßenblockade – absichtlich herbeigeführte und gezielte Behinderung Dritter“, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, „nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt ist“.

Nötig sei dennoch eine „fallbezogene Abwägung“. Berücksichtigt werden müssten Dauer der Blockade, ob sie bekannt gegeben wurde, ob es Ausweichwege und einen Bezug zwischen der Blockadedemo und den Blockierten gibt. Jeden Fall müsse einzeln abgewogen werden. Jetzt muss das Amtsgericht neu entscheiden.

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