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"Urnengrabfelder“, auf denen die ordnungsbehördlichen Bestattungen vollzogen werden, wie hier auf dem Alten Domfriedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde in Mitte. Der Name steht auf einem sogenannten Merkpfahl aus grünem Plastik. Er wird in der Friedhofsgebührenordnung mit acht Euro ausgewiesen.

© Thilo Rückeis

Gottesdienst für Unbedachte: Warum Köln etwas kann, was Berlin nicht will

Obdachlose werden in Berlin meist ordnungsbehördlich bestattet, das bedeutet ohne Trauerfeier und Grabstein. "Unwürdig", sagt ein Kirchenmann.

Wer in Berlin arm ist oder keine Angehörigen hat, die sich kümmern und die Kosten übernehmen, wozu sie gesetzlich verpflichtet sind, wird in Berlin ohne Trauerfeier begraben. Meistens geschieht dies, falls nicht der Wunsch auf Nichtverbrennung hinterlegt ist, auf einem Urnengrabfeld. Eine besondere Kennzeichnung oder Ehrung des Namens ist nicht vorgesehen, sondern nur ein sogenannter Merkpfahl aus Plastik, auf dem der Name des Toten steht. Ein solches Begräbnis, Berlin hat davon jährlich weit mehr als 2000, nennt sich ordnungsbehördliche Bestattung. In Köln wird seit 2006 mit diesen Toten, zumindest den Konfessionellen, anders umgegangen. Dort wird einmal im Monat derer gedacht, die ohne Trauerfeierlichkeiten oder anonym bestattet wurden. Es ist eine gemeinsame Initiative der evangelischen und katholischen Kirche, des Bestatterverbandes und der Stadt Köln sowie einem Medienhaus. Jeden Monat treffen sich etwa 70 Gläubige zum Gebet, eingeladen durch die kostenlos veröffentlichten Traueranzeigen in den Blättern der Neven DuMont-Verlagsgruppe, in denen die Namen der zu bedenkenden Menschen aufgeführt werden. Diese Namen stehen auch im Zentrum des ökumenischen Gottesdienstes.

In Berlin gibt es offenbar zu viele Zuständigkeiten

Der Pfarrer, der dieses Projekt Ende der 90er Jahre in Köln mitinitiiert hatte, ist heute Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises in Stadtmitte. Bertold Höcker wollte ein solches Projekt („Gottesdienste für Unbedachte") auch in Berlin auf den Weg bringen und schrieb dem Senat vor fünf Jahren ein Konzept. Warum es scheiterte, geht aus einer internen Stellungnahme der zuständigen Senatsverwaltung hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Darin wird darauf verwiesen, dass in Köln die Ordnungsbehörden Zugriff auch auf die Daten haben, die Auskunft über die Religionszugehörigkeit enthalten. In Berlin sei das nicht der Fall. Auf mehreren Seiten wird ausgeführt, warum die prüfende Behörde findet, dass das auch in Zukunft nicht zu ändern sein werde. Vor allem aus Datenschutzgründen, die aber nie näher ausgeführt werden.

Eine Änderung der Gesetzeslage wird abgelehnt, weil, so heißt es in dem Schreiben wörtlich, „Bedenken grundsätzlicher Art bestehen, ‚nur’ mit Blick auf einen ‚Gottesdienst für Unbedachte’ den für die Durchführung ordnungsbehördlicher Bestattungen zuständigen bezirklichen Stellen einen Online-Zugriff auf das Merkmal Religionszugehörigkeit zu gestatten“. Die Sachbearbeiter fragen in dem Schriftwechsel, ob ein solches Vorgehen dem tatsächlichen Willen des Verstorbenen entspreche, um dann zu urteilen: „Ob alleine die bestehende Zugehörigkeit zu einer Religionszugehörigkeit auch das ‚Einverständnis’ zu einem solchen Verfahren impliziert, dürfte nach hiesiger Auffassung zweifelhaft sein. Zweifel dürften auch bei der Frage bestehen, ob es sich mit Blick auf die Zweckrichtung des Zugriffs überhaupt um eine öffentlich-rechtliche Aufgabe handelt.“ Die prüfenden Stellen verweisen darauf, dass eigentlich die Abteilung „kulturelle Angelegenheiten“ der Senatskanzlei zuständig sei, weil der Berliner Beauftragte für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Auftrag des Senates die Beziehungen des Landes zu einzelnen Kirchen... regelt. “ Bevor es zu Missverständnissen komme, sollte das Konzept dorthin übermittelt werden. Zudem seien aber neben dem Datenschutzbeauftragten auch die Justiz- und Innenverwaltung einzubeziehen.

Mario Czaja sagt: Ein solcher Gottesdienst fehlt Berlin

Höcker argumentiert noch heute, dass jeder Mensch, ob konfessionell oder nicht, ein Leben habe, auf das im Angesicht des Todes zurückgeblickt werden sollte. Mit einer Trauerfeier. „Und wenn keine Angehörigen da sind, dann müsse eben der Staat einspringen. Die Kirchen tun dies zumindest für ihre Mitglieder.“ Der Superintendent betont zudem: „Ich finde nicht, dass ein Merkpfahl aus Plastik einer würdevollen Namenserinnerung gleichkommt. Berlin muss sich fragen, was die Bürger dem Staat nach dem Tod noch wert sind. Statt sich human zu zeigen, denkt der Senat in Kostenkategorien.“ Jeder Mensch, ob reich oder arm, verdiene eine Trauerfeier. „Diese aus Kostengründen einzusparen, halte ich für unwürdig."

Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Stadtmitte.
Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Stadtmitte.

© Martin Kirchner

Als Anfang 2015 die Flüchtlingskrise in Deutschland und Berlin akut wurde, wurde auch die Prüfung des Anliegens eingestellt. Es gab wichtigere Themen. Noch heute ist der damalige Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) darüber unglücklich. Dem Tagesspiegel sagte der heutige Vize-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus und CDU-Kreischef: „Jeder Mensch ist einzigartig und verdient Respekt und Würde – bis zum Schluss. Diese Würde beinhaltet auch eine würdevolle Bestattung und eine Möglichkeit des Abschiednehmens durch Freunde und Hinterbliebene. Ein regelmäßiger Gottesdienst für die Unbedachten fehlt Berlin. Leider konnten wir in meiner Amtszeit dazu keinen rechtlich möglichen Weg zwischen den Verwaltungen finden.“

Lesen Sie dazu am Samstag auf den "Mehr-Berlin"-Seiten die große Reportage über den Armenfriedhof Berlins und über den "Eisbären", einen Mann, der in einem Wohnheim für alkoholkranke Männer in Kreuzberg wohnt und dessen Name die Überschrift für einen epischen Roman ist. Oder ab 19 Uhr bei uns im E-Paper.

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