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6.12.2010: Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, spricht in Lichtenrade auf einer Demonstration gegen die geplanten Flugrouten des Flughafen Schönefeld, der zum Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) ausgebaut wird.

© dpa

Lärmschutz vor Wirtschaftlichkeit: Grüne machen mobil gegen BBI

Ermuntert vom Protest gegen Stuttgart 21 beginnt Renate Künast mit der Mobilmachung gegen den Berliner Großflughafen. Der Bürgerprotest rührt sich bereits. Ist die Inbetriebnahme des Flughafens Mitte 2012 gefährdet?

Bürgerproteste gegen Infrastrukturprojekte sind die Mode der Saison. Auch beim neuen Hauptstadtflughafen "Berlin-Brandenburg International" (BBI) regt sich nun massiver Widerstand. Davon wollen die Hauptstadt-Grünen, die mit Renate Künast bei den Berlin-Wahlen 2011 die Chance sehen, erstmals eine Regierende Bürgermeisterin zu stellen, profitieren.

"Lärmschutz geht vor Wirtschaftlichkeit", sagte die grüne Spitzenkandidatin gestern dem Handelsblatt. "Die Wirtschaftlichkeit darf nicht einseitig zulasten der Betroffenen gehen." Sie forderte die Einsetzung eines Schlichters.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte angesichts der Grünen-Kritik vor einer weiteren Verzögerung bei dem Projekt. "Das BBI-Projekt ist für Berlin insbesondere aus Wirtschaftlichkeitsgründen sehr wichtig und sollte wie bisher geplant fortgeführt werden", sagte die Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" am DIW, Claudia Kemfert, Handelsblatt Online.

DIW-Expertin Kemfert räumte ein, dass der Lärmschutz eine wichtige Komponente in der Umsetzung des Flughafens sei. Die Lärmschutzanforderungen müssten daher unbedingt eingehalten werden. "Es ist kaum zu erwarten, dass es zeitliche Verzögerungen geben wird, wenn die Lärmschutzanforderungen wie geplant umgesetzt werden", fügte die Ökonomen allerdings hinzu.

Um dem Klimaschutz ausreichend Rechnung zu tragen, riet Kemfert, ähnlich wie bei anderen Großflughäfen emissionsarme Flugwege zu wählen, die ebenfalls die Lärmschutzanforderungen erfüllen müssten. "Viele Großflughäfen der Welt kompensieren die entstandenen Emissionen durch freiwillige Klimaschutzprojekte, das wäre insbesondere aus Sicht der Grünen eine konstruktive Umsetzung von Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit, Lärmschutz und Umweltschutz."

Künasts Wortmeldung ist nicht nur ein Angriff auf Berlins Regierungschef Klaus Wowereit (SPD), der den 2,5 Milliarden Euro teuren Flughafenbau verteidigt. Sie ist auch Ausdruck einer neuen Strategie der Grünen, ihre Wurzeln als Protestpartei zu pflegen und damit ein unruhig gewordenes Bürgertum zu gewinnen.

Künasts Parteifreund Winfried Kretschmann, Fraktionsvorsitzender im baden-württembergischen Landtag, hat die Strategie bereits erfolgreich umgesetzt. Er führte die Grünen als parlamentarische Stimme der Stuttgart-21-Kritiker laut jüngsten Umfragen in die Nähe einer Volkspartei. Künast nimmt sich daran ein Beispiel.

Der Flughafen BBI hat bisher alle Hürden demokratischer Legitimation genommen und ist längst im Bau. Mitte 2012 soll die erste Maschine starten. Der bisherige Flughafen Tegel soll dann wie der bereits heute nicht mehr genutzte Flughafen Tempelhof geschlossen werden.

Seit September aber nimmt der Protest zu, weil die Flugsicherung neue Flugrouten bekanntgegeben hat. Die sorgen vor allem im Berliner Süden für Unmut, wo in den Vororten die Mittelschicht wohnt.

Berlin wählt im November 2011, Baden-Württemberg im März. Die Vertreter der etablierten Volksparteien beobachten die Entwicklung mit Argwohn. "Ziel muss ein wirtschaftlich erfolgreicher Flughafen sein", warnt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). "Wer das Gegenteil fordert, gefährdet Arbeitsplätze." Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wendet sich gegen die aufkommende Protesthaltung im bürgerlichen Lager: "Moderne Infrastrukturprojekte sind die Startrampe für Deutschlands Zukunft. Sie dürfen nicht zerredet werden", sagte er dem Handelsblatt. Vertreter der Unternehmerverbände fürchten, dass erneut die Stimmung gegenüber einem Großprojekt kippen könnte.

Künast lässt sich davon nicht beirren. Sie glaubt, ihr Thema gefunden zu haben. "Der Flughafen ist ein großes Projekt, das keine Akzeptanz finden wird, wenn die Menschen das Gefühl haben, es würden ihnen wichtige Fakten wie Flugrouten vorenthalten oder ständig zu ihren Lasten verändert." Käme es nicht zügig zur Einsetzung eines Schlichters, rechnet sie nicht mehr damit, dass der Flughafen 2012 in Betrieb gehen könne. Gestern demonstrierten 4000 Menschen gegen das Großprojekt.

Quelle: "Handelsblatt"

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