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Auch dafür gab's Ärger: Spitzenkandidat Kai Wegner (re.) mit Stadtrat Falko Liecke in Neukölln.

© promo

Heftiger Streit in Neukölln: Berliner CDU weist Dutzende Neumitglieder ab

Wenn die CDU eines dringend braucht, dann motivierte Neumitglieder. In Neukölln hat sie mehr als 60 Interessierte abgelehnt - viele mit Migrationsgeschichte.

Für Cem Civan Boral gleicht das Schreiben einem Schlag ins Gesicht. „Abgelehnt ohne Begründung“, fasst er die Reaktion des Neuköllner CDU-Vorstands auf seinen Ende September eingereichten Mitgliedsantrag zusammen. „Dabei bin ich doch eine Bereicherung für die Partei, will mich engagieren und die CDU in Neukölln voranbringen“, erklärt der 18-Jährige.

Sein Ziel: Die Christdemokraten in Neukölln personell und thematisch ein Stück diverser machen. Zwei Monate später tendieren die Chancen dafür gegen Null. Nach dem Kreisvorstand lehnte auch der CDU-Landesvorstand die Aufnahme Borals und mit ihm mehr als 60 weiterer Bewerber ab. Die Entscheidung fiel am vergangenen Freitag einstimmig. Lediglich ein Mitglied des von CDU-Landeschef Kai Wegner angeführten Gremiums enthielt sich.

Die Suche nach den Hintergründen dafür, dass ausgerechnet die CDU Neumitglieder ablehnt, gestaltet sich schwierig. Weder Kreisverband noch Junge Union (JU) im Bezirk, die besonders von dem Zustrom an jungen und motivierten Mitgliedern profitiert hätte, sprechen offen oder gar mit einer Stimme.

Von einer „gezielten Kampagne und drohender Übernahme einzelner Ortsverbände“ ist auf Seiten von Kreischef Falko Liecke die Rede. Von einer Abwehrhaltung, zementierten Mehrheiten und fehlender innerparteilicher Demokratie auf Seiten des Vorstands der JU.

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Im Verdacht Lieckes, die wohl nicht nur für die CDU in Neukölln unüblich große Zahl von Mitgliedsanträgen organisiert zu haben, steht Onur Bayar. Seit Januar 2017 JU-Chef im Bezirk, gibt sich Bayar als Verteidiger von Demokratie und Vielfalt in seiner Partei. Diese repräsentiere aktuell weder Lebensrealität noch Themen vieler Menschen im Bezirk, erklärt Bayar. Den in der Öffentlichkeit am stärksten wahrnehmbaren politischen Schwerpunkt Lieckes, die Bekämpfung der Clan-Kriminalität, würden zahlreiche Mitglieder der migrantischen Community negativ auf sich beziehen.

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Dass der übergroße Teil der Beitrittswilligen aus Familien mit Migrationsgeschichte kommt und die CDU dank ihnen der gesellschaftlichen Realität im Bezirk „endlich“ ein Stück weit näher käme, – laut Bayar ist das eine Art glückliche Fügung. „Ich habe die Leute nicht organisiert, woher sollte ich die auch alle nehmen?“ fragt er.

Liecke: "Taktisches Manöver" wurde erfolgreich verhindert

Vom glatten Gegenteil überzeugt ist Falko Liecke. Der Gesundheitsstadtrat von Neukölln, unter Kai Wegner im Vorjahr zum Ko-Vorsitzenden seiner Partei aufgestiegen, wirft Bayar ein am Veto des Kreis- und später Landesvorstands gescheitertes „taktisches Manöver“ vor. Einen „ziemlich ärgerlichen Vorgang“ nennt Liecke den Streit und attackiert Bayar direkt. Dieser vergieße nun „dicke Krokodilstränen“ und agiere "unglaubwürdig". Bayar sei „seinen Freundeskreis und den Freundeskreis seines Freundeskreises abgelaufen“, um Neumitglieder zu werben, erklärt Liecke und berichtet, dieser habe die Mitgliedsanträge "bündelweise und persönlich" in die Kreisgeschäftsstelle getragen. Beides weist Bayar entschieden zurück.

Onur Bayar ist in Neukölln kein Unbekannter. 2016 wollte er von hier für die CDU ins Abgeordnetenhaus.

© Maria Fiedler

Hintergrund des Manövers in den Augen von Liecke: Bayar wolle die Mehrheiten in den Ortsverbänden Britz und Nord-Neukölln zu verändern. In Letzterem sind sowohl Liecke als auch Bayar Mitglied – der 24-Jährige als stellvertretender Vorsitzender. Die Neuwahlen der Vorstände stehen im kommenden Frühjahr an.

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Und Liecke legt noch einen drauf: Erstens habe der von ihm in der Vergangenheit geförderte Bayar seit Übernahme des JU-Vorsitzes quasi nichts gemacht, der Jugendverband sei „tot“. Zweitens hätte Bayar bei einer Nominierungsveranstaltung der CDU versucht, unrechtmäßig an einer Abstimmung teilzunehmen und sei daraufhin mit einer dreijährigen Ämtersperre belegt worden. „Er darf sich aktuell gar nicht Vorsitzender der JU-Neukölln nennen“, erklärte Liecke. Ein entsprechendes Verfahren vor einem CDU-Parteigericht wurde eröffnet.

Bayar wiederum wies die Vorwürfe zurück, setzt auf eine zu seinen Gunsten ausgehende Gerichtsentscheidung und erklärt seinerseits: „Ich finde es schade, dass sich die CDU-Berlin so verhält.“ Das Vorgehen Lieckes bezeichnete er als "niveaulos" und warf diesem im Gegenzug vor, die innerparteiliche Demokratie mit Füßen zu treten.

Im Wahljahr droht die Unterstützung zu fehlen

Klar ist: Weniger als ein Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl – die CDU liegt in Umfragen auf Rang 1 und verzeichnet eine insgesamt positive Mitgliederentwicklung – kommt der Streit für die Partei zur Unzeit. Gerade im Wahlkampf zählt die Unterstützung der Parteijugend. Und: Bayar steht in dem Streit nicht allein. Ein im Vorfeld der Sitzung des Landesvorstands an dessen Mitglieder verschicktes Schreiben, das zur Aufnahme der Neumitglieder aufruft, trägt die Unterschriften des gesamten geschäftsführenden Vorstands der JU Neukölln. Angeblich, so berichtet Bayar, hätten sich nach der Entscheidung Mitglieder des Gremiums an ihn gewandt und ihre Solidarität bekundet – zum offenen Votum fehlte aber wohl der Mut.

Eine der wenigen, die auch offen Position bezieht, ist Sabine Toepfer-Kataw. Die ehemalige Staatssekretärin in der Justizverwaltung fragt im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Was ist das für eine Partei, die auf Mitglieder verzichtet?“. Toepfer-Kataw, die für die CDU-Neukölln im Abgeordnetenhaus gesessen hat und zuletzt im Duell um die Kandidatur für das Neuköllner Bundestagsmandat gegen Christina Schwarzer unterlag, warf dem Lager um Liecke vor, mit dessen Vorgehen Partei- und Politikverdrossenheit zu fördern. Während ihres letzten Jahres im Amt als Staatssekretärin hatte Bayar für Toepfer-Kataw gearbeitet.

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