zum Hauptinhalt
Mit dem Innovationscampus Siemensstadt 2.0 verbinden sich große Hoffnungen für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin.

© Siemens AG

Historische Schwäche zur Stärke machen: So könnte Berlin zum Zentrum der Digitalisierung werden

1941 begann in der Hauptstadt das Computer-Zeitalter. Derzeit gibt es die größten Entwicklungen in den USA, Berlin ist strukturschwach. Wie lange noch?

Der russisch-sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew untersuchte vor 100 Jahren die „Langen Wellen in der Konjunktur“. Da die Wellen auch nach schmerzhaften Krisen des Kapitalismus irgendwann einen Aufschwung vorsahen, geriet er in Konflikt mit dem leninistisch-stalinistischen Dogma des unausweichlichen Niedergangs aller Marktwirtschaft.

Diese wissenschaftliche Beobachtungsgabe bezahlte er 1928 mit dem Verlust seiner Forschungsstelle, 1930 mit der Freiheit und 1938 schließlich mit dem Leben. Der Kapitalismus erneuert sich regelmäßig – diese antikommunistische Gotteslästerung führte zu seiner Hinrichtung durch die Henker Stalins. Die Theorie seiner Mörder ist widerlegt, während seine Überlegungen noch heute wichtige Inspirationen liefern. Nach seinem Tod gab Joseph Schumpeter den „Langen Wellen“ den Namen „Kondratjew-Zyklen“.

Ausgehend von herausragenden Basisinnovationen ergeben sich die genannten langen Wellen, die etwa alle 50 Jahre aufeinander folgen, einander ablösen und im Aufschwung neuen Wohlstand mit sich bringen. Die Dampfmaschine ist für Kondratjew so eine Basisinnovation, die Eisenbahn, das Automobil oder die Elektrizität. Was er nicht mehr erleben konnte, war die Erfindung der elektronischen Datenverarbeitung und der digitalen Vernetzung durch das Internet. Man darf aber annehmen, dass er beides in seine Liste aufgenommen hätte.

Aus der Sicht der Medien ragt die Basisinnovation der Digitalisierung sogar über die von Kondratjew erlebten Innovationen hinaus. Aus ihrer Sicht wird nicht eine 50-Jahres-Welle, sondern eine 500-Jahre-Welle abgelöst. Das Grundstürzende dieser Innovation lässt sich in einer einfachen Gleichung zwischen Sender und Empfänger ausdrücken.

Bis vor 500 Jahren galt die Gleichung 1:1. Auf einen Sender kommt ein Empfänger: das Zeitalter der Individualkommunikation. Es reichte von den Höhlenmenschen bis zu Johannes Gutenberg. Gutenberg änderte die Gleichung, jetzt hieß sie: 1:n. Ein Sender kann unendlich viele Empfänger erreichen. Dieses Zeitalter der Massenkommunikation erstreckt sich von Johannes Gutenberg bis zu Thomas Gottschalk. Wir Zeitgenossen haben das seltene Privileg, am Schnittpunkt dieser 500-jährigen Riesen-Kondratjew-Wellen zu leben.

Die prägende Welle entstand in Berlin

Mit etwas Lokalpatriotismus kann man sagen: Die heute prägende Welle wurde in Berlin ausgelöst. In den vierziger Jahren schuf Konrad Zuse die Grundlage der Basisinnovation für das heute sich mit großer Wucht entfaltende Zeitalter der Massen-Individualkommunikation. Der rechenfaule Bauingenieur Zuse stellte am 12. Mai 1941 in Berlin den ersten programmierbaren Rechner der Welt vor. Damit änderte er die Gutenbergsche Gleichung von 1:n in n:n. Computer plus Vernetzung – das, was wir Digitalisierung nennen – macht aus den unendlich vielen Empfängern zugleich auch unendlich viele Sender.

1989 präsentierte Konrad Zuse einen Nachbau seiner im Zweiten Weltkrieg in Berlin zerstörten Rechenmaschine Z1.
1989 präsentierte Konrad Zuse einen Nachbau seiner im Zweiten Weltkrieg in Berlin zerstörten Rechenmaschine Z1.

© picture-alliance / gms

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wir Zeitgenossen können die Folgen dieser Innovation kaum abschätzen. Wenn wir aber die Umwälzungen betrachten, die Gutenbergs Druckmaschine mit beweglichen Lettern vor einem halben Jahrtausend auslöste, dann bekommen wir einen Eindruck der Dimensionen.

Die mächtigste Institution der damaligen Zeit, die Kirche, hatte bis zu diesem Zeitpunkt jede Erschütterung abwenden können. Sie nannte die Angreifer Ketzer und verbrannte sie. Martin Luther konnte mit der Druckerpresse die mächtigste Institution seiner Zeit erschüttern und spalten. Zu den folgenden Umwälzungen gehören die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges ebenso wie die Aufklärung, die Demokratisierung des Wissens durch Bibliotheken und die Gleichschaltung mit dem Volksempfänger. Als das Magazin „Time“ im Jahr 2000 den wirkmächtigsten „Menschen des Jahrtausends“ wählte, entschied sich die Redaktion für Johannes Gänsfleisch Gutenberg aus Mainz in Deutschland, den Begründer der Massenkommunikation.

Das Gutenberg-Denkmal vor der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main (Hessen).
Das Gutenberg-Denkmal vor der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt am Main (Hessen).

© picture alliance / dpa

Wir können uns nicht vorstellen, was die Massen-Individualkommunikation in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten mit sich bringen wird, aber eine Zäsur wird es sein. Die schräge Kommunikation von Heranwachsenden auf Sozialen Medien ist erst der Anfang, auch wenn diese Halbstarken über 70 Jahre alt sind und im Weißen Haus tweeten.

Führt die Digitalisierung zu galaktischen Gatekeepern namens Google, Facebook oder Apple, neben denen Hugenberg und Berlusconi wie Zwerge erscheinen? Erwartet uns eine mediale Demokratisierung durch aufgeweckte junge Leute, die Greta oder Rezo heißen und auch diese Gatekeeper nicht stoppen können? Zerfällt die Öffentlichkeit in halbinformierte Echokammer-Radikale, die erst mit Worten und dann Waffen wie in den USA aufeinander einschlagen? Alle diese Entwicklungen zeichnen sich heute nebeneinander ab und der Ausgang ist offen, oder besser: Er liegt in unseren Händen als Bürger und Journalisten, als Gesetzgeber, Leser, User und Wähler jeglichen Geschlechts.

Die Strukturschwäche der Hauptstadt ist historisch bedingt

Mit Basisinnovationen beginnt immer ein New Deal des Wohlstands. Die Karten werden neu verteilt, alle können ihr Glück versuchen, aber das sogenannte Innovator’s Dilemma sorgt dafür, dass sich ausgerechnet diejenigen, die die letzte Basisinnovation bestens beherrschen, selbst dabei im Weg stehen, die nächste zu erkennen oder gar zu nutzen.

Was bedeutet das für Berlin? Die historische Strukturschwäche Berlins, die durch Nationalsozialismus, Krieg und Teilung begründet und durch Ost-Berliner Zwangswirtschaft und West-Berliner Misswirtschaft verfestigt wurde, ist in Ausmaß und Mischung einzigartig.

Sebastian Turner ist seit 2014 Tagesspiegel-Herausgeber und ein Impulsgeber für die Digitalisierung.
Sebastian Turner ist seit 2014 Gesellschafter und Herausgeber des Tagesspiegels und ein Impulsgeber für die Digitalisierung.

© Thilo Rückeis

Ein oberflächlicher, unfairer, aber erhellender Vergleich mit anderen deutschen Zentren und den dortigen Unternehmenszentralen macht das deutlich. Denken Sie ans hessische Frankfurt: Dort dominieren Börse und zu gut bezahlte Banker. In Stuttgart – die führenden Unternehmen heißen Daimler, Porsche, Bosch – finden Sie den hart erstreikten Tariflohn der IG Metall und ein Zentrum der Mobilität. Hamburg hat mit Hafen, Hapag, Kühne und Nagel, Tchibo, Otto und Edeka den Handel und wohlhabende Händler. In München stehen Allianz, Münchner Rück und Siemens, Linde und BMW für Wohlstand aus Finanzen und Ingenieurwesen.

[Die Digitalisierung in der Metropole: Das ist regelmäßig auch ein Thema in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

In Berlin haben wir mit Alba, Dussmann, Piepenbrock, Gegenbauer, Berlin Recycling und BSR einen deutlichen Branchenschwerpunkt bei Müllbeseitigung und Mindestlohn. Das ist zumindest in einer Hinsicht eine gute Nachricht: Das Innovator’s Dilemma steht Berlin nicht im Weg, wenn man von der vollendeten Mülltrennung einmal absieht.

Laien mögen spotten, Historiker aber wissen: Von Vorkenntnissen nicht belastet zu sein, kann ein großer Vorteil sein. Wie am 21. Juli 1840 zwischen dem Anhalter Bahnhof und Jüterbog: An diesem Tag übertrumpfte bei einer Wettfahrt der Berliner Eisenbahn-Novize August Borsig mit seiner neuen Lokomotive das Lokomotiven-Original von George Stephenson aus Newcastle. Auch Siemens und Rathenaus AEG setzten als Gründer und Industrienovizen aus Berlin Maßstäbe in Telefonie und Elektrizität. Sie übertrafen die industriellen Vorbilder in Großbritannien und setzten sich für Jahrzehnte an die Spitze von Innovation und Wohlstand.

Drei Faktoren bestimmen die Digitalisierung: Ideen, Regeln und Geld

Schwerpunkte der Digitalisierung in Berlin? Medizin und Verwaltung.
Schwerpunkte der Digitalisierung in Berlin? Medizin und Verwaltung.

© Christoph Soeder/dpa

Zuses Berliner Pioniertaten bei der Digitalisierung liegen ein Dreivierteljahrhundert zurück. Seit Jahrzehnten ist die amerikanische Westküste der weltweit treibende Ort, und nicht nur Berlin wetteifert der Region zwischen San Francisco und San Jose nach. Wie kann Berlin schneller und erfolgreicher aufholen als andere? Auch wenn das manche bedauern werden: Ahnungslosigkeit allein genügt nicht. Drei weitere Faktoren spielen eine Rolle: Ideen, Regeln, Geld.

Fangen wir mit den Ideen an. Hier kommt die Wissenschaft ins Spiel, und hier hat Berlin selbst in der Phase der Teilung eine starke Position erhalten, die in den letzten dreißig Jahren deutlich ausgebaut werden konnte. Nachrichten aus den letzten Monaten und aus unterschiedlichsten Gründen runden das ab. Zuletzt haben sich große internationale Forschungsförderer für einen Standort in Berlin entschieden: die Gates Stiftung, die Open Society Stiftung von George Soros und der Wellcome Trust. Vielversprechend ist die neue Partnerschaft mit der Universität Oxford und die erfolgreiche Teilnahme der Berliner Universitäten am Exzellenzwettbewerb.

Studenten arbeiten im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.
Studenten arbeiten im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.

© picture alliance / Christophe Ga

Die Hochschulen sind der Ort, an denen der Öffentliche Sektor am meisten für Innovation tun kann. Das liegt nicht daran, dass Professoren und Doktoren schlauer wären als andere. Wenn man weiß, dass die Partei mit den meisten promovierten Mandatsträgern in deutschen Parlamenten die AfD ist, kommt man eher zu gegenteiligen Schlüssen. Nicht der Verstand unterscheidet die Wirtschaft vom Staat, sondern die Fähigkeit zur schnellen Korrektur, wenn eine Idee nichts taugt. Vom Staat verlangen wir Verlässlichkeit, Kontinuität, mit einer Ausnahme: den Hochschulen. Forschung und Lehre sind der einzige Ort im öffentlichen Sektor, an dem Versuch und Irrtum als Stärke akzeptiert werden.

Mit diesem Argument hat der Tagesspiegel in einem Leitartikel am 22. März 2015 den Vorschlag gemacht, wie der Senat Berlin als Hauptstadt der Digitalisierung am besten – und damit auch: am kostengünstigsten – fördern kann: Indem er 100 zusätzliche Professuren in allen möglichen Bereichen der Digitalisierung schafft. Über 70 sind inzwischen im Einstein Centrum Digitale Zukunft versammelt. Auf die Gefahr hin, dass es den Senat verunsichern könnte, vom Tagesspiegel einmal gelobt zu werden: Hier ist es mehr als angemessen.

Verwaltung und Medizin sind Schwerpunkte der Digitalisierung

Wenn alles und jedes auf der Welt digital werden wird, ist es klug und notwendig, in diesem Universum Schwerpunkte zu setzen. Für Berlin drängen sich mindestens zwei Schwerpunkte auf. Ganz im Geiste der Schwäche, die eine Stärke ist, rückt die Verwaltung ins Blickfeld. Die anstehenden Pensionierungswellen und der demografische Wandel sorgen für eine solche Personalnot, dass selbst die hartnäckigsten Personalräte Verständnis aufbringen für ein Umschalten von Mikado auf Mikroelektronik.

Nahezu alle Verwaltungen der Erde kämpfen mit der Digitalisierung. Wenn es den deutschen Gründlichkeitsfetischisten gelingt, ihr komplexes, gewachsenes, rechtsstaatliches, subsidiäres und föderales System zu digitalisieren, kann es danach keine unlösbare Aufgabe auf dieser Welt mehr geben. Die vergleichbare komplexe Unternehmenssoftware kommt – große Überraschung! – bereits aus Deutschland, allerdings aus dem Teil, der funktioniert: SAP aus dem nordbadischen Walldorf. Immerhin: Wichtige Teile ihrer erfolgreichen neuen Software wurden in Potsdam entwickelt, am Hasso Plattner Institut, das jetzt zur Universität Potsdam gehört.

Der zweite Schwerpunkt liegt ebenso nah: Es ist die Digitalisierung der Medizin. In Berlin arbeiten doppelt so viele Menschen in der Gesundheitswirtschaft wie Heidelberg Einwohner hat. Neben den Firmen Bayer Healthcare, Sanofi Deutschland, Pfizer Deutschland und dem local hero Eckert & Ziegler bilden die Charité und die Institute von Max Planck und Helmholtz wichtige Kristallisationspunkte.

Das Hauptgebäude der Charité. Die Digitalisierung der Medizin spielt eine große Rolle.
Das Hauptgebäude der Charité. Die Digitalisierung der Medizin spielt eine große Rolle.

© Christophe Gateau/dpa

Die Produktion von Ideen und Absolventen freilich reicht nicht aus, um einen Standort zu einem Motor eines Kondratjew-Zyklus zu machen. Ein häufig unterschätzter Faktor ist die Regulierung. Auch hier bietet Berlin historisches Anschauungs- und Lehrmaterial. Das zeigt sich beispielsweise bei der Basis-Innovation Elektrizität. Bekannt ist das Erfinder-Genie von Werner von Siemens.

Nicht ganz so bekannt ist seine Begabung als Lobbyist. Siemens war – gemeinsam mit Hermann von Helmholtz – einer der Initiatoren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und damit Rahmensetzer für Normen und Standards. Diese Normen-Anstalt ist einer der Hidden Champions beim Aufstieg von Berlin zum Weltzentrum der Elektroindustrie, ehrfurchtsvoll Elektropolis genannt.

Ein anderer, wichtiger Regulierungsmarkstein geht auf die Gewerbekammer von der Königlichen Regierung von Preußen zurück: Im Jahr 1891 fordert sie, Kleingewerbetreibenden – wie etwa dem Tuchmacher Quandt in Pritzwalk, dessen Familie es einmal zu BMW-Eignern bringen sollte – die Anschaffung von Kleinmotoren zu erleichtern. Das war eindeutig erfolgreicher Lobbyismus der Elektrokonzerne, bewirkte durch die Demokratisierung des Elektromotors aber auch die Herausbildung eines industriellen Mittelstandes und einer breitflächigen Wohlstandsentwicklung, die bis heute in Deutschland nachwirkt.

Bundeswehr und Polizei müssen attraktive Arbeitgeber sein

Wenn man Berlin eine stürmische Entwicklung wünscht, wäre es also ganz falsch, keine Regeln zu fordern – sie werden dann nur von anderen geschrieben. Es kann nur richtig sein, wenn die Parteien im Bundestag, die Ministerialbürokratie, die Verbände und NGOs und natürlich auch die Forschung in Berlin in eine wilde Auseinandersetzung eintreten, welche Normen und Regeln unsere Wertvorstellungen und unseren Wohlstand befördern, und welche nicht. Dazu gehört auch die Überwindung von Monopolen.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Die Regelwächter selbst könnten auch auf ganz andere Art zur Entwicklung beitragen – als Nachfrage. Wir klammern aus unseren Debatten geradezu hermetisch die Rolle von Bundeswehr und Polizei, Verteidigung und Sicherheit aus. Warum? Wenn wir intelligente und demokratische Bürger in Uniform wollen, dann müssen die Arbeitgeber Bundeswehr und Polizei innovativ und attraktiv sein. Hier kann man wahrscheinlich von niemandem auf der Welt mehr lernen als von Israel. Kein anderes Land hat eine so beeindruckende Innovationsquote und eine so umfassende Befruchtung der zivilen Wirtschaft durch Talente, die bei den Streitkräften ausgebildet wurden.

Bundeswehr und Polizei sollten attraktive und innovative Arbeitgeber sein.
Bundeswehr und Polizei sollten attraktive und innovative Arbeitgeber sein.

© Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa

Der letzte Faktor, nach einer aktuellen Studie von Brookings sogar der entscheidende Faktor, ist das Geld. Dabei geht es nicht allein um die Menge, sondern vordringlich um die Fähigkeiten der Leute, die es ausgeben. „Dumb German Money“ war die Bezeichnung, mit der sich gierig-gerissene amerikanische Banker über gierig-dämliche Banker in Deutschland lustig machten, denen sie Schrottanleihen unterjubeln konnten. Die Dämlichkeit war in Deutschland dabei sehr gerecht verteilt unter privaten und öffentlichen Bankern, ebenso wie die Verbreitung von Doktor- und Professorentiteln.

Wenn die herausragende Stärke des Silicon Valley beschrieben wird, dann ist neben der Genialität der Gründer ein ganz entscheidender Aspekt die Güte der Geldgeber. Kürzlich hat in Berlin ein führender Kopf der staatlichen amerikanischen Agentur für Sprunginnovationen, Darpa, gesprochen. Besonders aufschlussreich war ein anwesender Unternehmer aus Tübingen. Die amerikanische Darpa hat in dieses deutsche Unternehmen inzwischen Millionen investiert.

Unternehmerischen Umgang mit Geld entwickeln

Der Unternehmer erzählte, wie er zunächst die Erfolgsberichte abspulen wollte, mit denen er seine deutschen Investoren einseift. Der Darpa-Investmentmanager sei vor Verärgerung geradezu explodiert. Er wolle, Zitatanfang, kein Bullshit hören, Zitatende, sondern wissen, was nicht gelungen sei und wo die unerwarteten, ungelösten Probleme liegen. Als der Tübinger dann erklärte, an welchen Fragen sie schier verzweifeln, habe der Investor gesagt, dann lenken wir darauf jetzt mehr Geld. Das Unternehmen heißt Curevac und Darpa investierte Jahre vor Corona und der Bundesregierung. Dieser unternehmerische, risikokundige Umgang mit Geld ist die Gabe, die wir am stärksten neu entwickeln müssen.

Die Digitalisierung ist eine epochale Basisinnovation, eine historische Zäsur, möglicherweise die umfassendste, die wir erleben werden. Berlins historische Schwächen können sich als Stärke erweisen. Überbordender wirtschaftlicher Erfolg steht uns nicht im Weg, dafür die gewaltigen Anwendungsfelder in Verwaltung und Medizin. Wir brauchen eine rigorose Auseinandersetzung von Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft, damit wir nach den besten Regeln am besten investieren in die besten Ideen.

Sebastian Turner

Zur Startseite