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Hallo, ist da jemand? Allein in Mitte bräuchte es 100 Mitarbeiter im Gesundheitsamt, um die Nachverfolgung von Kontaktpersonen sicherzustellen – darum müssen weiter Kräfte eingestellt oder aus anderen Bereichen „abgeordnet“ werden.

© Britta Pedersen/picture alliance/dpa

Update

„Infektionsschutz absehbar nicht sichergestellt“: Warum die Berliner Gesundheitsämter jetzt um Hilfe rufen

Die Gesundheitsämter stehen vor dem Kollaps, meldet Berlin. Neues Personal ist knapp, es gibt Kapazitätsengpässe. Jetzt soll das Robert-Koch-Institut helfen.

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Bei der Nachverfolgung von Infektionsketten stehen die Gesundheitsämter in Berlin zunehmend vor unlösbaren Aufgaben. In einem internen Lagebericht des Bundesgesundheitsministeriums vom Montag, der dem Tagesspiegel vorliegt, meldet der Senat Kapazitätsengpässe der Kategorie 2.

Wörtlich heißt es: „Die Durchführung von Infektionsschutzmaßnahmen ist absehbar nicht mehr sichergestellt.“ Bereits am 27. September wurde das Robert-Koch-Institut (RKI) deshalb um Amtshilfe gebeten. Berlin ist neben dem Lahn-Dill-Kreis oder Pinneberg nur eines von fünf Gebieten in Deutschland, die überhaupt Engpässe melden – Risikogebiete gibt es mittlerweile erheblich mehr. 

Am Dienstag wurden allein in Berlin 706 neue Fälle gemeldet, die Sieben-Tage-Inzidenz, also die wöchentliche Neuinfektionsrate, liegt pro 100.000 Einwohnern jetzt bei 71,5.

Das RKI wird Berlin nun damit unterstützen, dass Mitarbeiter des Instituts den Gesundheitsämtern der Bezirke im Bereich der Kontaktverfolgung helfen, aber auch bei der Abstrichentnahme. Eine Mitarbeiterin des RKI wurde dauerhaft in den Krisenstab der Senatsverwaltung für Gesundheit entsandt. Auch die Bundeswehr und Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen könnten hinzugezogen werden – letztere müssten die Bezirksämter allerdings bezahlen. 

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Die Zahl der zusätzlichen Mitarbeiter soll sich nach Tagesspiegel-Informationen am Bedarf der Ämter orientieren, nicht nach einem Schlüssel.

Auf Anfrage teilte das Robert-Koch-Institut mit, dass seit dem 5. Oktober acht Mitarbeiter die Arbeit der Berliner Gesundheitsämter bei der Kontaktverfolgung unterstützen. Sie seien in den Gesundheitsämtern Mitte, Tempelhof-Schöneberg, Spandau und Friedrichshain-Kreuzberg tätig. Der Einsatz sei bis zum 30. Oktober befristet, bezahlt würden die Mitarbeiter durch das RKI.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte: „ Es war erwartbar, dass die Bezirksämter unter Druck geraten.“ Man habe sie daher frühzeitig mit finanziellen Mittel für mehr Personal ausgestattet.

In Mitte müssen sich Menschen jetzt selbstständig isolieren

In den besonders schwer vom Coronavirus betroffenen Bezirken Mitte (Inzidenz: 117,2) und Neukölln (171,3) ist die Kontaktnachverfolgung allerdings bereits jetzt kaum noch möglich. In Mitte muss die Quarantäne nun nicht mehr in jedem Einzelfall vom Gesundheitsamt angeordnet werden. Betroffene Personen sind verpflichtet, sich selbstständig in Isolation zu begeben, wie das Bezirksamt am Montag mitteilte.

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Auch in Neukölln wurde die Kontaktverfolgung vereinfacht. Dort können unter anderem Schulleitungen oder Arbeitgeber die betroffenen Schulklassen, Lerngruppen oder Beschäftigten über die Quarantäne informieren. Der Bezirk hat mit einem diffusen Infektionsgeschehen zu kämpfen, sagte Amtsarzt Nicolai Savaskan dem Tagesspiegel – 70 Prozent der Infektionen seien nicht auf einen besonderen Anlass zurückzuführen.

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Mittlerweile liegen acht der zwölf Stadtbezirke teils deutlich über dem kritischen Wert von wöchentlich 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.  Auch in den Außenbezirken wird die Infektionslage angespannter, Reinickendorf und Spandau haben mittlerweile eine Inzidenz von 73,6 beziehungsweise 69,3.

Aber wie viel Personal brauchen die Bezirke eigentlich, um die Pandemie einzudämmen? Normalerweise haben die bezirklichen Gesundheitsämter zwischen 119 (Reinickendorf) bis 200 (Mitte) Mitarbeiter. Die Senatsfinanzverwaltung antwortete nun auf eine Anfrage der Linke-Politikerin Katina Schubert, dass die Gesundheitsämter allein zur Kontaktnachverfolgung fünf Vollzeitkräfte pro 20 000 Einwohner bereitstellen sollen.

Pankow, Spandau und Reinickendorf haben am wenigsten Personal eingestellt

Mitte mit seinem 385 000 Einwohnern bräuchte demnach rund 100 Mitarbeiter allein zur Nachverfolgung der Infektionsketten. Dies sei in der ersten Phase der Pandemie durch den „Einsatz von Dienstkräften aus anderen Bereichen“ auch erreicht worden, heißt es aus der Finanzverwaltung.

Perspektivisch sei aber der Einsatz von zusätzlichem Personal „erforderlich“. Die Anfrage zeigt auch, dass die Bezirke durchaus unterschiedlich Personal mit Corona-Bezug aufgebaut haben. Verhältnismäßig viele wurden in Tempelhof-Schöneberg (46), Marzahn-Hellersdorf (45), Mitte (34) eingestellt. Im Mittelfeld liegen Neukölln (26), Charlottenburg-Wilmersdorf (25), Friedrichshain-Kreuzberg (22) Lichtenberg (20) und Steglitz-Zehlendorf (18). Schlusslichter sind Spandau (15), Pankow (14) und Reinickendorf (9).

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Es werden „weitere Stellen im dreistelligen Bereich“ für den öffentlichen Gesundheitsdienst erwartet. Im Schnitt dauert ein Stellenbesetzungsverfahren in Berlin aber 3,5 Monate. Für die lange Verfahrensdauer nennt die Senatskanzlei „uneinheitliche Abläufe und zersplitterte Zuständigkeiten in den einzelnen Dienststellen“ als Gründe.

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Linken-Politikerin Katina Schubert sagte, pro Bezirk bräuchte man „80 bis 100 Mitarbeiter zur Kontaktverfolgung“. Sie kritisierte die Senatsgesundheitsverwaltung, die keinen „strategischen Begriff hat, für das, was notwendig ist“. Es fehle eine zentrale Stelle, um Kräfte umzuschichten und sie schnell abzuordnen.

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Linksfraktionschef Carsten Schatz und Katina Schubert fordern zur besseren Ausstattung der Gesundheitsämter die Hauptverwaltungen auf, zu ermitteln, wo personelle „Abordnungen“ möglich sind. Auch Studierende aus medizinischen Fachrichtungen sollten verstärkt eingesetzt werden.

Den Einsatz von Bundeswehrsoldaten schließt die Linke – anders als der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – nicht kategorisch aus, sieht ihn aber als „ultima ratio“. Schubert betonte, dass mehrsprachige Kräfte und Dolmetscher bei der Kontaktverfolgung notwendig sind. Sie könnten etwa in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete oder Wohnungslosenheimen aufklären.

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