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Sprachförderung ist Teil des Kita-Alltags. CDU und SPD wollen diesen im Jahr vor der Schule verpflichtend machen.

© dpa/Waltraud Grubitzsch

Koalitionsverhandlungen in Berlin: CDU und SPD erwägen neuen Anlauf zur Kitapflicht

Ein Jahr vor der Schule soll künftig jedes Kind in Berlin eine Kita besuchen. Das Ziel scheitert bislang an der Realität.

Kommt es zu einer Koalition von CDU und SPD, könnte die Kitapflicht im letzten Jahr vor der Schule eingeführt werden. „Wir streben an, ein Vorschuljahr in den Kitas anzusiedeln“, heißt es im Sondierungspapier beider Parteien, das im Anschluss an die erste Sitzung der Dachgruppe verfasst wurde. Darüber soll in den am Montag beginnenden Koalitionsverhandlungen beraten werden.

Der Vorschlag ist weder neu noch leicht zu realisieren. Um eine Kitapflicht umsetzen zu können, müsste Berlin mindestens 3000 neue Kitaplätze schaffen. Wegen der Kosten von 30.000 bis 60.000 Euro pro Platz kamen die Jugendpolitiker von Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot in den vergangenen Jahren nicht ansatzweise mit der Forderung nach mehr Kitaplätzen durch. Schon jetzt fehlen zudem in vielen Kitas Erzieher:innen. Ingesamt werden in Berlin bis 2026 sogar 26.000 zusätzliche Kitaplätze gebraucht, um dem Anspruch der Ein- bis Sechsjährigen entsprechen zu können.

Aktuell schaffen es die bislang SPD-geführte Jugendverwaltung und die zuständigen Bezirksämter noch nicht einmal, die gesetzlich verankerte Frühförderpflicht für Kinder, die kein Deutsch sprechen, durchzusetzen. Unter dem Strich kommen von rund 3000 Nicht-Kita-Kindern nur rund ein Drittel in den Kitas an. obwohl fast alle Sprachförderbedarf hätten.

Der Grund: Den Bezirke zufolge fehlen genügend Mitarbeiter:innen, die die Pflicht durchsetzen könnten sowie Kitaplätze. Einige Bezirke weigern sich zudem, Eltern mit Bußgeldern zu belegen. Landeselternvertreter Norman Heise erklärte, die Kitapflicht bestehe de facto, werde aber nicht umgesetzt.

Mitglieder der Verhandlungsgruppe beider Parteien dämpften hinter vorgehaltener Hand die Erwartungen. Eine flächendeckende Kitapflicht werde räumlich und personell schwierig, heißt es aus der CDU mit Blick auf fehlende Kapazitäten. Das Thema Sprachförderung und die Bedeutung der Kitas in diesem Bereich müsse jedoch diskutiert werden.

SPD: Wesentliche Fragen sind noch zu klären

Aus den Reihen der SPD, die das Jugend- und Bildungsressort nach fast 30 Jahren in Verantwortung aller Voraussicht nach an die CDU abgegeben wird, kam ebenfalls Skepsis. Zwar solle die Verbindlichkeit der letzten Kita-Jahre in Zusammenarbeit mit der CDU erhöht werden. Mehr als eine Kitapflicht werde dabei aber nicht herumkommen, hieß es mit Bezug auf einen Medienbericht über die mögliche Einführung der Vorschulpflicht.

Die Grenzen werde die am Dienstag erstmalig tagende Fachgruppe in den kommenden zwei Wochen ziehen, hieß es weiter. Um einer sinnvollen Umsetzung näherzukommen, seien offene und wesentliche Fragen zu klären.

26.000
zusätzliche Kitaplätze müssten geschaffen werden.

Untersuchungen zufolge leiden unter den fehlenden Kitaplätzen vor allem Kinder, in deren Familie kein Deutsch gesprochen wird. Ihre Kitaquote im Vorschuljahr liegt deutlich unter der deutschsprachiger Kinder, auch wenn die Bildungsverwaltung eine entsprechende Statistik nicht erhebt.

Stattdessen gibt sie nur pauschal an, dass etwa 90 Prozent in der Kita seien. Dieser Frage ist der Kitaverbund „Kitastimme“ nachgegangen, zu deren Mitbegründern der Kita-Geschäftsführer und IHK-Vizepräsident Stefan Spieker gehört. Der Verbund gab eine Expertise in Auftrag, die die schwache Kitabesuchsquote der bedürftigen Kinder belegte.

Jugendsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zu Besuch in einer Kita. Geht es nach CDU-Chef Kai Wegner, soll  Katharina Günther-Wünsch Busses Posten übernehmen.
Jugendsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zu Besuch in einer Kita. Geht es nach CDU-Chef Kai Wegner, soll Katharina Günther-Wünsch Busses Posten übernehmen.

© Susanne Vieth-Entus/TSP

An einer Kitapflicht versucht sich die SPD seit fast 20 Jahren, weil sich die Benachteiligung der Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern ohne Frühförderung noch weniger kompensieren lässt als mit Frühförderung. Die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung hatte bereits 2006 ein Gutachten zu der Frage beauftragt, ob eine Kitapflicht mit dem grundgesetzlich verankerten Elternrecht vereinbar ist. Das Gutachten der ehemaligen SPD-Justizsenatorin Lore Peschel-Gutzeit fiel abschlägig aus.

Die SPD versuchte es daher mit der vorgezogenen Schulpflicht für Kinder mit fünfeinhalb Jahren und scheiterte auch damit, denn die Schulen waren auf Kinder in diesem Alter nicht eingestellt. Die Kinder und Schulen hatten derartige Probleme, dass die frühe Schulpflicht auf Druck des damaligen CDU-Koalitionspartners zurückgenommen werden musste.

Auch bundesweit hatte Berlin keine Nachahmer gefunden, weil sich überall die gleichen Probleme zeigten: Zwar versuchten es einige Bundesländer mit einer moderaten Vorverlegung der Schulpflicht, machten aber allesamt einen Rückzieher.

Eine der Ursachen für den Misserfolg ist, dass das kindliche Gehirn mit fünf Jahren in der Regel noch nicht auf einen regulären Unterrichtsbetrieb eingestellt ist. Selbst im Mutterland der Früheinschulung, England, rät die Wissenschaft, die frühe Schulpflicht zu überdenken. Finnland etwa schult erst mit sieben Jahren ein. Der Schnitt weltweit liegt bei sechs Jahren. Berlin ist mit der Schulpflicht für knapp Sechsjährige noch immer vergleichsweise früh dran.

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