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1897 wurde die Wiesenburg in Gesundbrunnen als Unterkunft für obdachlose Menschen errichtet.

© Kai-Uwe Heinrich

Lange vergessener Ort in Berlin: In der Ruine der Wiesenburg entstehen neue Wohnungen

Einst für Obdachlose erbaut, dann lange vergessen: Die Wiesenburg in Gesundbrunnen wird wiederbelebt. Das 12.000 Quadratmeter große Gelände wird der Degewo übergeben.

Die ursprüngliche Funktion des Raumes ist an einer verblassenden, teilweise lückenhaften Aufschrift gerade noch zu erahnen: „Zu den Ankleide-Schränken von 1 bis 26. Rauchen auf der Galerie streng verboten.“ Obwohl: Raum? Das war einmal.

Immerhin, die Außenwände, unverputzt und löcherig zwar, stehen noch, und verrostete Eisenstreben geben eine luftige Vorstellung davon, wie das Dach einmal ausgesehen haben muss. Aber für einen Raum, in diesem Fall den der Sammelhalle auf dem Areal des ehemaligen „Berliner Asyl-Vereins“ in der Wiesenstraße, fehlt doch nach oben die Geschlossenheit.

Die von reichen Berliner Philanthropen Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Unterkunft für Obdachlose ist zu weiten Teilen Ruine, seit sie Anfang 1945 von Bomben getroffen wurde: ein lange vergessener Ort, nur das ehemalige „Beamtenhaus“ wird von mehreren Mietparteien bewohnt, die umliegenden Gebäude, soweit dies noch möglich war, von Handwerkern, Künstlern, Kreativen genutzt, dazwischen viel Ruinöses, ausgesprochen pittoresk, lange künftiger Nutzung harrend. Debattiert wird darüber seit Mitte der Achtzigerjahre, in jüngerer Zeit zunehmend intensiv und mit absehbaren und bislang durchaus ansehnlichen ersten Ergebnissen.

Das rund 12 000 Quadratmeter große Gelände wurde 2014 vom Land dem Wohnungsunternehmen Degewo übergeben, die es in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Wohnen, dem Quartiermanagement, dem Bezirk und dem Verein „Die Wiesenburg“ entwickeln soll.

„Auf Augenhöhe“ – so lautet auch programmatisch der Titel einer Broschüre zur „Revitalisierung des Wiesenburg-Areals“ – hat man in langen Diskussionen gerungen, um Nutzungs-, Sanierungs- und was sonst noch an Konzepten nötig ist, dabei immer sehr auf „Partizipation“ und „Beteiligung“ bedacht, wie nun bei einer Vorstellung des aktuellen Standes betont wurde.

Auch der Gedanke der Integration von Alt und Neu sei dabei hochgehalten worden, was nicht nur die künftige Ergänzung des historischen Baubestandes meint, sondern zugleich jedem Verdacht vorbeugen soll, hier würden langjährige Mieter und Nutzer verdrängt.

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Eröffnet wurde dazu eine kleine Open-Air-Ausstellung, die das Projekt und die weiteren Pläne zeigt. 7,5 Millionen Euro geben Bund und Land für die Sanierung der bestehenden, teilweise nur als Ruinen erhaltenen Bauten, fünf Millionen Euro steuert die Degewo bei und bis Ende 2023 soll das Projekt abgeschlossen sein – ein ebenso finanziell wie zeitlich sehr sportliches Ziel.

In der ehemaligen Sammelhalle drehte Volker Schlöndorff Szenen seiner „Blechtrommel“-Verfilmung.
In der ehemaligen Sammelhalle drehte Volker Schlöndorff Szenen seiner „Blechtrommel“-Verfilmung.

© Andreas Conrad

[Die Ausstellung ist bis 17. Mai geöffnet, tgl. 14–18 Uhr, Wiesenstraße 55.]

Geplant ist ein Nutzungsmix aus Wohnen und Arbeiten, Kunst, Handwerk und Bildung, mit Proberäumen für Musiker, Ateliers und sogar einem „Grünen Klassenzimmer“, einem naturnahen Lernort für Seminare in Kooperation mit den Schulen der von der Wiesenburg dann ebenfalls profitierenden Nachbarschaft.

Verbindungen von alter und neuer Architektur können leicht missraten, die bisherigen Baufortschritte lassen aber hoffen, dass er hier gelingen wird. In einem hinteren Bereich des Areals sind schon Neubauten mit etwas mehr als 100, ab Sommer beziehbaren Wohnungen entstanden – überwiegend mit Klinkerfassaden, passend zum Erscheinungsbild der alten Wiesenburg. Und die Reste des ehemaligen Frauenasyls, von dem nicht viel mehr als ein paar Mauern übrig waren, hat man in einen für Handwerksbetriebe vorgesehenen Neubau integriert.

Es sieht also ganz danach aus, als würde das Areal nach Jahrzehnten des Dornröschenschlafs zu neuem Leben erweckt, ohne dass die bisherigen Bewohnern und Nutzer sich deswegen die Haare raufen müssten. Nur Filme wie „Die Blechtrommel“ oder „Lili Marleen“ wird man dort wohl nicht mehr drehen können. Frisch saniert und mit Dach ist etwa die alte Sammelhalle künftig ungeeignet, wie in Volker Schlöndorffs Grass-Verfilmung eine brennende Synagoge darzustellen.

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